Klar wie ein Kristall
Physiker machen komplexe molekulare Strukturen sichtbar.
Physiker machen komplexe molekulare Strukturen sichtbar.
Bei der Aufklärung der Strukturen von transparenten Festkörpern sind Physiker der Universität Bayreuth jetzt einen Schritt vorangekommen. Jürgen Köhler (Lehrstuhl Experimentalphysik IV) und Lothar Kador (Bayreuther Institut für Makromolekülforschung) haben gemeinsam mit einem Forscherteam des Instituts für Spektroskopie an der Russischen Akademie der Wissenschaften ein neues Verfahren entwickelt, das auf der Einzelmolekülspektroskopie beruht. Es verwendet eine avancierte Lasertechnik in Kombination mit einer leistungsfähigen Software zur Speicherung und Weiterverarbeitung von Bilddaten. Dadurch lassen sich die Strukturen eines Festkörpers, z.B. eines polykristallinen Materials, unter dem Mikroskop sichtbar machen. Die Proben des Festkörpers werden "klar wie ein Kristall" - prinzipiell bis hinunter zu molekularen Strukturen, die weit unterhalb der Beugungsgrenze liegen.
Abb.: Jedes der drei unteren Bilder zeigt die räumliche Anordnung derjenigen Einzelmoleküle, die zum Fluoreszieren angeregt werden, wenn der Laser den Frequenzbereich durchläuft, der im oberen Teil der Abbildung farblich unterlegt ist. Die unteren Abbildungen sind nachträglich farbkodiert, so dass die Skalen Auskunft über die Dichte der fluoreszierenden Moleküle (= Anzahl der Moleküle pro Quadratmikrometer) geben. (Bild: Lehrstuhl für Experimentalphysik IV, Uni Bayreuth)
Das Verfahren beruht auf der Idee, fluoreszierende Farbstoffmoleküle als "Sonden" einzusetzen, um komplexe Strukturen unterhalb der Beugungsgrenze aufzuklären. Dieser Ansatz bildet seit zehn Jahren bereits die Grundlage für mikroskopische Verfahren in den Biowissenschaften. Die Bayreuther Physiker haben ihn jetzt auf die Materialwissenschaften angewendet. Dabei wurden nahezu 300.000 Moleküle des Farbstoffs Terrylen in einen organischen Molekülkristall eingelagert.
Bei extrem tiefen Temperaturen haben die Farbstoffmoleküle die Eigenschaft, dass ihre Absorptionsspektren extrem schmal sind und sich nicht überlappen. Unter dieser Voraussetzung lassen sich auch ihre Fluoreszenzsignale unabhängig voneinander anregen. Deshalb kühlen die Bayreuther Physiker die Probe des Kristalls, die mithilfe des eingelagerten Farbstoffes untersucht werden soll, bis auf eine Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt (-273 Grad Celsius) ab. Für die spektroskopische Untersuchung verwenden sie einen sehr schmalbandigen Laser, der nacheinander auf unterschiedliche Frequenzen eingestellt . Zu jedem Zeitpunkt regt er nur einige wenige der rund 300.000 Farbstoffmoleküle an; nämlich nur diejenigen Moleküle, deren Absorptionsspektrum der Frequenz des Laserstrahls entspricht. Folglich fluoreszieren zu jedem Zeitpunkt nur diese wenigen Moleküle; von benachbarten Molekülen gehen keine störenden Signale aus. Wenn die Konzentration des Farbstoffes richtig gewählt wird, sind die gleichzeitig fluoreszierenden Moleküle stets weiter als die Beugungsgrenze voneinander entfernt und können getrennt detektiert werden.
Mit einer speziellen Kamera werden die von den Einzelmolekülen ausgehenden Fluoreszenzsignale nacheinander aufgenommen. Sie werden gespeichert und liefern in Verbindung mit einer leistungsfähigen Software ein Gesamtbild, das sich aus einer Vielzahl kleiner Bildpunkte zusammensetzt: nämlich aus den Fluoreszenzbildern, die die räumlichen Positionen der Farbstoffmoleküle darstellen. Jetzt werden Strukturen des Festkörpers, wie z.B. feine linienförmige Risse, unter dem Mikroskop klar erkennbar.
Universität Bayreuth / AL
Weitere Infos:
- Originalveröffentlichung:
Andrei V. Naumov, Alexey A. Gorshelev, Yury G. Vainer, Lothar Kador, Jürgen Köhler: Far-Field Nanodiagnostics of Solids with Visible Light by Spectrally Selective Imaging. Angewandte Chemie International Edition 48, 51, 9747-9750 (2009)
dx.doi.org/10.1002/anie.200905101 - Lehrstuhl Experimentalphysik IV, Universität Bayreuth
www.ep4.phy.uni-bayreuth.de