06.02.2015

Klein und formenreich

Frei fliegende Nanoteilchen zeigen überraschende Formenvielfalt im 3D-Röntgenkino.

Nanopartikel sind dabei, unseren Alltag zu erobern. Die Anwendungen dieser winzigen, mit dem Auge nicht wahrnehmbaren Teilchen reichen vom Sonnenschutz über Effektlacke, Farbfilter und elektronischen Komponenten bis hin zum medizinischen Einsatz, etwa zur Krebsbekämpfung. „Die Funktionalität der Nanopartikel ist mit ihrer geometrischen Form verknüpft, die oft experimentell sehr schwierig zu bestimmen ist“, erläutert Ingo Barke von der Universität Rostock. „Das gilt vor allem, wenn sie als freie Teilchen vorliegen, also ohne Kontakt zu einem Untergrund oder einer Flüssigkeit.“

Abb.: Röntgen-Streubild eines Nanopartikels in Form eines Oktaederstumpfs mit 200 Nanometern Durchmesser (Bild: H. Hartmann, U. Rostock)

Die Gestalt eines Nanopartikels lässt sich aus der charakteristischen Art und Weise berechnen, wie es Röntgenlicht streut, etwa an Röntgenquellen wie DESYs FLASH. Bisher hat man die räumliche Struktur von Nanopartikeln üblicherweise aus mehreren zweidimensionalen Aufnahmen rekonstruiert, die aus unterschiedlichen Richtungen aufgenommen wurden. Bei Teilchen, die sich auf festen Substraten befinden, ist das kein Problem – sie können aus vielen verschiedenen Richtungen aufgenommen werden, um ihre dreidimensionale Form zweifelsfrei zu rekonstruieren.

„Bringt man Nanopartikel in Kontakt mit einer Oberfläche oder Flüssigkeit, können sie sich jedoch verändern, so dass wir nicht mehr ihre eigentliche Form sehen“, sagt Daniela Rupp von der TU Berlin. Ein freies Teilchen kann im Flug jedoch nur ein einziges Mal abgebildet werden, bevor es aus dem Untersuchungsbereich entkommen ist oder durch das intensive Röntgenlicht zerstört wurde. Daher ist eine Methode notwendig, bei der bereits das Streubild eines einzigen Laserblitzes die volle räumliche Strukturinformation enthält.

Den Physikern um Thomas Möller von der TU Berlin und Karl-Heinz Meiwes-Broer und Thomas Fennel von der Universität Rostock ist dies nun in Zusammenarbeit mit den Kollegen von SLAC und DESY am Röntgenlaser FLASH mit einem Trick gelungen. Dazu wird das Streubild nicht wie sonst üblich unter einem kleinen Winkel rund um die Richtung des einfallenden Röntgenblitzes aufgenommen, sondern in einem weiten Bereich um das Nanopartikel herum. „Mit diesem Ansatz nehmen wir sozusagen gleichzeitig die Struktur aus vielen unterschiedlichen Richtungen auf, ohne die Teilchen mehrfach belichten zu müssen“, erklärt Fennel.

Abb.: Röntgen-Streubild (links) eines Nanopartikels in Form eines Ikosaeders mit 240 Nanometern Durchmesser (Bild: H. Hartmann, U. Rostock)

Die Forscher testeten dieses Verfahren an 50 bis 250 Nanometer kleinen Nanoteilchen aus Silber, die in einem Trägergas durch den Röntgenstrahl geleitet wurden. Der Test belegt nicht nur, dass diese Methode funktioniert, sondern förderte auch überraschende Ergebnisse zutage. Die Untersuchung zeigt, dass vergleichsweise große Nanoteilchen eine größere Formenvielfalt aufweisen als erwartet.

Die äußere Gestalt von freien Nanoteilchen resultiert aus unterschiedlichen physikalischen Prinzipien, besonders aber aus dem Bestreben des Teilchens, seine Energie zu minimieren. Dadurch ergeben sich für große Partikel aus Tausenden oder Millionen von Atomen oft vorhersagbare Formen, da diese Atome nur in einer bestimmten Art und Weise energetisch besonders günstig angeordnet sind.

In ihrer Untersuchung beobachteten die Forscher jedoch zahlreiche hochsymmetrische dreidimensionale Formen, darunter sogenannte Platonische und Archimedische Körper wie den Oktaederstumpf und den Ikosaeder. Letzterer ist eigentlich nur für extrem kleine Teilchen aus wenigen Atomen besonders stabil, und sein Vorkommen bei freien Partikeln dieser Größe war bisher nicht bekannt. „Die Ergebnisse zeigen, dass metallische Nanopartikel eine Art Gedächtnis ihrer Struktur aus frühen Wachstumsstadien bis hin zu einem bisher unerforschten Größenbereich behalten“, führt Barke aus.

Insbesondere wegen der Formenvielfalt war es besonders wichtig, eine schnelle Rechenmethode zu verwenden, um die Gestalt jedes einzelnen Teilchens zuordnen zu können. Die Forscher bedienten sich dabei eines zweistufigen Verfahrens: Zunächst wurde die grobe Form bestimmt, die dann mit aufwändigen Simulationen an einem Großrechner bis ins Detail verfeinert wurde. Diese Taktik stellte sich als so effizient heraus, dass sie nicht nur eine große Vielfalt an Formen zuverlässig bestimmen, sondern auch unterschiedliche Orientierungen derselben Form unterscheiden konnte.

Die neue Möglichkeit, die dreidimensionale Form und Orientierung von Nanopartikeln mit nur einem einzigen Schuss eines Röntgenlasers bestimmen zu können, eröffnet eine Vielzahl neuer Forschungsrichtungen. Teilchen könnten in zukünftigen Projekten beim Wachstum oder während Phasenübergängen direkt dreidimensional „gefilmt“ werden. „Die Reaktion eines Teilchens auf den intensiven Röntgenblitz direkt zu filmen ist ein lang gehegter Traum vieler Physiker, der jetzt Wirklichkeit werden könnte – und das in 3D!“, freut sich Rupp.

DESY / DE

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