15.09.2022

Knick im Jet

Schulprojekt liefert wichtige Daten zur Interpretation des eigenartigen Verhaltens eines aktiven Galaxienkerns.

Schüler eines Würzburger Gymnasiums sind an einer aktuellen Publikation in einer renommierten Fach­zeitschrift beteiligt. Sie haben dafür nächtelang eine ungewöhnliche Erscheinung am Himmel beobachtet. „In unserem Alter an einer Publikation in Nature beteiligt zu sein: Das ist schon krass.“ Lukas Waller ist 17 Jahre alt und Schüler am Friedrich-Koenig-Gymnasium (FKG) in Würzburg. Sein Name taucht jetzt in einer langen Liste von Autorinnen und Autoren unter einer Publikation auf, die am 7. September 2022 veröffentlicht wurde. Vertreten sind dort auch Felix Hemrich, Johannes Knött, David Reinhart und Remco Steineke – alles aktuelle oder ehemalige Schüler des FKG – und ihr Lehrer Christian Lorey.

 

Abb.: In der Hans-Haffner-Sternwarte arbeiten Schüler des...
Abb.: In der Hans-Haffner-Sternwarte arbeiten Schüler des Friedrich-Koenig-Gymnasiums an der Speerspitze der Wissenschaft mit. (Bild: Naturwiss. Labor für Schüler am FKG)

Was sie verbindet: Sie alle engagieren sich mit gut vierzig weiteren Mitschülerinnen und -schülern in der Hans-Haffner-Sternwarte, einer Einrichtung, die sowohl offiziell Sternwarte der Universität Würzburg als auch Bestandteil des Natur­wissenschaftlichen Labors für Schüler am FKG ist. Während ihre Mitschüler also beispielsweise im Biologielabor Bakterien züchten oder im Chemielabor Naturstoffe analysieren, schlagen sie sich zudem etwas außerhalb von Würzburg auf dem Gebiet der Gemeinde Hettstadt die Nächte um die Ohren, um dabei nach außergewöhnlichen Erscheinungen am Himmel zu suchen.

Alle diese Schüler besuchen am FKG die Natur­wissenschaftliche Schwerpunktklasse, eine bayernweit einmalige Spezialität des Gymnasiums aus der Zellerau. „In der Schwerpunkt­klasse haben die Schülerinnen und Schüler ab der achten Klasse Astronomie und wachsen so in das Projekt hinein“, erläutert Martin Feige, Lehrer am FKG, der gemeinsam mit seinem Kollegen Christian Lorey dieses Astronomie­projekt koordiniert.

Mit ihren Beobachtungen, die sie im Jahr 2020 gemacht hatten, haben sie es jetzt zur Mitautorschaft einer bedeutenden Entdeckung geschafft. In deren Mittelpunkt steht der aktive Kern der Galaxie BL Lacertae – einer Galaxie, die etwa 900 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt ist und in ihrem Zentrum ein Schwarzes Loch trägt, dessen Masse 170 Millionen Mal größer ist als die unserer Sonne. „Wir konzentrieren uns in unserer Sternwarte vor allem darauf, die Helligkeit aktiver Galaxienkerne zu überwachen“, erklärt Christian Lorey.

Diese gehören zu jenen langlebigen Phänomenen im Universum, die am kräftigsten leuchten. Meistens handelt es sich um die kompakten Zentren von weit entfernten Galaxien, bei denen ein gewaltiges Schwarzes Loch mit einer Masse von Millionen bis Milliarden Sonnen Materie aus seiner Umgebung aufsammelt. Durchdrungen von Magnetfeldern schießt ein Teil der Materie entlang der Rotations­achse des Schwarzen Lochs in zwei energiereichen Jets mit hoher Geschwindigkeit weit ins All hinaus. Zeigt solch ein Jet direkt auf die Erde, wird das Objekt als Blazar bezeichnet.

Wenn es das Wetter erlaubt und der Himmel klar ist, machen sich seit mittlerweile zehn Jahren Nacht für Nacht Schüler des FKG, Ehemalige, Studierende und natürlich auch Lehrkräfte jeweils in Zweier- bis Viererteams auf den Weg zur Sternwarte, um die Beobachtung dieser Galaxienkerne fortzusetzen. „In der Regel beginnen wir gut zwei Stunden vor der Dunkelheit mit den Vorbereitungen“, erklärt Lukas Waller. Den Computer hochfahren, die notwendigen Programme starten, Korrektur­aufnahmen für die spätere Auswertung anfertigen, das Teleskop ausrichten und – ganz wichtig – kontrollieren, ob nicht Wolken die freie Sicht auf den Himmel versperrt: So sieht die abendliche Routine der jungen Wissenschaftler aus.

Dann starten die Messungen – drei für jeden aktiven Galaxienkern (AGN). „Wir machen in der Regel Aufnahmen jeweils mit einem Rot-, einem Grün- und einem Blaufilter mit Belichtungs­zeiten zwischen 120 und 1200 Sekunden, je nachdem, wie hell der AGN ist“, erklärt Felix Hemrich. Im Anschluss daran kontrolliert das Team die Aufnahmen und prüft die Auswertung der gewonnenen Daten. Das Programm dafür haben die Schüler selbst geschrieben – federführend waren dabei David Reinhart und Remco Steineke.

„Mich faszinieren die physikalischen Vorgänge in den AGN, besonders aber auch die Verbindung zwischen Astrophysik und Informatik bei der praktischen Auswertung der Bilddaten“, sagt Remco. Hat die Software ihre Arbeit in wenigen Sekunden erledigt, kommt der nächste AGN an die Reihe. „In guten Winternächten schaffen wir auf diese Weise 20 bis 25 Objekte“, sagt Felix. Auf 145 Messnächte hat es das Team im Jahr 2021 gebracht.

Besteht die Arbeit der Schüler also aus reiner Routine? Nicht immer. „Im Jahr 2020 ereignete sich bei BL Lacertae ein außergewöhnlicher Helligkeitsausbruch, der in mehreren Wellenlängen­bereichen stattfand. Solche Ausbrüche – in der Fachsprache Flares genannt – öffnen manchmal ganz neue Fenster zur Physik der AGN. Häufig ist dann Schnelligkeit Trumpf, um entscheidende Datensätze zu erhalten“, erklärt Privatdozent Dominik Elsässer. Der Astrophysiker lehrt und forscht heute an der TU Dortmund. Seit seiner Zeit als Doktorand am Lehrstuhl für Astrophysik der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) betreut und begleitet er gemeinsam mit Lehrstuhl­inhaber Karl Mannheim das Würzburger Schülerprojekt.

AGN-Flares und Helligkeitsschwankungen insgesamt sind also von großem wissenschaftlichem Interesse. Im Zentrum steht dabei zum Beispiel die Frage, ob diese Änderungen mehr oder weniger zufällig auftreten oder ob es sich um periodische Phänomene handelt. „Periodische Helligkeits­änderungen könnten zum Beispiel durch den Umlauf zweier massereicher Schwarzer Löcher um das gemeinsame Schwerezentrum verursacht werden. Dabei sprechen wir teils über Schwankungsdauern von Wochen, Monaten oder gar Jahren. Aber es gibt auch ganz andere und ebenso spannende Gründe, die in der Physik der Jets selbst liegen, wobei die beobachtete Schwankungsdauer deutlich kürzer sein und im Bereich von Stunden oder Tagen liegen kann“, sagt Elsässer. Genau das war hier nun der Fall.

Aus diesem Grund ist das Team an der Hettstadter Sternwarte im Sommer 2020 schnell von seinem Routineprogramm abgewichen. BL Lacertae zeigte ab Mitte Juli eine erhöhte optische Aktivität, die sich über Wochen immer weiter aufschaukelte. Mit dem Beginn der Sommerferien konnte das FKG-Team jede einzelne Nacht an der Sternwarte sein, um Helligkeitswerte zu sammeln. Durch diesen außergewöhnlichen Flare besonders motiviert, waren die Schülerteams selbst bei schlechtem Wetter an der Sternwarte, um einzelne Wolkenlücken abzupassen und keine Nacht ungenutzt zu lassen. „Das ist der Vorteil unserer Einrichtung: Wir können schnell selbst entscheiden, was wir messen wollen“, sagt David Reinhart. Die Würzburger Gruppe sei somit weitaus flexibler als viele professionelle Einrichtungen, an denen oft schon Monate im Voraus festgelegt ist, welche Objekte an welchem Abend gemessen werden. Nur so war es möglich, von diesem für diesen AGN epochalen Ausbruch eine sehr hohe Messpunktdichte zu erreichen.

Tatsächlich zeigen die Messungen aus dem Jahr 2020 schnelle, quasi-periodische Helligkeitsschwankungen des Galaxiekerns von BL Lacertae. Die Wissenschaftler legen in der jetzt erschienenen Publikation schlüssig dar, dass diese auf einen Knick im Plasma-Jet zurückzuführen sind, und haben es damit in die Fach­zeitschrift geschafft.

Aber wie groß ist eigentlich der Beitrag Würzburger Schüler zu dieser wissenschaftlichen Publikation? Welche Bedeutung haben ihre Messungen in einer vergleichsweise kleinen Sternwarte am Rande von Würzburg, wenn anderswo gewaltige Teleskope mit viel größeren Durchmessern auf Berggipfeln fernab von Städten und deren Licht­verschmutzung ebenfalls den Blick ins Universum richten? Die Antwort von Dominik Elsässer ist eindeutig: „Was in der Hans-Haffner-Sternwarte geleistet wird, ist echte, richtige Wissenschaft“, sagt der Astronom. Die Schüler würden Daten „mit absoluter Spitzenqualität“ liefern, deren Präzision auf einer Ebene steht mit denen von professionellen, deutlich größeren Teleskopen. Sie bilden einen wichtigen Baustein für die Auswertung. „Diese Publikation zeigt in exemplarischer Weise, dass Schüler voll verantwortlich, aber auch voll anerkannt an der Speerspitze der Wissenschaft mitarbeiten“, so Elsässer.

Wer sich schon als Schüler mit den Geheimnissen des Weltalls beschäftigt hat: Wird der zwangsläufig auch eine Laufbahn als Astrophysiker einschlagen? Nicht unbedingt. David Reinhart beispielsweise ist zwar heute noch dabei im Team, allerdings nur „hobbymäßig“, wie er sagt, obwohl er inzwischen viele Leitungsaufgaben im Projekt übernommen hat. Er studiert jetzt im sechsten Semester Chemie an der JMU – wobei ihm die Entscheidung zwischen Physik und Chemie ziemlich schwergefallen sei. Lukas Waller schreibt in einem Jahr Abitur und will sich danach, so wie Remco Steineke, Informatik studieren. Und Felix Hemrich weiß noch nicht so genau, in welche Richtung es gehen soll. Allerdings ist er sich sicher, dass es ebenfalls ein Fach aus dem MINT-Bereich sein wird – also Mathematik, Informatik oder eine Naturwissenschaft.

Dass nicht jeder Nachwuchsastronom des FKG dann auch Astrophysik studiert, ist für Dominik Elsässer kein Problem. „In unserem Bereich wird sowieso hochgradig interdisziplinär und in engem Schulterschluss mit anderen Fächern gearbeitet.“ Da sei es nur von Vorteil, wenn Wissenschaftlern aus anderen Disziplinen beteiligt sind, die aber ebenso eine Begeisterung für die Astrophysik mitbringen.

Einen ganz anderen Aspekt hebt Karl Mannheim hervor: „Ich sehe diese Aktivitäten als wichtiges Lebenszeichen jenseits der etablierten Bildungseinrichtungen wie Schule oder Universität.“ Seiner Ansicht nach enge das heutige Bildungssystem Schüler zu stark ein. Deshalb bräuchten sie Projekte, in denen sie Verantwortung übernehmen und ihre Handlungs­fähigkeit unter Beweis stellen können. Das Schülerlabor biete ihnen dazu die Möglichkeit. Die Hans-Haffner-Sternwarte ist nach Mannheims Worten ein Ort, „an dem mit Enthusiasmus, Fleiß und Intelligenz“ gearbeitet werde. Und genau dadurch komme man zu guten Ergebnissen.

U. Würzburg / DE

 

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