11.10.2021

Kohlenstoff im Röntgenblick

Neues Messverfahren verspricht tiefe Erkenntnisse über das Innenleben von Planeten.

Im Zentrum von Planeten herrschen Temperaturen von abertausend Grad, der Druck ist millionen­fach größer als der Atmosphären­druck. Dies unmittelbar zu erforschen ist deswegen nur bedingt möglich – weshalb die Fachwelt versucht, entsprechende Extrem­verhältnisse mit aufwändigen Experimenten nachzustellen. Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) hat ein etabliertes Mess­verfahren an diese Extrembedingungen angepasst und erfolgreich getestet: Mit den Lichtblitzen des stärksten Röntgenlasers der Welt gelang es dem Team, das wichtige Element Kohlenstoff mitsamt seinen chemischen Eigenschaften ins Visier zu nehmen. Damit hat die Methode das Potential, neue Einblicke in das Innere von Planeten sowohl innerhalb als auch außerhalb unseres Sonnen­systems zu liefern.

Abb.: Hochauflösende Spektroskopie wird einzigartige Einblicke in die Chemie...
Abb.: Hochauflösende Spektroskopie wird einzigartige Einblicke in die Chemie des tiefen Inneren von Planeten ermöglichen. (Bild: U. Lehmann, HZDR)

Die Bedingungen im Inneren von Jupiter oder Saturn sorgen dafür, dass die Materie dort in einem ungewöhnlichen Zustand vorliegt: Sie ist dicht wie ein Metall, zugleich aber elektrisch geladen wie bei einem Plasma. „Wir bezeichnen diesen Zustand als warme dichte Materie“, erläutert Dominik Kraus, Physiker am HZDR und an der Universität Rostock. „Es ist ein Übergangs­zustand zwischen Festkörper und Plasma, der im Inneren von Planeten vorkommt, kurzzeitig aber auch auf der Erde auftreten kann, etwa bei Meteoriten­einschlägen.“ Detailliert untersuchen lässt sich dieser Materie­zustand im Labor nur mit einigem Aufwand, zum Beispiel indem starke Laserblitze auf eine Materialprobe feuern und sie für einen Wimpern­schlag erhitzen und komprimieren.

Doch wie sehen die chemischen Eigen­schaften dieser warmen dichten Materie aus? Diese Frage lässt sich mit den bisherigen Verfahren nur unzu­länglich beantworten. Also ließ sich ein Team aus sechs Ländern etwas Neues einfallen. Basis ist der stärkste Röntgenlaser der Welt, der European XFEL in Hamburg. In einem kilometer­langen Beschleuniger werden hier extrem kurze und intensive Röntgenpulse erzeugt. „Die Pulse haben wir auf dünne Folien aus Kohlenstoff gelenkt“, sagt Katja Voigt vom HZDR-Institut für Strahlen­physik. „Sie bestanden aus Graphit oder Diamant.“ In den Folien wird ein kleiner Teil der Röntgenblitze an Elektronen und deren unmittelbarer Umgebung gestreut. Das Entscheidende: Diese gestreuten Blitze können verraten, welche Art von chemischer Bindung die Kohlenstoff­atome mit ihrer Umgebung eingegangen sind.

Zwar kommt dieses als Röntgen-Raman-Streuung bezeichnete Verfahren in der Forschung schon länger zum Einsatz, etwa in den Material­wissenschaften. Doch das Team um Voigt und Kraus schaffte es nun erstmals, es für Versuche zur Erforschung von warmer dichter Materie nutzbar zu machen. „Manche Fachleute hatten bezweifelt, dass das funktionieren kann“, erzählt Kraus. Insbesondere mussten die Detektoren, die die von den Kohlenstoff­folien ausgehenden Röntgen­signale aufschnappen, hocheffizient und zugleich hochauflösend sein – eine große technische Heraus­forderung. Doch die Analyse der Messdaten ließ deutlich erkennen, welche Bindungs­zustände der Kohlenstoff eingegangen war. „Dass das so gut geklappt hat, hat uns schon ein bisschen überrascht“, freut sich Voigt.

Eines aber fehlt noch, um warme dichte Materie mit dem Verfahren zu untersuchen – starke Laserblitze, die die Kohlenstofffolien auf hohe Drücke und Temperaturen von bis zu mehreren 100.000 Grad bringen. Dafür kommt die Helmholtz International Beamline for Extreme Fields (HIBEF) ins Spiel, welche unter Federführung des HZDR am European XFEL eingeweiht wurde und als eine der modernsten Forschungs­anlagen weltweit gilt. Hier sind mittlerweile leistungsstarke Laser installiert, sodass erste Röntgen-Raman-Experimente in einigen Monaten stattfinden könnten. „Ich bin sehr optimistisch, dass das funktionieren wird“, meint Dominik Kraus. Die wissenschaftlichen Erkennt­nisse, die das neue Verfahren bringen könnte, sind vielfältig: Unter anderem ist unklar, wie viele leichte Elemente wie Kohlenstoff oder Silizium im Erdkern stecken. Labor­experimente könnten hier wichtige Hinweise liefern. „Die neue Methode ist nicht nur auf Kohlenstoff anwendbar, sondern auch für andere leichte Elemente“, erläutert Katja Voigt. Eine weitere Frage­stellung: Im Inneren von Gasriesen wie Jupiter oder Eisriesen wie Neptun dürften komplexe chemische Reaktionen ablaufen – ebenso wie in fernen Exoplaneten von ähnlicher Statur. Per Röntgen-Raman-Verfahren sollten sich diese Prozesse im Labor nachvoll­ziehen lassen. „Vielleicht lässt sich damit ja das Rätsel lösen, welche Reaktionen dafür verant­wortlich sind, dass Planeten wie Neptun und Saturn mehr Energie abstrahlen als sie eigentlich sollten“, hofft Kraus.

Mit der neuen Technik sollten sich aber auch Kometen­einschläge im Mini-Maßstab simulieren lassen: Falls Kometen einst organisches Material auf die Erde brachten – könnte es beim Einschlag zu chemischen Reaktionen gekommen sein, die die Entstehung des Lebens begünstigten? Und sogar für technische Anwendungen birgt das Verfahren Potential: Im Prinzip scheint es möglich, dass sich unter Extrem­bedingungen neuartige Werkstoffe bilden, die faszinierende Eigenschaften zeigen. Ein Beispiel wäre ein Supraleiter, der bei Raum­temperatur funktioniert und anders als bisherige Materialien nicht aufwändig gekühlt werden muss. Für die Technik wäre ein solcher Raum­temperatur-Supraleiter hoch­interessant: Er könnte Strom völlig verlustfrei leiten, ohne dass man ihn mit Flüssig­stickstoff oder Flüssig­helium kühlen muss.

HZDR / JOL

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