06.09.2018

Kokon plus Jet

Durch Gravitationswellen entdeckte Kollision von Neutronen­sternen zeigt Zusammen­hang mit Gamma­blitzen.

Im August 2017 ereignete sich ein außergewöhnliches astro­no­misches Ereignis: Zum ersten Mal gelang es, die Kolli­sion zweier Himmels­körper nicht nur mit Hilfe von Gravi­ta­tions­wellen, sondern auch über elektro­magne­tische Wellen nach­zu­weisen. Dieses hoch­energe­tische Ereignis mit der Bezeich­nung GW170817 geschah in einer Ent­fernung von 130 Millionen Licht­jahren und ist nicht nur als erstes gemein­sames elektro­magne­tisches und Gravi­ta­tions­wellen-Objekt in die Geschichts­bücher der Astro­nomie ein­ge­gangen. Es lieferte auch die Möglich­keit, die Quelle von kurzen Gamma­strahlen­aus­brüchen zu analy­sieren.

Abb.: Nach der Kollision zweier Neutronen­sterne umgibt das aus­ge­stoßene, neutronen­reiche Material das neu ent­stan­dene schwarze Loch im Zentrum. Nach­dem der Jet zu­nächst mit diesem Material wechsel­wirkt, kann er es später durch­brechen. (Bild: S. Dagnello, NRAO / AUI / NSF)

Schon lange gibt es Spekulationen, dass solche Ausbrüche durch Neutronen­stern­kolli­sionen hervor­ge­rufen werden könnten, bei denen der ent­stehende Jet zufällig in Richtung Erde zeigt. Von solchen hoch­relati­vis­tischen Jets geht starke Gamma­strahlung in Strahl­richtung aus, während die anderen Teil­chen durch galak­tische und inter­galak­tische Magnet­felder weg­ge­lenkt werden. Eine inter­natio­nale Forscher­gruppe um Kunal Mooley vom National Radio Astro­nomy Obser­va­tory in den USA hat nun Nach­folge­messungen mit detail­lierten Simu­la­tionen zur Ent­stehung des Jets kombi­niert.

Die ersten Messungen hatten noch kein schlüssiges Bild ergeben. Es gibt im Wesent­lichen zwei unter­schied­liche Modelle zu Neutronen­stern­kolli­sionen. Bei beiden treibt die Materie, die in das neu ent­standene zentrale schwarze Loch fällt, einen mächtigen Jet über den Polen an. Das erste Modell beinhaltet einen relati­vis­tischen Jet, der weit ins All hinaus­reicht und Ursache eines kurzen Gamma­strahlen­aus­bruchs ist. Beim zweiten Modell ist hin­gegen die bei der Kolli­sion ins All hinaus­ge­worfene Materie so dicht, dass der Jet sich in dieser Materie ver­fängt und abge­würgt wird. Hier tritt kein scharf gebün­delter Jet hervor, sondern er befeuert einen expan­die­renden Kokon heißer, neutronen­reicher Materie auf breiter Front. Die ersten Messungen an GW170817 hatten Indizien für einen solchen Kokon geliefert.

Das Astronomenteam hat nun für Nachbeobachtungen mehrere große Radio­tele­skope quer über Nord­amerika zu einem Inter­fero­meter mit langer Basis­linie von bis zu acht­tausend Kilo­metern zusammen­ge­schaltet: das Very Long Base­line Array, das Karl G. Jansky Very Large Array und das Robert C. Byrd Green Bank Tele­scope. Den Forschern gelang es, einen sich monate­lang rasch aus­brei­tenden und scharf fokus­sierten Jet nach­zu­weisen, der mindes­tens 97 Prozent der Licht­ge­schwin­digk­eit erreichte.

Die Tatsache, dass sich ein hochrelativistischer Jet bilden konnte, belegt einen engen Zusammen­hang zwischen Neutronen­stern­kolli­sionen und kurzen Gamma­strahlen­aus­brüchen. „Wir haben jetzt eine starke Evidenz dafür, dass Neutronen­stern­kolli­sionen relati­vis­tische Jets und damit kurze Gamma­strahlen­aus­brüche hervor­rufen können”, sagt Mooley. Dabei schien der Jet eng gebündelt zu sein. Aus den Daten der Radio­tele­skope konnten die Wissen­schaftler keinen Hinweis auf eine mess­bare trans­ver­sale Aus­dehnung finden, woraus sich ein maxi­maler Öffnungs­winkel des Jets von nur etwa fünf Grad ergab. Vermut­lich ist also eine Kombi­na­tion beider Modelle die richtige Inter­pre­ta­tion von GW170817. Während der Jet in der Früh­phase noch einen aus­ge­dehnten Kokon befeuerte, konnte er später aus­brechen und sich hoch­relati­vis­tisch ins All aus­breiten. Der Jet zeigte in einem Winkel von zwanzig Grad Richtung Erde. Dadurch kam auch ein super­lumi­nales Beaming zustande, also eine scheinbar über­licht­schnelle Aus­breitung des Jets mit rund vier­facher Licht­ge­schwin­dig­keit, wobei der Lorentz­faktor von Tag 75 bis Tag 230 nach der Kolli­sion leicht von vier auf drei abfiel.

Den Berechnungen der Forscher zufolge war diese Geometrie ein durchaus glück­licher astro­no­mischer Zufall. Bis zu einem Winkel von dreißig Grad des Jets in Richtung Erde wäre bei dieser Ent­fernung noch ein inter­pretier­bares Signal zu erhalten gewesen, ab einem Winkel von vierzig Grad wären die Radio­wellen aber schon zu schwach für einen Nach­weis gewesen. Wie die umfang­reichen Simu­la­tionen zeigen, hängt dies aber insbe­sondere von der Dichte des aus­ge­worfenen Materials rund um das zentrale schwarze Loch ab.

Zwar werden einige weitere derartige Ereignisse zu beob­achten sein, bevor man statis­tisch abge­sicherte Erkennt­nisse hat. Aber schon aus dieser einen Kolli­sion lassen sich einige interes­sante Schlüsse ziehen. Falls derart energie­reiche Ereignisse typischer­weise einen so eng gebündelten Jet erzeugen, dürfte die Rate von Gamma­strahlen­aus­brüchen bei Neutronen­stern­kolli­sionen, die zufällig Richtung Erde zeigen, nur rund ein Zehntel Prozent betragen. Ein Grund, warum nur wenige starke Gamma­strahlen­aus­brüche auf der Erde beob­achtet werden, könnte also darin liegen, dass sich bei höher­energe­tischen Ereig­nissen auch schärfer gebündelte Jets bilden, so dass die Wahr­schein­lich­keit sinkt, dass dieser genau in Richtung Erde weist. Man darf gespannt bleiben, ob die nächste Beobach­tungs­phase der Obser­va­torien LIGO und Virgo ähnlich glück­lich ver­läuft und uns die Neutronen­sterne weiter­hin gewogen bleiben.

Dirk Eidemüller

RK

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