21.12.2017

Kollision mit Kokon

Neutronenstern-Verschmelzung zeigt keine auf­fälligen Jets – wohl aufgrund großen Materie­ausstoßes

Es war die große physikalische Sensation des Jahres 2017: Die GW170817 getaufte Ver­schmel­zung zweier Neutronen­sterne fand in einer Ent­fernung von 130 Millionen Licht­jahren statt – nicht gerade in der kosmischen Nach­bar­schaft, aber nahe genug für gute Beob­ach­tungen in allen ver­füg­baren Wellen­längen­bereichen. Die Gravita­tions­wellen-Obser­va­torien LIGO und VIRGO hatten am 17. August Alarm aus­ge­löst und eine umfang­reiche Such- und Nach­beob­ach­tungs­kampagne aus­ge­löst. Schnell war der Aus­bruch gefunden, der in die astro­no­mischen Geschichts­bücher ein­gehen wird: Erst­mals konnten Wissen­schaftler ein kosmisches Ereignis zugleich mit Gravi­tations­wellen und elektro­magne­tischer Strahlung nach­weisen, und erst­mals ließ sich ein Auf­leuchten am Himmel als Kolli­sion zweier Neutronen­sterne identi­fi­zieren.

Abb.: Nur das Kokon-Modell (rechts) ist mit den ge­mes­senen Spektren ver­träg­lich, ein un­ge­bremster Jet wie bei einem kurzen Gamma­strahlen­aus­bruch (links) kann hin­gegen aus­ge­schlossen werden. (Bild: NRAO / AUI / D. Berry, NSF)

Die elektromagnetische Strahlung von GW170817 erstreckte sich quer über das gesamte Spektrum – von Radio­wellen über infra­rote und optische Strahlung bis hin zu Röntgen- und Gamma­strahlung. Das erlaubte eine ein­gehende Analyse der Kolli­sion sowie der darauf­folgenden Prozesse. Eine wichtige und noch unge­klärte Frage bei Neutronen­stern-Ver­schmel­zungen besteht darin, ob diese Ereig­nisse zugleich der Ursprung kurzer Gamma­strahlen-Aus­brüche sind. Solche Gamma­blitze können ver­schie­denen Modellen zufolge ent­stehen, wenn nach der Kolli­sion die zurück­fallende Materie in das neu ent­standene schwarze Loch stürzt und dabei auf­grund der enormen Magnet­felder teil­weise in zwei hoch­energe­tische Jets gebündelt wird.

Zunächst schien das helle Aufleuchten um GW170817 auf solche Jets hinzu­deuten. Zwar war kein starkes Gamma-Signal zu beob­achten, das auf einen in Richtung der Erde gebün­delten Jet hin­ge­wiesen hätte. Ein solcher Zufall wäre ohnehin unwahr­schein­lich gewesen. Statt­dessen hätte jedoch auch ein Jet, der nur unge­fähr in unsere Richtung gezeigt hätte, eine ähn­liche Hellig­keit in ver­schie­denen Wellen­längen­bereichen erzeugen können. Das helle ultra­violette, optische und nah­infra­rote Auf­leuchten stammte aus dem radio­aktiven Zer­fall der großen Mengen schwerer, neutronen­reicher Materie – insbe­sondere Gold und Uran –, die bei einer solchen Kilo­nova frei­ge­setzt wird. Die anfangs gemes­senen Radio­wellen sowie Gamma- und Röntgen­strahlen wären jedoch mit einem Jet erklär­bar gewesen.

Bei einem solchen Jet hätte allerdings die Intensität der Strahlung langsam abge­nommen. Kurz nach der Kolli­sion erreichte die Erde bei ihrem Lauf um die Sonne jedoch eine ungünstige Stelle, so dass sich die Sonne etwas ins Blick­feld schob und Röntgen- sowie optische Beob­ach­tungen ver­hinderte. Nur mit Radio­wellen ließ sich die Ent­wick­lung von GW170817 weiter ver­folgen. Deren Inten­sität nahm aber zu anstatt abzu­fallen. Als Erklärung für dieses eigen­artige Verhalten hatten Mansi Kasliwal und Kollegen vom Caltech sowie Ore Gott­lieb von der Uni Tel Aviv das „Kokon-Modell“ vor­ge­schlagen. Danach sammelt sich nach einer Neutronen­stern-Kolli­sion so viel hoch­dichte Materie über den Pol­kappen, dass diese die ent­stehenden Jets absor­bieren und ihre Energie auf­nehmen. Genau dieses Ver­halten konnten Astro­nomen um Kunal Mooley vom Caltech unter anderem mit Hilfe des National Radio Astronomy Obser­va­tory nach­weisen. Wenn sich ein solcher Kokon bildet, sollte aber auch die Röntgen­strahlung im Lauf der Zeit stärker werden.

Der Röntgensatellit Chandra hatte am 2. und 6. Dezember wieder die Gelegen­heit, Messungen an GW170817 vor­zu­nehmen – und fand in der Tat eine gestiegene Röntgen­emission. Vermut­lich stammen sowohl Radio­wellen als auch Röntgen­strahlung von einem expan­die­renden Kokon um das zentrale schwarze Loch. Das wirft natür­lich die Frage auf, wie häufig solche Kokons ent­stehen, wie dicht sie sind und wie oft statt­dessen Jets zu sehen sind. Zwar ist auch denk­bar, dass ein hin­reichend starker Jet den Kokon durch­bricht, doch halten die Forscher dieses Szenario zumindest in diesem Fall für sehr unwahr­schein­lich.

Sollten Kokons bei Neutronenstern-Kollisionen häufiger entstehen, könnten sie auch für eine ganze Reihe bis­lang uniden­tifi­zierter Phäno­mene ver­ant­wort­lich sein: Vom Radio- bis zum Gamma­bereich könnten solche Kokons vorüber­gehende Strahlungs­aus­brüche hervor­rufen. Ein tieferes Ver­ständnis dieser Prozesse wird künftig dank der Zusammen­arbeit von Gravi­tations­wellen- und her­kömm­licher Astro­nomie möglich werden.

Wie Jose María Ezquiaga und Miguel Zumalacárregui in einer weiteren Publi­ka­tion zeigen konnten, lassen sich die Daten von der Neutronen­stern-Ver­schmel­zung auch ander­weitig nutzen. Die Forscher prüften ver­schiedene Theorien zur dunklen Energie und der Expan­sion des Univer­sums darauf­hin, ob sie mit der prak­tisch simul­tanen Aus­brei­tung der Gravi­tations­wellen und der elektro­magne­tischen Signale konform sind. Dabei konnten sie das Standard­modell einer kosmo­lo­gischen Konstanten bestätigen. Der Para­meter­bereich alter­na­tiver Raum­zeit-Modelle hin­gegen ist mit den neuen Messungen stark geschrumpft.

Dirk Eidemüller

RK

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