Komplexes Verhalten metallischer Schmelzen
Neue Erkenntnisse zum Erstarren flüssiger Metalllegierungen zu Glas erweitern Einsteins Theorie über Viskosität und Diffusion.
Hart wie Keramik, leitfähig wie Metall, formbar wie Plastik: das sind extrem harte, elastische und korrosionsbeständige Metalllegierungen. Sie sind besonders in der Medizin, in der Raumfahrt und bei Sportausrüstung wie Golfschlägern gefragt. Die Herstellung dieser metallischen Gläser, die erstmals 1954 in Deutschland entdeckt wurden, ist jedoch sehr aufwendig und teuer, da umfassende wissenschaftliche Grundlagenerkenntnisse bisher fehlen – trotz zurzeit intensiver Forschung.
Abb.: Sri Wahyuni Basuki, Erstautorin der Kieler Studie, im Labor vor der Diffusionsapparatur, mit der nun erstaunliche Forschungsergebnisse erzielt wurden. (Bild: E. Gill, CAU)
Insbesondere die Übergangsphase von der Schmelze bis zum Glas stellt die Forscherinnen und Forscher vor große Rätsel. In kristallinen Festkörpern ist jedes einzelne Atom wie in einem Käfig an seinem Ort gefangen, denn die Teilchen sind dicht und regelmäßig „gepackt“. Völlig anders verhalten sie sich hingegen in einfachen Schmelzen. Das sind Stoffe in der flüssigen Phase, die nur aus einem Element bestehen. In diesem Zustand haben die Atome mehr freies Volumen, um sich gleichzeitig zu bewegen. Dadurch stoßen sie auch aneinander und ändern fortwährend ihre Richtung. Albert Einstein beschrieb dieses Verhalten bereits 1905 in einer Gleichung: In einer einfachen Schmelze bestimmt demnach die Größe der Atome deren Geschwindigkeit. Bei etwa gleicher Atomgröße sollten sich alle Atome nahezu gleich schnell bewegen.
Überraschendes förderte jetzt ein Kieler Forschungsteam um Franz Faupel und Klaus Rätzke mit Kollegen vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln zu Tage: Wie sie mitt Experimenten an Vitreloy-4 nachweisen konnten, einer Legierung aus Zirkonium, Titan, Kupfer, Nickel und Beryllium, verhalten sich komplexe Schmelzen von glasbildenden Legierungen nicht wie einfache Schmelzen.
„Schon mehrere hundert Grad vor dem Einsetzen der Erstarrung stellten wir fest, dass sich unterschiedliche Atomspezies unterschiedlich schnell bewegten“, erklärt Faupel die Untersuchungsergebnisse, „Und dass, obwohl die verschiedenen Atome fast gleich groß sind.“ Die Forschenden hatten zuvor Zirkon- und Cobalt-Atome radioaktiv markiert und beobachteten, dass die Zirkon-Atome bis zu viermal langsamer durch die Schmelze schleichen als die restlichen Atome. „Sie bewegen sich nicht frei, sondern spüren sogar oberhalb der Glasübergangstemperatur das Energiepotential anderer Zirkon-Atome und formen zeitweilig sogar Bindungen mit ihren Nachbarn“, führt Faupel weiter aus.
Abb.: Anhand von Vitreloy-4 konnten die Kieler Wissenschaftler neues Grundlagenwissen über metallische Schmelzen erlangen. (Bild: E. Gill, CAU)
Diese Erkenntnisse bestätigen nicht nur jüngste Theorien in diesem Forschungsfeld, die davon ausgehen, dass die Glasbildung durch das Einfrieren der Bewegung bei bestimmten Temperaturen bedingt ist. Sondern sie könnten auch dazu führen, metallische Gläser zukünftig günstiger und gezielter herzustellen zu können.
CAU / OD