Kondo-Effekt direkt gemessen
Verhalten magnetischer Atome in eindimensionalen Drähten beobachtet.
Ein Forschungsteam aus der experimentellen Physik der Universität zu Köln hat ein langjähriges Problem der Physik der kondensierten Materie gelöst: Sie haben den Kondo-Effekt – die durch magnetische Verunreinigungen verursachte Umgruppierung von Elektronen in einem Metall – direkt an einem einzigen künstlichen Atom sichtbar gemacht. Dies war bislang nicht gelungen, da die magnetischen Orbitale von Atomen mit den meisten Messtechniken nicht direkt beobachtet werden können.
Das internationale Team unter der Leitung von Wouter Jolie hat jedoch eine neue Technik angewandt, um den Kondo-Effekt in einem künstlichen Orbital in einem eindimensionalen Draht zu beobachten, der über einer leitenden Schicht aus Graphen schwebt. Wenn Elektronen, die sich durch ein Metall bewegen, auf ein magnetisches Atom treffen, werden sie vom Spin des Atoms beeinflusst. Bei dem Versuch, die Wirkung des Atomspins abzuschirmen, gruppiert sich der Elektronensee in der Nähe des Atoms und bildet einen neuen Vielteilchenzustand, der als Kondo-Resonanz bezeichnet wird. Dieses kollektive Verhalten wird häufig zur Beschreibung von Metallen verwendet, die mit magnetischen Atomen wechselwirken. Andere Arten von Wechselwirkungen können jedoch zu ganz ähnlichen experimentellen Signaturen führen, was die Rolle des Kondo-Effekts bei einzelnen magnetischen Atomen auf Oberflächen in Frage stellt.
Die Physiker wendeten einen neuen experimentellen Ansatz an, um zu zeigen, dass ihre eindimensionalen Drähte ebenfalls dem Kondo-Effekt unterliegen: Die in den Drähten gefangenen Elektronen bilden stehende Wellen, die man sich als erweiterte Atomorbitale vorstellen kann. Dieses künstliche Orbital, seine Kopplung mit dem Elektronensee sowie die resonanten Übergänge zwischen Orbital und See können mit dem Rastertunnelmikroskop abgebildet werden. Diese experimentelle Technik verwendet eine scharfe Metallnadel, um Elektronen mit atomarer Auflösung zu messen. Dadurch konnte das Team den Kondo-Effekt mit bisher unerreichter Präzision messen.
„Mit magnetischen Atomen auf Oberflächen ist es wie mit der Geschichte von der Person, die noch nie einen Elefanten gesehen hat und versucht, sich seine Form vorzustellen, indem sie ihn in einem dunklen Raum kurz berührt. Wenn man nur den Rüssel fühlt, stellt man sich ein ganz anderes Tier vor, als wenn man die Seite berührt“, sagt Camiel van Efferen, der Doktorand, der die Experimente durchgeführt hat. „Lange Zeit wurde nur die Kondo-Resonanz gemessen. Aber es könnte auch andere Erklärungen für die bei diesen Messungen beobachteten Signale geben – so, wie der Rüssel des Elefanten auch eine Schlange sein könnte.“
Die Forschungsgruppe ist auf das Wachstum und die Erforschung von 2D-Materialien wie Graphen und einlagiges Molybdändisulfid (MoS2) spezialisiert. Sie fanden heraus, dass sich an der Grenzfläche zweier MoS2-Kristalle, von denen einer das Spiegelbild des anderen ist, ein metallischer Draht aus Atomen bildet. Mit ihrem Rastertunnelmikroskop konnten sie gleichzeitig die magnetischen Zustände und die Kondo-Resonanz messen – und das bei einer erstaunlich niedrigen Temperatur von minus 272,75 Grad Celsius, bei der der Kondo-Effekt auftritt.
„Während unsere Messung keinen Zweifel daran ließ, dass wir den Kondo-Effekt beobachteten, wussten wir noch nicht, wie gut unser unkonventioneller Ansatz mit theoretischen Vorhersagen übereinstimmen würde“, fügt Jolie hinzu. Dazu holte sich das Team die Hilfe von zwei theoretischen Physikern, Achim Rosch von der Universität zu Köln und Theo Costi vom Forschungszentrum Jülich, beide weltweit anerkannte Experten auf dem Gebiet der Kondo-Physik. Nach der Auswertung der experimentellen Daten im Jülicher Supercomputer stellte sich heraus, dass die Kondo-Resonanz aus der Form der künstlichen Orbitale in den Magnetdrähten genau vorhergesagt werden konnte, womit eine jahrzehntealte Vorhersage eines der Gründerväter der Physik der kondensierten Materie, Philip W. Anderson, bestätigt wurde.
Die Wissenschaftler planen nun, ihre magnetischen Drähte zu nutzen, um noch exotischere Phänomene zu untersuchen. „Wenn wir unsere 1D-Drähte auf einem Supraleiter oder einer Quanten-Spin-Flüssigkeit platzieren, könnten wir Vielteilchenzustände erzeugen, die aus anderen Quasiteilchen als Elektronen entstehen“, erklärt Camiel van Efferen. „Die faszinierenden Materiezustände, die sich aus diesen Wechselwirkungen ergeben, können wir nun klar erkennen, was uns erlaubt, sie auf einer völlig neuen Ebene zu verstehen.“
U. Köln / JOL