Verhakt und versteift in einem wirren Wurmknäuel
Physiker untersuchen die Bewegung in Knäueln aus aktiven, sich selbst bewegenden flexiblen Polymerketten.
Physiker der Uni Düsseldorf haben zusammen mit Kollegen aus Darmstadt und Dresden die Bewegung in Knäueln aus aktiven, sich selbst bewegenden flexiblen Polymerketten untersucht. Dabei fanden sie neue physikalische Gesetze, mit denen sie auch lebende Wurm- und Tentakelcluster beschreiben können. Die Forscher beschreiben, dass durch die aktive Bewegung lebender Individuen neuartige interne Verhakungen auftreten, die ein solches dynamisches Knäuel so versteifen können, dass sie praktisch wie ein Feststoff sind.

Regenwürmer finden sich oft zu einem Knäuel zusammen, aus dem sie sich kaum befreien können. Ein ähnlich aktiv zappelndes Gebilde entsteht, wenn sich die Tentakel von Feuerquallen verhaken. Tentakelroboter machen sich dies zu Nutze, indem sie mit einer Vielzahl von künstlichen flexiblen Armen Objekte greifen und bewegen. Und auch auf der kleineren Mikrometerskala finden sich solche vernetzten, sich bewegende Filamente, zum Beispiel in einer biologischen Zelle.
Die Ketten oder Tentakel werden auch Polymerketten genannt. Sind diese nur thermischem Rauschen unterworfen, wird die Struktur und Dynamik solcher Knäuel von der klassischen Polymerphysik beschrieben. Die theoretische Beschreibung fußt auf einem Röhrenbild: Eine Polymerkette kriecht zufällig innerhalb einer gewundenen Röhre, die durch ihre Nachbarn gebildet wird, hin und her.
„Mit diesem Bild können Physiker vorhersagen, wie schnell sich eine Kette aus einem Knäuel befreien kann“, so Hartmut Löwen von der Uni Düsseldorf. „Dies hängt entscheidend über ein sogenanntes Skalierungsgesetz mit einem universellen Exponenten mit der Kettenlänge zusammen, also: Um welchen verlängert sich die Zeit, bis sich eine Kette befreit hat, wenn sie doppelt so lang ist.“ Für diese Polymermodellierung erhielt Pierre-Gilles de Gennes im Jahr 1991 den Physiknobelpreis.
Offen war bisher aber, wie sich das Modell verändert, wenn die Polymere aktiv sind, sich also beispielsweise aus zufällig zitternden Ketten lebender Würmer bestehen. Diese zentrale Frage aus dem Forschungsgebiet der „aktiven weichen Materie“ blieb lange Zeit ungelöst. Das Team um Löwen ist nun mit Hilfe großangelegter Computersimulationen dieser Dynamik auf die Spur gekommen. Es konnte zeigen, dass sich die Skalierungsgesetze grundlegend ändern: Der zugehörige Exponent verändert sich deutlich im Vergleich zum passiven Fall von zufällig extern angestoßenen Ketten.
Dabei haben die Forscher nicht nur den neuen Exponenten bestimmt, sondern entwarfen auch ein neues Röhrenbild, in welchem die neuen Phänomene eingeordnet und anschaulich verstanden werden können. Sie stellten damit fest, dass sich die Steifigkeit dieser lebenden Polymermasse extrem erhöht, weil sich ein lebendes System von selbst durch interne Greifkräfte verhakt und blockiert. Die neuen Gesetze revolutionieren nach Ansicht der Forscher die Polymerphysik. Sie zeigen, dass lebendige Systeme sich sehr einfach kollektiv verhaken, wodurch sie insgesamt versteifen. Intuitiv würde man dagegen erwarten, dass sie sich schneller befreien können, weil sie sich aktiv bewegen.
Löwen weist darauf hin, dass diese Erkenntnisse einen praktischen Nutzen haben können: „Mit ihnen können neue, smarte Materialien entwickelt werden, die sich auf Knopfdruck versteifen, also ihre viskoelastischen Eigenschaften drastisch ändern.“
HHU Düsseldorf / RK