03.08.2021

Korrelierte Metalle für unkonventionelle Supraleiter

Neue Einblicke dank resonant-inelastischer Röntgen-Streuung.

Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI und des Brookhaven National Laboratory haben in einem inter­nationalen Team eine neue Methode für komplexe Röntgen­untersuchungen entwickelt, mit der korrelierte Metalle besser verstanden werden können. Diese Materialien könnten für praktische Anwendungen in der Supraleitung, Daten­verarbeitung oder in Quanten­computern nützlich sein. 

Abb.: Thorsten Schmitt an der Experimentier­station der Synchrotron...
Abb.: Thorsten Schmitt an der Experimentier­station der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS am PSI. (Bild: M. Dzambegovic, PSI)

In Substanzen wie Silizium oder Aluminium wirkt sich die gegenseitige Abstoßung der Elektronen kaum auf die Material­eigenschaften aus. Nicht so bei den korrelierten Materialien, bei denen die Elektronen stark miteinander wechselwirken. Die Bewegung eines Elektrons in korrelierten Materialien führt zu einer komplexen und koordinierten Reaktion der anderen Elektronen. Solche gekoppelten Prozesse sind das, was diese korre­lierten Materialien so vielversprechend für praktische Anwendungen, aber auch so kompliziert zu verstehen macht. Stark korrelierte Materialien sind Kandidaten für neuartige Hoch­temperatur-Supraleiter, die den Strom verlustfrei leiten können und die in der Medizin beispielsweise bei der Magnetresonanz­tomografie Anwendung finden. Außerdem lassen sich mit ihnen elek­tronische Komponenten oder sogar Quantencomputer bauen, mit denen man Daten effizienter verarbeiten und speichern kann.

„Stark korrelierte Materialien zeigen eine Fülle von faszinierenden Phänomenen“, sagt Thorsten Schmitt, Leiter der PSI-Forschungs­gruppe für Spektro­skopie neuartiger Materialien. „Das Verständnis und die Nutzung des komplexen Verhaltens, das diesen Phänomenen zugrunde liegt, stellt jedoch eine große Heraus­forderung dar.“ Schmitt und seine Forschungsgruppe packen diese Aufgabe mithilfe einer Methode an, für welche sie die intensive und hoch präzise Röntgen­strahlung der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS nutzen. Das Verfahren heißt resonant-inelastische Röntgen-Streuung oder kurz RIXS für „Resonant Inelastic X-ray Scattering“. Mit RIXS wird weiche Röntgen­strahlung an einer Probe gestreut. Der einfallende Röntgenstrahl wird genauso abgestimmt, dass er Elektronen von einem niedrigeren Elektronen­orbital in ein höheres Orbital anhebt. Dadurch gerät das System aus dem Gleichgewicht. Verschiedene elektro­dynamische Prozesse führen es zurück in den Grundzustand. Dabei wird die über­schüssige Energie zum Teil wieder als Röntgenlicht ausgesendet. Das Spektrum dieser inelastisch gestreuten Strahlung gibt Aufschluss über die zugrunde liegenden Prozesse und damit über die elektronische Struktur des Materials.

„RIXS hat sich in den letzten Jahren zu einem leistungsfähigen, experimentellen Werkzeug entwickelt, um die Komplexität von korrelierten Materialien zu entschlüsseln“, erklärt Schmitt. Damit wurden ins­besondere korrelierte Isolatoren untersucht, was sehr gut funktioniert. Bei korrelierten Metallen hat diese Methode jedoch bislang versagt. Sie scheiterte an der Inter­pretation der äußerst komplizierten Spektren, verursacht durch viele verschiedene elektro­dynamische Prozesse während der Streuung. „Die Zusammenarbeit mit Theo­retikern ist dabei unerlässlich“, erklärt Schmitt, „denn sie können die im Experiment beobachteten Prozesse simulieren.“ 

Der theoretische Physiker Keith Gilmore, damals am Brookhaven National Laboratory, heute an der Humboldt-Universität zu Berlin, ist darauf spezialisiert. „Die Berechnung der RIXS-Resultate von korrelierten Metallen ist deshalb schwierig, weil man gleichzeitig mehrere Elektronen­orbitale, große Bandbreiten und eine Vielzahl von elek­tronischen Wechsel­wirkungen handhaben muss“, sagt Gilmore. Korrelierte Isolatoren sind da einfacher zu handhaben, weil weniger Orbitale involviert sind, die es erlauben Modell­rechnungen anzustellen, die explizit alle Elektronen einbeziehen. „In unserer neuen Beschreibungs­methode der RIXS-Prozesse kombinieren wir nun die Beiträge, die von der Anregung eines Elektrons herrühren, mit der koor­dinierten Reaktion aller Elektronen“, präzisiert er.

Um die Berechnung zu testen, experimentierten die Forscher mit Barium­eisenarsenid. Versetzt man das Material mit einer bestimmten Menge von Kaliumatomen, wird es supraleitend. Es gehört damit zu einer Klasse von unkonven­tionellen Hoch­temperatur-Supra­leitern auf Eisenbasis, von denen man sich ein besseres Verständnis des Phänomens verspricht. „Bisher wurde die Interpretation der RIXS-Messungen an solchen komplexen Materialien hauptsächlich von Intuition geleitet. Nun erhalten wir Experimen­tatoren durch diese RIXS-Berechnungen einen Rahmen, mit dem man die Resultate konkreter interpretieren kann. Unsere RIXS-Messungen am PSI an Bariumeisen­arsenid stimmen hervorragend mit den berechneten Profilen überein“, sagt Pelliciari.

In ihren Experimenten untersuchten die Forschenden die Physik um das Eisenatom herum. „Ein Vorteil von RIXS ist, dass man sich auf eine bestimmte Komponente konzen­trieren und diese genau für Materialien untersuchen kann, die aus mehreren Elementen bestehen“, sagt Schmitt. Der fein abgestimmte Röntgenstrahl bewirkt, dass beim Eisenatom ein inneres Elektron vom Grundzustand im Rumpfniveau ins darüber liegende, nur teilweise besetzte Valenzband angehoben wird. Diese Anregung des zentralen Elektrons kann weitere sekundäre Anregungen verursachen und viele komplizierte Zerfalls­prozesse auslösen, die sich schließlich in spektralen Satelliten-Strukturen manifestieren. 

Da die Beiträge der vielen Reaktionen teilweise klein sind und nahe beieinanderliegen, ist es schwierig, herauszufinden, welche Prozesse im Experiment tatsächlich statt­gefunden haben. Hier hilft die Kombination von Experiment und Theorie. „Hat man bei schwierigen Experimenten keine Theorie­unterstützung, kann man die Prozesse, also die Physik dahinter nicht im Detail verstehen“, sagt Schmitt. Das Gleiche gelte aber auch für die Theorie: „Man weiß oft nicht, welche Theorien realistisch sind, bevor man diese nicht mit einem Experiment vergleichen kann. Der Fortschritt im Verständnis kommt im Besonderen dann, wenn man Experiment und Theorie zusammenbringt. Diese Beschreibungs­methode hat somit Potenzial, eine Referenz für die Interpretation von spektro­skopischen Experimenten an korrelierten Metallen zu werden.“

PSI / JOL

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