22.05.2018

Kosmische Ravioli und Spätzle

Entstehung der seltsam geformten inneren Saturn­monde simu­liert.

Als Martin Rubin von der Uni Bern erstmals die Bilder der Saturn­monde Pan und Atlas sah, war er ver­blüfft. Die Nah­auf­nahmen der Cassini-Raum­sonde im April 2017 zeigten Objekte, welche die NASA in ihrer Presse­mittei­lung als „fliegende Unter­tassen“ mit einem Durch­messer von etwa dreißig Kilo­metern beschrieb. Mit ihrem flachen Rand und dem bauchigen Zentrum gleichen Pan und Atlas auch riesigen Ravioli. Rubin dachte über den möglichen Ursprung der merk­würdigen Objekte nach und fragte seinen Kollegen Martin Jutzi, ob sie das Ergebnis von Kolli­sionen sein könnten. Denn Jutzi hatte schon früher mit Computer­simula­tionen gezeigt, dass der eben­falls seltsam geformte Komet Tschur­jumow-Gerassi­menko auf diese Weise geformt wurde.

Abb.: Entstehung von Atlas, einem der kleinen, inneren Monde des Saturns. Seine flache, ravioli­artige Form kam bei der Kolli­sion und Ver­schmel­zung zweier gleich großer Körper zustande. Die Illus­tra­tion zeigt einen Moment, bevor die Neu­aus­rich­tung des Mondes auf­grund der Gezeiten abge­schlossen ist. (Bild: A. Verdier)

Jutzi und Adrien Leleu vom Nationalen Forschungsschwerpunkt PlanetS nahmen die Heraus­forde­rung an, den Ent­stehungs­prozess der kleinen, inneren Saturn­monde zu berechnen. Die ersten, ein­fachen Tests funktio­nierten gut. „Aber dann berück­sich­tigten wir die Gezeiten­kräfte und die Probleme häuften sich“, erinnert sich Leleu. „Die Bedin­gungen in der Nähe von Saturn sind sehr speziell“, so Jutzi. Die Gezeiten­kräfte sind enorm und ziehen fast alles aus­ein­ander. Eine all­mäh­liche Anhäu­fung von Material um einen Kern hätte niemals Objekte mit diesen eigen­artigen Formen hervor­ge­bracht. Schon früher schlugen Forscher daher ein alter­natives Ent­stehungs­modell vor: Dem­nach wurden diese Monde durch eine Reihe von Fusionen kleinerer Mini­monde geformt.

Nachdem die Forscher ihre anfänglichen Probleme gelöst hatten, konnten sie dieses Modell veri­fi­zieren. Und noch mehr: Sie zeigten, dass die Kolli­sionen der Mini­monde zu genau den­jenigen Formen führen, die auf den Bildern von Cassini zu sehen sind. Nahezu frontale Zusammen­stöße ergeben abge­flachte, ravioli­artige Objekte wie Atlas und Pan. Kolli­sionen mit etwas schrägeren Auf­treff­winkeln führen zu läng­lichen, spätzle­artigen Formen, die aus­sehen wie der neunzig Kilo­meter lange Mond Prome­theus, den Cassini eben­falls foto­gra­fiert hat.

Ausgehend von den heutigen Umlaufbahnen der Monde und ihrer Umge­bung konnten die Forscher ab­schätzen, dass die Auf­prall­geschwin­dig­keiten in der Größen­ord­nung von wenigen zehn Metern pro Sekunde lagen. Simu­la­tionen in diesem Bereich mit ver­schie­denen Auf­prall­winkeln ergaben unter­schied­liche, stabile Formen wie Ravioli und Spätzle, jedoch nur für niedrige Auf­prall­winkel. „Ist der Auf­prall­winkel grösser als zehn Grad, sind die resul­tie­renden Formen nicht mehr stabil“, sagt Leleu. „Des­halb sehen die kleinen Saturn­monde ganz anders aus als Kometen, die oft eine zwei­teilige Form haben“, erklärt Jutzi.

Interessanterweise sind Frontalzusammenstöße nicht so selten, wie man meinen könnte. Die kleinen, inneren Monde stammen wahr­schein­lich von den Ringen des Saturns, einer dünnen Scheibe in der Äquator­ebene des Planeten. Saturn ist zudem keine perfekte Kugel, sondern abge­plattet, was es jedem Objekt schwer­macht, diese schmale Ebene zu ver­lassen. Deshalb sind fast frontale Kolli­sionen häufig und der Auf­prall­winkel wird bei nach­folgenden Zusammen­stößen noch geringer. „Ein erheb­licher Teil der Ver­schmel­zungen bei einer Kolli­sion findet ent­weder schon bei der ersten Begeg­nung statt oder nach ein bis zwei Zusammen­stößen“, fassen die Forscher zusammen. „In dieser Hin­sicht ist Saturn ein besonders ein­faches System, um diese Prozesse zu unter­suchen“, sagt Rubin.

Obwohl die Forscher vor allem die kleinen, inneren Monde des Saturns unter­suchten, fanden sie auch eine mögliche Erklä­rung für ein lang­jähriges Rätsel um den dritt­größten Saturn­mond Iapetus. Warum hat Iapetus eine abge­plattete Form und einen schmalen, hohen Gebirgs­zug rund um den Äquator? „Gemäß unseren Simu­la­tionen könnten diese Merk­male das Ergebnis einer Fusion von Monden ähn­licher Größe sein, die nahezu frontal auf­ein­ander trafen, ähn­lich wie die kleineren Monde“, so die Forscher.

U. Bern / RK

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