Kosmische Turbulenzen prägen Struktur von Galaxien
Computersimulation kartiert magnetische Unordnung des interstellaren Mediums.
Wie verhält sich Turbulenz im Raum zwischen den Sternen unserer Galaxie? In einer großangelegten Computersimulation hat ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung von Ralf Klessen vom Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH), die gesamte Bandbreite der turbulenten Energie im interstellaren Medium mit bisher unerreichter numerischer Auflösung kartiert. Berücksichtigt wurden bei dieser detaillierten quantitativen Kartierung auch die komplexen magnetischen Eigenschaften dieser kosmischen Unordnung. Die Ergebnisse liefern wichtige Einblicke in Prozesse, die die Struktur und Entwicklung von Galaxien prägen, darunter auch die Sternentstehung.

Im Gegensatz zu dem auf der Erde zu beobachtenden Phänomen – chaotische, scheinbar zufällige Bewegungen in Luft oder Wasser – entstehen Turbulenzen im Weltraum in einem Plasma. Das heiße, elektrisch geladene Gas ist von Magnetfeldern durchdrungen ist und wird von diesen stark beeinflusst. Das macht es besonders schwierig, zu beobachten und zu modellieren, was im interstellaren Medium vor sich geht. Das internationale Forschungsteam hat nun die weltweit größte Simulation entwickelt, um magnetisierte Turbulenzen unter galaktischen Bedingungen nachzubilden. Ihre hochpräzisen Daten zeigen deutliche Abweichungen zu klassischen Modellen. Die Forscherinnen und Forscher konnten beobachten, dass grundlegende Prinzipien der Turbulenztheorie im Fall magnetisierter Plasmen nicht gültig sind.
Ein zentraler Prozess der Turbulenztheorie ist die turbulente Kaskade: Dabei wird Energie, die auf großen Skalen in ein Fluid oder Plasma eingebracht wird, schrittweise auf immer kleinere Skalen übertragen, bis sie schließlich als Wärme abgegeben wird. „Im interstellaren Medium erstreckt sich eine solche Kaskade über viele Größenordnungen – weit mehr, als sich bislang mit gängigen Computern realistisch simulieren ließ“, sagt Ralf Klessen. Von besonderer Bedeutung ist dabei der Übergang zwischen Überschall- und Unterschallturbulenz, weil astrophysikalische Plasmen oft Überschallströmungen aufweisen. „Die Schallskala stellt einen entscheidenden Parameter in unseren theoretischen Modellen zur Sternentstehung dar. Erstmals ist es uns in dieser neuen Berechnung gelungen, diesen wichtigen Übergang unter dem Einfluss von Magnetfeldern an einem Hochleistungs-Supercomputer detailliert aufzulösen und zu beschreiben“, sagt Klessen.
Ein wichtiger Parameter der großangelegten Computersimulation ist die Reynolds-Zahl. Dabei handelt es sich um eine dimensionslose Größe, die das Verhältnis von Trägheitskräften zu zähflüssigen Kräften in einer Fluidströmung misst. Für die aktuellen Berechnungen mit Reynolds-Zahlen von über einer Million wurden achtzig Millionen Stunden an Prozessorzeit benötigt, verteilt auf 140.000 Rechenkerne eines Supercomputers des Leibniz-Rechenzentrums. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass Magnetfelder maßgeblich beeinflussen, wie Energie im interstellaren Medium kaskadiert: Sie unterdrücken kleinräumige Bewegungen und verstärken bestimmte wellenartige Störungen, die lokal die Bedingungen für die Entstehung neuer Sterne schaffen.
„Mit unserer Simulation konnten wir charakterisieren, wie sich turbulente Energie von den größten galaktischen Skalen bis hinunter zu den Skalen verteilt, auf denen die Sternentstehung beginnt“, so Ralf Klessen. „Unsere Galaxie ist kein statisches, sondern ein dynamisches, von Turbulenzen beeinflusstes System, und die aktuellen Forschungserkenntnisse bringen uns dem Verständnis der physikalischen Gesetze, die diese kosmische Unordnung bestimmen, einen Schritt näher.“
U. Heidelberg / JOL