06.11.2015

Kranker Beton

Bislang unbekannte kristalline Anordnung verursacht Risse.

Wenn Brücken, Staumauern und andere Bauwerke aus Beton nach Jahrzehnten von dunklen Rissen durchzogen sind, dann ist AAR die Ursache: die Alkali-Aggregat-Reaktion. Umgangs­sprachlich auch Betonkrankheit oder gar Beton­krebs genannt, handelt es sich um eine chemische Reaktion zwischen im Beton vorhandenen Stoffen und von außen eindringender Feuchtigkeit. Wie das Material, das im Zuge der AAR entsteht, auf der Ebene einzelner Atome aufgebaut ist, haben jetzt Forscher des Paul-Scherrer-Instituts gemeinsam mit Kollegen des Material­forschungs­instituts Empa entschlüsselt – und dabei eine bislang unbekannte kristalline Anordnung der Atome entdeckt.

Abb.: Die Betonkrankheit: Nahaufnahme von Rissen in Beton, die aufgrund der Alkali-Aggregat-Reaktion (AAR) entstanden sind. (Bild: A. Leemann, Empa)

Bei der AAR sind die Grundzutaten des Betons selbst das Problem: Zement – der Haupt­bestand­teil von Beton – enthält Alkali­metalle wie Natrium und Kalium. In den Beton ein­dringende Feuchtig­keit – beispielsweise durch Regen – wird dadurch alkalisch. Die zweite Haupt­zutat von Beton sind Sand und Kies. Diese wiederum bestehen aus minera­lischen Gesteinen, beispiels­weise Quarz oder Feldspat. Chemisch betrachtet handelt es sich bei diesen Mineralien um Silikate. Mit diesen Silikaten reagiert nun das alkalische Wasser und führt zur Bildung von Alkali-Kalzium-Silikat-Hydrat. Dieses wiederum kann Feuchtig­keit aufnehmen. Dadurch allerdings dehnt es sich aus und sprengt mit der Zeit den Beton von innen. Da die AAR sehr langsam geschieht, entstehen zunächst winzige Risse, die mit bloßem Auge nicht sichtbar sind. Im Laufe von drei, vier Jahr­zehnten wachsen die Risse jedoch auf beträcht­liche Breite und bedrohen schließlich die Dauer­haftig­keit des gesamten Beton-Bauwerks.

„Die meisten Bauwerke, die heute an AAR leiden, wurden zwischen den 1960er und 1980er Jahren erbaut“, erklärt Erich Wieland vom PSI. „Auf das Problem der AAR ist die Forschungs­gemeinde in Europa erst in den 1970er Jahren aufmerksam geworden.“ Auch wenn die chemischen Vorgänge der AAR schon lange bekannt sind – die physika­lische Struktur des im Zuge der AAR entstehenden Alkali-Kalzium-Silikat-Hydrats hatte bisher noch niemand identifiziert. Diese Wissens­lücke konnten die Forscher des PSI und der Empa nun schließen. Dafür unter­suchten sie die Substanz einer 1969 erbauten Schweizer Brücke, die stark von AAR betroffen ist.

Eine Materialprobe wurde so lange herunter­geschliffen, bis eine hauch­dünne Probe von nur 0,02 Milli­meter Dicke übrig blieb. Diese Probe ließ sich an der Synchro­tron-Licht­quelle Schweiz SLS mit einem extrem schmalen Röntgen­strahl durch­leuchten, der fünfzig Mal dünner ist als ein mensch­liches Haar. Mittels Diffraktions­messungen und einer aufwändigen Daten­analyse konnten die Forscher die Kristall­struktur des Materials punkt­genau bestimmen. Es zeigte sich, dass das Alkali-Kalzium-Silikat-Hydrat eine bisher nie dokumentierte Silizium-Schichten-Kristall­struktur aufweist.

„Es gibt prinzipiell die Möglichkeit, dem Beton organische Stoffe beizu­mengen, die den Spannungs­aufbau reduzieren können“, erklärt Empa-Forscher Andrea Leemann. „Unsere neuen Ergebnisse stellen diese Über­legungen auf ein wissen­schaftliches Fundament und könnten die Basis für neue Material­entwicklungen sein.“

PSI / RK

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