Krebsnebelpulsar: „Kalter“ Wind erzeugt „heißeste“ Gammastrahlen
Die gepulste Höchstenergiestrahlung vom Krebspulsar beruht auf der abrupten Beschleunigung eines ultraschnellen Winds aus „kalten“ Elektronen und Positronen.
Der Krebspulsar ist das Ergebnis der spektakulären Supernova, die im Jahre 1054 n. Chr. im Sternbild Stier aufleuchtete. Er hat 1,4 bis 2 Sonnenmassen und einen Durchmesser von nur 28 bis 30 km. Gemeinsam mit dem ihn umgebenden Krebsnebel gehört er zu den am besten untersuchten astronomischen Objekten. Astrophysiker gehen von der Existenz eines relativistischen Winds aus Elektronen und Positronen aus, der aus der Magnetosphäre des Krebspulsars entweicht und dann im interstellaren Medium endet. Die Entwicklung dieses Windes verläuft in drei aufeinanderfolgenden Phasen: In etwa 1000 Kilometern Abstand vom Pulsar wird die Rotationsenergie des Pulsars in elektromagnetische Energie umgewandelt, die dann ihrerseits in Bewegungsenergie des Elektron-Positron-Plasmas konvertiert, den Wind also beschleunigt. Schließlich endet der Wind durch Kollision mit der umgebenden Materie in einer stehenden Stoßfront in etwa 0,3 Lichtjahren Entfernung. Dabei erhalten Elektronen und Positronen extrem hohe Energien und verursachen dann die ausgedehnte nicht-thermische Strahlung des Krebsnebels. Um die beobachteten Daten erklären zu können, sollten alle drei Prozesse außerordentlich effizient verlaufen.
Abb.: Der Krebsnebel (Messier 1) im Sternbild Stier, aufgenommen vom Hubble-Weltraumteleskop (unten links). Der Ausschnitt rechts zeigt ein Komposit aus sichtbarem Licht (rot) und Röntgenstrahlung (blau) mit dem Pulsar als Zentralstern. An der Schockfront trifft in 0,3 Lichtjahren Entfernung vom Pulsar der ultrarelativistische Wind aus Elektronen und Positronen auf den umgebenden Nebel. (Bild: MPIK / Nasa)
Die dritte Schlüsselkomponente, der Wind, die den Energietransport vom Pulsar zum Nebel ermöglicht, entzieht sich der direkten Beobachtung durch die Teleskope der Astronomen. Denn obwohl der Wind selbst relativistisch ist, sind im mitbewegten System die Elektronen „kalt”: sie weisen keine Relativbewegung zum Magnetfeld auf und emittieren daher keine Strahlung. Allerdings gibt der Wind im Gammabereich Strahlung ab, wenn Röntgen-Photonen aus der Magnetosphäre oder der Oberfläche des Neutronensterns durch die schnellen Elektronen und Positronen des Windes zu höheren Energien hin streuen. Felix Aharonian, Sergey Bogovalov und Dmitry Khangulyan konnten jetzt zeigen, dass sich die überraschende Entdeckung gepulster sehr hochenergetischer Gammastrahlung tatsächlich am besten über derartige inverse Compton-Streuung erklären lässt. Gepulste Röntgen-Photonen des Pulsars wechselwirken mit schnellen Elektronen des Windes vorwiegend in deren Beschleunigungszone. Der Wind ist somit die Quelle der gepulsten Gammastrahlung und erklärt die Beobachtungen mit nur drei Parametern: Beschleunigungsort des Windes, Endgeschwindigkeit und Anisotropie.
Abb.: Der Pulsarwind aus Elektronen und Positronen (e–, e+) bildet in der Beschleunigungszone energiereiche Gammaquanten (γ) durch Invers-Compton-Streuung von Röntgenquanten (X) aus der Magnetosphäre sowie in großer Entfernung an der Schockfront zum interstellaren Medium. (Bild: MPIK)
Wenn diese Erklärung zutrifft, dann liefert die Entdeckung gepulster, sehr hochenergetischer Gammastrahlung den ersten Beobachtungsnachweis für die Existenz eines kalten, ultraschnellen Elektron-Positron-Windes im Krebspulsar. Die Gammabeobachtungen ermöglichen eine gute Lokalisierung der Stelle, an der sich die elektromagnetische Energie des Windes in Bewegungsenergie umwandelt, sowie eine gute Abschätzung der Geschwindigkeit, mit der dieser Übergang erfolgt. Die Ergebnisse zeigen eine nahezu plötzliche Beschleunigung des Windes auf ultra-relativistische Geschwindigkeiten in einem engen zylindrischen Abstandsbereich von 20.000 bis 50.000 Kilometern um die Rotationsachse des Pulsars. Obwohl die gefundene, ultraschnelle Natur des Windes die allgemeine Grundvorstellung von Pulsarwinden unterstützt, bedeutet diese schnelle Umwandlung in einer engen Zone nicht allzu weit vom Pulsar entfernt eine Herausforderung für bestehende Modelle.
MPIK / OD