04.09.2023

Künstliche Quantenwelten im Labor

Quantensimulatoren kommen da weiter, wo Computer an Grenzen stoßen. Die neue „Physik in unserer Zeit“ erläutert den Stand der Dinge.

Simulation oder Rechnung? Nur zu oft stellt sich diese Frage bei einer Vielfalt von Problemstellungen im technischen und natur­wissenschaftlichen Bereich. Nehmen wir etwa den wichtigen Fall, dass die Aero­dynamik eines Autos oder Flugzeugs optimiert werden soll. Auf Supercomputern können wir diese Eigenschaften mithilfe von Finite-Elemente-Methoden versuchen vorherzusagen – und das mit großem Erfolg! Trotzdem verzichten wir auch heute nicht darauf, die realen Modelle der Fahrzeuge im Windkanal zu testen. Warum? Die komplexen Rechnungen der Strömungs­mechanik, die zahlreiche Näherungs­methoden beinhalten, müssen überprüft und weiter optimiert werden – es geht in vielen Fällen ja auch um besondere Sicherheits­aspekte, die genau validiert sein wollen.

 

Abb.: Immanuel Bloch ist Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in...
Abb.: Immanuel Bloch ist Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching, Professor für Experimentalphysik an der LMU München und einer der Sprecher des Munich Center for Quantum Science and Technology (MCQST)

Bei Aufgabenstellungen aus der Quantenphysik ist die Problematik oft noch viel komplexer. Systeme aus vielen Quantenteilchen – Elektronen, Neutronen, Protonen, Atomen etc. – machen einen Großteil unserer Umwelt aus. Ein besonderes Problem liegt darin, dass in der Quanten­physik ein System in einer Überlagerung verschiedener Konfigurationen vorliegen kann. Stelle man sich eine Festplatte vor, in der die N Bits der Dateien in der Ausrichtung einzelner winziger Elementar­magnete gespeichert sind. Zeigt der Magnet in eine Richtung, entspricht dies einer logischen 0, zeigt er in die entgegen­gesetzte Richtung, so entspricht dies einer logischen 1. Auf einer Festplatte liegt genau eine der 2N möglichen Konfigurationen vor, welche die gesamten Daten des Computers abbildet.

In einem entsprechenden Quantensystem aus N Magneten können jedoch alle diese Konfigurationen gleichzeitig präsent sein. Also benötigen wir für ein System von N Elementar­magneten 2N komplexe Zahlen, um nur den Zustand dieses Systems aufzuschreiben und abzuspeichern. Schon für eine kleine Zahl von nur 300 Magneten bräuchten wir dazu einen Computer, der mehr Speicherplätze enthält, als wir heute die Menge an gesamter sichtbarer Materie im Universum abschätzen! Sehr schnell wird dies also mit steigender Systemgröße zu einer unmöglichen Aufgabe.

Wir müssen also zwangsweise versuchen, hier effiziente Näherungsmethoden zu entwickeln, um dieses Problem auf klassischen Computern zu berechnen. Oft stellt sich hier aber das gleiche Problem wie in der Strömungs­mechanik: Die Näherungsmethoden sind häufig empirisch, und man kennt die Grenzen ihrer Gültigkeit nicht sehr gut. Auch hier brauchen wir also eine natürliche Modellierung, mit der wir diese Rechen­methoden überprüfen können.

Der amerikanische Nobelpreisträger Richard Feynman erkannte dies in einer wegweisenden Arbeit bereits im Jahre 1982. Dort argumentierte er, dass es in Zukunft wohl vorteilhaft sein werde, komplexe Quantensysteme durch kontrollierbare Quantensysteme zu modellieren und zu berechnen: Die Idee des Quantensimulators und Quanten­computers war geboren.

Was damals noch als Fantasie erschien, ist heute in zahlreichen Laboren weltweit Realität. Forscherinnen und Forscher entwerfen künstliche Quantensysteme, indem sie zum Beispiel Atome in Interferenz­mustern aus Licht einfangen, um mit diesen das Verhalten von Elektronen in Festkörpern zu studieren.

Das helle und dunkle Interferenzmuster aus Licht bildet dabei eine Kristallstruktur, in der die Atome über optische Dipolkräfte frei schwebend im Raum gefangen werden können. Der Abstand zwischen einzelnen Gitterplätzen dieses Kristalls ist dabei allerdings ungefähr 10.000 Mal größer als jener in einem echten Material, auf dieser Mikrometer­skala können wir alles „Atom für Atom“ fotografieren und beobachten. Das „Sozialverhalten“ kann so genauestens und unter kontrollierten Bedingungen studiert werden.

Robert Ott und Philipp Hauke beschreiben in der neuen Ausgabe der „Physik in unserer Zeit“ sogar noch weitergehende Möglichkeiten, mit denen erste Simulationen von hochkomplexen Phänomenen aus der Hochenergie­physik im Labor unter künstlichen Bedingungen gelingen. Eine spannende neue Richtung, die wegweisende neue Forschungs­möglichkeiten eröffnet!

Auch wenn die bisherigen Quanten­simulationen noch weitgehend auf klassischen Rechnern berechenbar sind, so lässt sich auch hier hoffen, dass wir schon bald in einen Bereich vorstoßen werden, wo dies nicht mehr der Fall sein wird und wir wissenschaftliches Neuland entdecken. Feynman sei Dank!

Immanuel Bloch

 

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