05.09.2022

Labor auf dem Fingernagel

Infrarotsensor auf fingernagelgroßem Chip analysiert Inhaltsstoffe von Flüssigkeiten in Sekundenbruchteilen.

Was machen die Moleküle gerade im Reagenzglas? In der chemischen Technologie ist es oft wichtig, exakt zu messen, wie sich die Konzentration bestimmter Substanzen verändert – oft auf einer Zeitskala von Sekunden. Gerade in der Pharma­industrie müssen solche Messungen extrem präzise und zuverlässig sein. An der TU Wien wurde nun ein neuartiger Sensor entwickelt, der sich dafür hervorragend eignet und mehrere bisher unerreichte Vorteile miteinander verbindet: Durch maßgeschneiderte Infrarot-Technologie ist er deutlich sensitiver als andere Standard-Messgeräte, er ist für einen großen Bereich unterschiedlicher Molekül­konzentrationen einsetzbar, er kann auf Grund seiner chemischen Robustheit direkt in der Flüssigkeit operieren und liefert damit Daten in Echtzeit, innerhalb von Sekunden­bruchteilen.

 

Abb.: Der Sensor­chip in einem Plastik­gehäuse (Bild: Hurnaus / TU Wien)
Abb.: Der Sensor­chip in einem Plastik­gehäuse (Bild: Hurnaus / TU Wien)

„Um die Konzentration von Molekülen zu messen, verwenden wir Strahlung im mittleren Infrarot­bereich“, sagt Borislav Hinkov, Leiter des Forschungs­projekts vom Institut für Festkörper­elektronik der TU Wien. Das ist eine bewährte Technik: Viele Moleküle absorbieren ganz bestimmte Wellenlängen im Infrarot­bereich, andere Wellenlängen lassen sie durch. So haben verschiedene Moleküle ihren ganz spezifischen Infrarot-Fingerabdruck. Wenn man misst, welche Wellen­längen wie stark absorbiert werden, kann man daher feststellen, wie hoch die Konzentration eines bestimmten Moleküls in der Probe gerade ist.

Besonders in gasförmigen Proben verwendet man Infrarot-Spektroskopie schon lange. Neu ist allerdings, dass es nun gelungen ist, diese Technologie extrem kompakt auf einem etwa finger­nagel­großen Chip unterzubringen, der speziell für Flüssigkeiten geeignet ist. Das ist nicht nur eine technologische, sondern auch eine analytische Herausforderung, weil Flüssigkeiten die Infrarot­strahlung viel stärker absorbieren. Realisiert wurden diese Sensoren in Zusammenarbeit mit Benedikt Schwarz vom Festkörper­elektronik-Institut und im Zentrum für Mikro- und Nanostrukturen, dem hochmodernen Reinraum der TU Wien, hergestellt.

„Wenige Mikroliter Flüssigkeit reichen bei uns für eine Messung aus“, sagt Borislav Hinkov. „Und der Sensor liefert Daten in Echtzeit – viele Male pro Sekunde. Man muss also nicht wie bei anderen Technologien eine Probe entnehmen, sie analysieren und dann vielleicht minutenlang auf ein Ergebnis warten. Man sieht exakt, wie sich die Konzentration verändert und in welchem Stadium sich der untersuchte Prozess gerade befindet.“

Möglich wurde das an der TU Wien durch eine Zusammenarbeit von Elektrotechnik und Chemie: Am Institut für Festkörper­elektronik hat man jahrelange Erfahrung in der Herstellung von Quantenkaskadenlasern und -Detektoren. Dabei handelt es sich um winzig kleine halbleiter­basierte Bauteile, die durch ihre Mikro- und Nanostruktur dazu gebracht werden, Infrarotstrahlung mit einer präzise definierten Wellenlänge auszusenden oder zu detektieren. Die von einem solchen Laser emittierte Infrarotstrahlung durchdringt die Flüssigkeit auf einer Strecke in der Größenordnung von Mikrometern und wird dann vom Detektor auf demselben Chip gemessen. Aus diesen speziellen, kombinierten ultrakompakten Lasern und Detektoren wurde in Zusammen­arbeit mit Bernhard Lendl vom Institut für chemische Technologien und Analytik nun ein Messgerät, das sich in ersten Praxistests bestens bewährt hat.

Um die Leistungsfähigkeit des neuartigen Infrarot-Sensors zu demonstrieren, wählte man eine Reaktion aus der Biochemie: Ein bekanntes Modellprotein wurde erhitzt, dabei verändert es seine Form. Zunächst ist es Helix-artig aufgewickelt, bei höheren Temperaturen entfaltet es sich zu einer flachen Struktur. Mit dieser geometrischen Veränderung verändert sich auch das Ausmaß, in dem das Protein Infrarotstrahlung bestimmter Wellenlängen absorbieren kann. „Wir wählten also zwei passende Wellenlängen aus und produzierten entsprechende Quantenkaskaden-basierte Sensoren, die wir dann in den Chip integrierten“, sagt Borislav Hinkov. „Und tatsächlich zeigt sich: Man kann mit diesem Sensor die Denaturierung des Proteins mit hoher Präzision in Echtzeit beobachten.“

Die Technologie ist extrem flexibel. Ganz nach Bedarf kann man die notwendigen Wellenlängen anpassen, man könnte auf dem Chip auch eine deutlich größere Zahl unterschiedlicher Quantenkaskaden-Sensoren unterbringen und somit die Konzentration unterschiedlicher Moleküle gleichzeitig messen. „Damit eröffnen wir ein neues Feld in der chemischen Analytik: Die Echtzeit-Infrarotspektroskopie in Flüssigkeiten“, sagt Borislav Hinkov. Die Anwendungs­möglichkeiten sind extrem vielfältig – sie reichen von der Beobachtung thermischer Protein-Strukturänderungen, über ähnliche strukturändernde Prozesse in anderen Molekülen bis hin zur Echtzeit-Analyse chemischer Reaktionen, etwa in der pharmazeutischen Medikamenten­herstellung oder in industriellen Fertigungs­prozessen. Überall dort, wo man die Dynamik chemischer Reaktionen in Flüssigkeiten beobachten muss, kann die neue Technik wichtige Vorteile bringen.

TU Wien / DE

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