17.02.2015

Leichte und schwere Elektronen

Symmetriebrechung auf der Oberfläche topologischer kristalliner Isolatoren verleiht Elektronen Dirac-Masse.

Die Masse freier Elektronen ist eine Naturkonstante. Die Elektronen in bestimmten Klassen von Materialien zeigen jedoch ein deutlich anderes Verhalten. In topologischen Isolatoren und auch in Graphen besitzen die niederenergetischen Elektronenzustände eine Masse von Null. Sie lassen sich mit Hilfe der relativistischen Dirac-Gleichung für masselose Teilchen beschreiben. Das ist eine direkte Konsequenz des effektiven Hamilton-Operators. In einem erst vor kurzem entdeckten Typ topologischer Isolatoren sind die Verhältnisse noch komplexer: Wie ein internationales Team von Wissenschaftlern herausfand, können in topologischen kristallinen Isolatoren masselose und massereiche Elektronen koexistieren – wobei sich die Masse in Abhängigkeit von der Dirac-Bandlücke einstellen lässt.

Abb.: Links die schematische Darstellung der Verzerrung auf der Oberfläche des Kristallgitters, rechts eine Rastertunnel-Aufnahme eines der beiden Untergitter. (Bild: I. Zeljkovic et al. / NPG)

Üblicherweise sind die Dirac-Knoten in topologischen kristallinen Isolatoren durch die Kristallsymmetrie geschützt. Die Elektronenzustände an der Oberfläche sind deshalb masselos. Theoretischen Betrachtungen zufolge können die Oberflächenelektronen jedoch eine Masse annehmen, wenn diese Symmetrie gebrochen ist. Dieser Effekt kann nur in Kristallen auftreten, die aufgrund passender Dotierung Symmetriebrechungen aufweisen. In der Tat ist dieser Effekt so etwas wie das Festkörper-Analogon zum Higgs-Mechanismus, bei dem ebenfalls die Brechung einer Symmetrie zur Entstehung der Masse führt.

Als Material wählten Ilija Zeljkovic vom Boston College und seine Kollegen deshalb eine Legierung aus Blei, Zinn und Selen (Pb1-xSnxSe). Dieser Stoff zeigt nicht nur die Eigenschaften eines topologischen kristallinen Isolators, seine Zusammensetzung lässt sich auch über einen großen Bereich der beteiligten Stoffe gut einstellen. Im Innern besitzt diese Legierung ein kubisches Gitter; an der Oberfläche sind die Atome jedoch über einige Atomlagen hinweg je nach Dotierung leicht verschoben. Dadurch kommt es zu einer Brechung der Spiegelsymmetrie und somit zu topologischen Effekten. So ist etwa bei einem Mengenverhältnis x von 0,17 der kritische Punkt erreicht, an dem sich Dirac-Zustände ausbilden. Die Forscher testeten ihr Material deshalb über einen Bereich von x = 0,09 über 0,17 bis hin zu 0,34. Auf diese Weise konnten sie sowohl den trivialen wie den kritischen und den topologischen Fall abdecken. Die Struktur der Blei-Zinn-Selen-Legierung untersuchten die Forscher mit verschiedenen Methoden. Um die kubische Struktur des Kristallgitters im Innern zu bestimmen, verwendeten sie Röntgen-Kristallographie. Das Material war im Innern wie erwartet hoch symmetrisch als kubisch flächenzentriertes Gitter aufgebaut.

Um die Struktur der Oberfläche und die Energieniveaus der Elektronenzustände zu analysieren, nutzen die Wissenschaftler Rastertunnelmikroskopie und Landau-Level-Spektroskopie. Um die Dirac-Massen zu bestimmen, passten die Wissenschaftler optimierte Gaußkurven an die erhaltenen Verteilungen an. Daraus konnten sie je nach angelegter Spannung die Spitzen der Landau-Level ausmessen, von denen die Erzeugung der Dirac-Masse abhängt. Auf den Rastertunnel-Aufnahmen war zu sehen, dass die Untergitter von Selen beziehungsweise Blei oder Zinn leicht zueinander verschoben waren, so dass die Spiegelsymmetrie entlang einer Kristallebene gebrochen war. Wie theoretisch erwartet, zeigten die Landau-Messungen, dass die Elektronenzustände in dieser Richtung – und nur in dieser Richtung – eine Masse angenommen hatten.

Wie auch andere Berechnungen und Beobachtungen bestätigten, rührt die Dirac-Bandlücke von der Brechung der Spiegelsymmetrie her, die sich nur über wenige Atomlagen entlang der Oberfläche des topologischen kristallinen Isolators erstreckt. Interessanterweise änderte sich die Verzerrung der Kristallgitter nur wenig mit der Dotierung, die Dirac-Masse aber deutlich. Diese sank mit abnehmender Dotierung, um unterhalb des kritischen Punktes ganz zu verschwinden. Die Verzerrung hingegen änderte sich vergleichsweise wenig. Die Entstehung der Dirac-Masse lag also nicht an der Stärke der Verschiebung zwischen den Kristallgittern, wie ein einfaches Modell nahe legen könnte.

Nach den Beobachtungen schließen Zeljkovic und seine Kollegen hingegen, dass die Größe der Dirac-Masse der Oberflächenelektronen von der Eindringtiefe der Dirac-Zustände in das Material abhängt. Am kritischen Punkt der Dotierung geht die Eindringtiefe gegen unendlich und die Dirac-Masse folglich gegen null. Im topologischen Fall jedoch beschränken sich die Zustände der Oberflächenelektronen auf die obersten Gitterschichten. Die Blei-Zinn-Selen-Verbindung zeigt aber auch sonst interessant elektronische Eigenschaften an der Oberfläche. Die Forscher vermuten daher, das Material könnte sich auch für Anwendungen in der Elektronik oder Supraleitung eignen.

Dirk Eidemüller

RK

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