Licht macht Kristall länger
Kristallines Bismutferrit dehnt sich im Licht aus und schrumpft im Dunkeln wieder.
Kristallines Bismutferrit dehnt sich im Licht aus und schrumpft im Dunkeln wieder.
Der kristalline Halbleiter Bismutferrit BiFeO3 ist der Star unter den Multiferroika, einer Klasse von Materialen mit ungewöhnlichen magnetischen, elektrischen und mechanischen Eigenschaften. So ist Bismutferrit antiferromagnetisch, hat eine große und anhaltende elektrische Polarisation, es ist piezoelektrisch und photovoltaisch - und alle diese Eigenschaften beeinflussen einander. Jetzt haben Forscher am Centre de Saclay bei Paris beobachtet, dass Bismutferrit auch Photostriktion zeigt: Es dehnt sich bei Bestrahlung mit Licht aus.
Abb.: Bei Belichtung dehnt sich der Bismutferritkristall aus. (Bild: B. Kundys et al., Nature Materials)
Bohdan Kundys und seine Kollegen haben eine 1,6 mm lange Kristallnadel aus Bismutferrit, die aus einer ferroelektrischen Domäne bestand, mit weißem Glühlampenlicht bzw. rotem Laserlicht gleichförmig bestrahlt. Die Längenänderung des Kristalls bestimmten sie kapazitiv. Dazu hatten sie an ein Kristallende eine Elektrode angebracht, die zusammen mit einer feststehenden Elektrode einen Kondensator bildete, dessen Kapazität gemessen wurde. So konnten sie die Längenänderung des Kristalls auf weniger als einen Nanometer genau messen.
Sobald das Laser- oder das Lampenlicht auf den Kristall fiel, dehnte er sich innerhalb von 0,05 s um etwa 20 nm aus. Wurde das Licht wieder ausgeschaltet, so zog sich der Kristall ebenso schnell auf seine ursprüngliche Länge zusammen. Dieser Vorgang ließ sich beliebig oft wiederholen. Da die Längenänderung sehr schnell ablief, konnte ihre Ursache nach Meinung der Forscher nicht eine Temperaturänderung des Kristalls gewesen sein, die viel langsamer verlaufend sollte.
Dass für die Längenänderung die multiferroischen Eigenschaften des Bismutferrits verantwortlich sein mussten, dafür sprachen auch zwei weitere Beobachtungen. Wurde der Kristall mit linear polarisiertem Licht bestrahlt, so hing die Längenänderung vom Polarisationswinkel ab. Sie war maximal, wenn die Polarisation des Lichtes und die elektrische Polarisation des Kristalls in dieselbe Richtung zeigten. Brachten die Forscher den Kristall in ein Magnetfeld, so fiel die vom Licht hervorgerufene Längenänderung umso kleiner aus, je stärker das Magnetfeld war.
Die Forscher vermuten, dass hinter der Längenänderung ein Zusammenspiel aus dem photovoltaischen Effekt und der Elektrostriktion steckt. Zunächst erzeugt das Licht im Halbleiterkristall Elektron-Loch-Paare. Die Elektronen und Löcher trennen sich aufgrund der ferroelektrischen Polarisation im Kristall. Dabei entsteht ein zusätzliches elektrisches Feld, das die positiven Bismutionen gegen die negativen Sauerstoffatome verschiebt. Dies führt dann zur Elektrostriktion, also zu einer durch elektrische Kräfte verursachten Längenänderung des Kristalls. Beides zusammen ergibt die beobachtete Photostriktion.
Zwar hatte man die Photostriktion schon früher an ferroelektrischen Materialien, Halbleitern oder Polymeren beobachtet, doch noch nie an magnetischen oder magneto-elektrischen Substanzen. Auch wenn die Photostriktion beim Bismutferrit relativ schwach ist, so eröffnet sie doch zahlreiche neue Anwendungsmöglichkeiten. Man könnte sie für optomechanische Sensoren, Stellglieder oder Mikromotoren nutzen und dies gegebenenfalls mit den magneto-elektrischen Eigenschaften des Bismutferrits verbinden.
RAINER SCHARF
Weitere Infos
- Dorothee Colson am CEA Saclay:
http://iramis.cea.fr/Pisp/132/dorothee.colson.html
- Dmytro Kundys an der Southampton University:
http://www.orc.soton.ac.uk/people.html?person=dmk
Weitere Literatur
- Thomas Lottermoser: Multiferroika: Eine Klasse für sich. Welt der Physik (28.10.2009)
http://www.weltderphysik.de/de/7702.php
- Thomas Lottermoser: Multiferroika: Wie man Gegensätze vereint. Welt der Physik (29.10.2009)
http://www.weltderphysik.de/de/7711.php
- T. Choi et al.: Switchable Ferroelectric Diode and Photovoltaic Effect in BiFeO3. Science 324, 63 (2009)
http://dx.doi.org/10.1126/science.1168636
PH