Magnetisches Graphen
Graphen-Nanostrukturen zeigen in ganz bestimmten Formen magnetische Eigenschaften.
Graphen-Nanostrukturen können, je nach Form und Ausrichtung der Ränder, ganz unterschiedliche Eigenschaften besitzen – zum Beispiel elektrisch leitend, halbleitend oder isolierend sein. Eine Eigenschaft war bisher aber praktisch unerreichbar: Magnetismus. Forschern am Forschungszentrum Empa in der Schweiz ist es nun gemeinsam mit Kollegen der TU Dresden, der Aalto Universität in Finnland, dem Max Planck Institut für Polymerforschung in Mainz sowie der Universität Bern gelungen, eine Graphen-Nanostruktur zu bauen, die magnetische Eigenschaften besitzt. Diese könnte gar ein entscheidendes Bauteil für Spin-basierte Elektronik sein, die bei Raumtemperatur funktioniert.
Magnetismus ist eine Eigenschaft, die kaum mit Kohlenstoff in Verbindung gebracht wird. Wie also ist es möglich, dass Graphen magnetische Eigenschaften erhält? In Graphen sind die Kohlenstoffatome wie in einem Bienenwabengitter angeordnet. Jedes Kohlenstoffatom geht dabei mit seinen drei Nachbarn entweder Einfach- oder Doppelbindungen ein. Die Darstellung organischer Verbindungen mittels alternierender Einzel- und Doppelbindungen ist als Kekulé-Struktur bekannt. Aus dem quantenmechanischen Ausschlussprinzip von Wolfgang Pauli folgt dabei, dass sich die Elektronenpaare im gleichen Orbital jeweils in ihrer Drehrichtung unterscheiden müssen. „Bei bestimmten, aus Sechsecken aufgebauten Strukturen ist es allerdings unmöglich, eine alternierende Abfolge von Einfach- und Doppelbindungen zu finden, die die Bindungsanforderungen aller Kohlenstoffatome erfüllt. Bei diesen Strukturen bleibt gezwungenermaßen ein Elektron oder auch mehrere außen vor, das keine Bindung eingehen kann“, sagt Shantanu Mishra, der in der Forschungsgruppe „nanotech@surfaces“ unter der Leitung von Roman Fasel an neuartigen Nanographenen forscht. Dieses Phänomen der unfreiwillig ungepaarten Elektronen nennt sich topologische Frustration.
Doch was hat das nun mit Magnetismus zu tun? Die Antwort liegt in den Spins der Elektronen. Wenn sich wie üblich zwei Elektronen mit gegensätzlichen Spins in einem Orbital eines Atoms befinden, so löschen sich diese Magnetfelder gegenseitig aus. Ist ein Elektron hingegen allein in seinem Orbital, so bleibt das magnetische Moment bestehen – und ein messbares Magnetfeld ist die Folge. Um den Spin der Elektronen als Schaltungselemente nutzen zu können, braucht es noch eine Stufe mehr. Eine Antwort könnte in einer Struktur liegen, die unter dem Rastertunnelmikroskop in etwa aussieht wie eine Fliege. Bereits in den 1970er-Jahren sagte der tschechische Chemiker Erich Clar eine spezielle Struktur voraus, die als „Clar’s Goblet“ bekannt ist. Sie besteht aus zwei symmetrischen Hälften und ist so aufgebaut, dass in jeder der Hälften ein Elektron topologisch frustriert bleiben muss. Da die beiden Elektronen aber doch über die Molekülstruktur miteinander verbunden sind, sind sie antiferromagnetisch gekoppelt – das heißt, ihre Spins zeigen zwingend in entgegengesetzte Richtungen.
In seinem antiferromagnetischem Zustand könnte das Goblet als logisches „NOT“-Gatter, also als Invertor, wirken: Wird der Spin am Eingang umgedreht, so muss sich der Ausgang gezwungenermaßen ebenfalls drehen. Es ist allerdings auch möglich, die Struktur in einen ferromagnetischen Zustand zu bringen, mit beiden Spins in dieselbe Richtung. Dazu muss die Struktur mit der Austauschkopplungsenergie angeregt werden, so dass eines der Elektronen seinen Spin umdreht. Damit das Gatter in seinem antiferromagnetischen Zustand aber stabil bleibt, darf es nicht spontan in den ferromagnetischen Zustand wechseln. Dazu muss die Austauschkopplungsenergie höher sein als die Energie, die beim Betrieb des Gatters bei Raumtemperatur frei wird. Das ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass eine künftige spintronische Schaltung auf der Basis von Graphen-Nanostrukturen auch bei Raumtemperatur fehlerfrei funktioniert.
Bislang waren Raumtemperatur-stabile, antiferromagnetische Kohlenstoff-Nanostrukturen aber nur theoretisch vorausgesagt. Zum ersten Mal gelang es nun den Forschern, eine solche Struktur auch praktisch herzustellen und zu zeigen, dass die Theorie auch tatsächlich der Realität entspricht. „Die Struktur zu realisieren ist anspruchsvoll, da Clar’s Goblet einerseits höchst reaktiv ist, und andererseits die Synthese sehr komplex ist“, erklärt Mishra. Aus einem Vorläufermolekül konnten die Forscher Clar’s Goblet im Ultrahochvakuum auf einem Goldsubstrat realisieren. Mit verschiedenen Experimenten konnten die Forscher zeigen, dass es genau die vorausgesagten Eigenschaften besitzt. Sie fanden zudem, dass die Austauschkopplungsenergie in diesem Molekül mit 23 meV relativ hoch ist und somit Spin-basierte logische Operationen bei Raumtemperatur stabil sein könnten. „Damit ist ein kleiner aber wichtiger Schritt Richtung Spintronik gelungen“, sagt Fasel.
Empa / JOL
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
S. Mishra et al.: Topological frustration induces unconventional magnetism in a nanographene, Nat. Nano., online 9. Dezember 2019; DOI: 10.1038/s41565-019-0577-9 - Arbeitsgruppe „nanotech@surfaces“ (R. Fasel), Empa, Dübendorf, Schweiz