11.12.2019

Magnetisches Graphen

Graphen-Nanostrukturen zeigen in ganz bestimmten Formen magnetische Eigenschaften.

Graphen-Nano­strukturen können, je nach Form und Ausrichtung der Ränder, ganz unter­schiedliche Eigenschaften besitzen – zum Beispiel elektrisch leitend, halbleitend oder isolierend sein. Eine Eigenschaft war bisher aber praktisch unerreichbar: Magnetismus. Forschern am Forschungs­zentrum Empa in der Schweiz ist es nun gemeinsam mit Kollegen der TU Dresden, der Aalto Universität in Finnland, dem Max Planck Institut für Polymer­forschung in Mainz sowie der Universität Bern gelungen, eine Graphen-Nanostruktur zu bauen, die magnetische Eigen­schaften besitzt. Diese könnte gar ein entscheidendes Bauteil für Spin-basierte Elektronik sein, die bei Raum­temperatur funktioniert.

Abb.: Drei­dimensional darge­stellte Rastertunnel­mikroskopie-Aufnahme einer...
Abb.: Drei­dimensional darge­stellte Rastertunnel­mikroskopie-Aufnahme einer speziellen Graphen-Nano­struktur – Clar's Goblet. (Bild: Empa)

Magnetismus ist eine Eigenschaft, die kaum mit Kohlenstoff in Verbindung gebracht wird. Wie also ist es möglich, dass Graphen magnetische Eigen­schaften erhält? In Graphen sind die Kohlenstoff­atome wie in einem Bienen­wabengitter angeordnet. Jedes Kohlenstoffatom geht dabei mit seinen drei Nachbarn entweder Einfach- oder Doppelbindungen ein. Die Darstellung organischer Verbindungen mittels alternierender Einzel- und Doppelbindungen ist als Kekulé-Struktur bekannt. Aus dem quanten­mechanischen Ausschluss­prinzip von Wolfgang Pauli folgt dabei, dass sich die Elektronen­paare im gleichen Orbital jeweils in ihrer Drehrichtung unterscheiden müssen. „Bei bestimmten, aus Sechsecken aufgebauten Strukturen ist es allerdings unmöglich, eine alternierende Abfolge von Einfach- und Doppel­bindungen zu finden, die die Bindungs­anforderungen aller Kohlenstoff­atome erfüllt. Bei diesen Strukturen bleibt gezwungenermaßen ein Elektron oder auch mehrere außen vor, das keine Bindung eingehen kann“, sagt Shantanu Mishra, der in der Forschungs­gruppe „nanotech@surfaces“ unter der Leitung von Roman Fasel an neuartigen Nano­graphenen forscht. Dieses Phänomen der unfrei­willig ungepaarten Elektronen nennt sich topo­logische Frustration.

Doch was hat das nun mit Magnetismus zu tun? Die Antwort liegt in den Spins der Elektronen. Wenn sich wie üblich zwei Elektronen mit gegensätz­lichen Spins in einem Orbital eines Atoms befinden, so löschen sich diese Magnet­felder gegenseitig aus. Ist ein Elektron hingegen allein in seinem Orbital, so bleibt das magnetische Moment bestehen – und ein messbares Magnet­feld ist die Folge. Um den Spin der Elektronen als Schaltungselemente nutzen zu können, braucht es noch eine Stufe mehr. Eine Antwort könnte in einer Struktur liegen, die unter dem Rastertunnel­mikroskop in etwa aussieht wie eine Fliege. Bereits in den 1970er-Jahren sagte der tschechische Chemiker Erich Clar eine spezielle Struktur voraus, die als „Clar’s Goblet“ bekannt ist. Sie besteht aus zwei symme­trischen Hälften und ist so aufgebaut, dass in jeder der Hälften ein Elektron topo­logisch frustriert bleiben muss. Da die beiden Elektronen aber doch über die Molekül­struktur miteinander verbunden sind, sind sie antiferro­magnetisch gekoppelt – das heißt, ihre Spins zeigen zwingend in entgegen­gesetzte Richtungen. 

In seinem antiferromagnetischem Zustand könnte das Goblet als logisches „NOT“-Gatter, also als Invertor, wirken: Wird der Spin am Eingang umgedreht, so muss sich der Ausgang gezwungener­maßen ebenfalls drehen. Es ist allerdings auch möglich, die Struktur in einen ferro­magnetischen Zustand zu bringen, mit beiden Spins in dieselbe Richtung. Dazu muss die Struktur mit der Austausch­kopplungsenergie angeregt werden, so dass eines der Elektronen seinen Spin umdreht. Damit das Gatter in seinem antiferro­magnetischen Zustand aber stabil bleibt, darf es nicht spontan in den ferro­magnetischen Zustand wechseln. Dazu muss die Austausch­kopplungsenergie höher sein als die Energie, die beim Betrieb des Gatters bei Raumtemperatur frei wird. Das ist eine zentrale Voraus­setzung dafür, dass eine künftige spintronische Schaltung auf der Basis von Graphen-Nano­strukturen auch bei Raumtemperatur fehlerfrei funktioniert. 

Bislang waren Raum­temperatur-stabile, antiferro­magnetische Kohlenstoff-Nano­strukturen aber nur theoretisch vorausgesagt. Zum ersten Mal gelang es nun den Forschern, eine solche Struktur auch praktisch herzustellen und zu zeigen, dass die Theorie auch tatsächlich der Realität entspricht. „Die Struktur zu realisieren ist anspruchsvoll, da Clar’s Goblet einerseits höchst reaktiv ist, und andererseits die Synthese sehr komplex ist“, erklärt Mishra. Aus einem Vorläufer­molekül konnten die Forscher Clar’s Goblet im Ultrahoch­vakuum auf einem Goldsubstrat realisieren. Mit verschiedenen Experi­menten konnten die Forscher zeigen, dass es genau die voraus­gesagten Eigenschaften besitzt. Sie fanden zudem, dass die Austauschkopplungs­energie in diesem Molekül mit 23 meV relativ hoch ist und somit Spin-basierte logische Operationen bei Raum­temperatur stabil sein könnten. „Damit ist ein kleiner aber wichtiger Schritt Richtung Spintronik gelungen“, sagt Fasel. 

Empa / JOL

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