Magnetoelektrizität in molekularem Komplex
Paramagnetisches, ferroelektrisches Material zeigt magnetoelektrische Kopplung bei Raumtemperatur.
Sowohl Ferromagnete als auch Ferroelektrika besitzen ihre besonderen Eigenschaften dauerhaft und sind deshalb unverzichtbare Bausteine für die Elektronik. Beide Arten von Materialien weisen Domänenstrukturen auf, die unterhalb einer kritischen Temperatur zur Ausbildung einer spontanen Polarisation führen. Es ist leider nicht einfach, diese beiden Eigenschaften in einem Material zu verbinden. Die meisten solcher magnetoelektrischen Materialien zeigen nur bei tieferen Temperaturen ihre Stärken, bei Raumtemperatur verlieren sie sie jedoch. Allerdings wären solche multifunktionalen Systeme besonders interessant für die Elektronik der Zukunft, um damit etwa Datenspeicher mit hoher Kapazität, spintronische Bauelemente oder allgemein energieeffiziente Komponenten herstellen zu können. So könnte man Datenspeicher künftig etwa elektrisch beschreiben und magnetisch auslesen, was Vorteile beider Techniken verbände.
Einem französisch-portugiesischen Forscherteam um Jérôme Long von der Universität Montpellier ist es nun gelungen, ein spezielles paramagnetisches Molekül zu entwickeln, das eine magnetoelektrische Kopplung zulässt, wenn man aus ihm einen ferroelektrischen Kristall erzeugt. Solche multiferroischen Materialien stehen zwar seit einiger Zeit im Fokus der Forschung. Allerdings ist die Kopplung zwischen der elektrischen und der magnetischen Ordnung in solchen Substanzen eher schwach. Dies liegt daran, dass die magnetischen und die elektrischen Eigenschaften üblicherweise aus unterschiedlichen chemischen Strukturen stammen.
Durch gezieltes Design der entsprechenden Komplexe ist es den Wissenschaftlern jetzt aber gelungen, die magnetischen und elektrischen Eigenschaften in ihrem Molekül so zu verbinden, dass bereits schwache Magnetfelder zur Manipulation der Zustände ausreichen. Zudem behält das Material diese Eigenschaften auch bei Raumtemperatur bei. Ungewöhnlich daran ist außerdem, dass beide Eigenschaften sich innerhalb eines einzelnen Moleküls verwirklichen ließen. Die meisten Ansätze zu Multiferroika basieren auf Kompositmaterialien, die aus verschiedenen dünnen Schichten oder Nanostrukturen aufgebaut sind. Bei solchen Materialien kombiniert man üblicherweise eine piezoelektrische Substanz mit einer magnetostriktiven.
Die Wissenschaftler entwarfen das Molekül um einen chiralen Lanthaniden-Komplex, bei dem ein dreifach positiv geladenes Ion aus dem Seltenerd-Metall Ytterbium ein hohes magnetisches Moment aufweist. Dieses befindet sich in der Nähe eines diamagnetischen Zink-Komplexes, der ferroelektrisch ist. Die Forscher konnten anhand der piezoelektrischen Eigenschaften in einem Rasterkraftmikroskop eine magnetoelektrische Kopplung bei diesem Molekül feststellen. Dabei ließ sich diese Kopplung schon bei einer vergleichsweise niedrigen Feldstärke messen, die rund eine Größenordnung unterhalb derjenigen vergleichbarer Materialien lag. Außerdem zeigte das Material Photolumineszenz im nahen Infrarot. Das ließe auch die Integration in photomagnetoelektrischen Schaltkreisen zu.
Die magnetoelektrische Kopplung stammte vom Einfluss des Ytterbium-Ions: Bei Anlegen eines Magnetfelds erzeugt dieses eine mechanische Deformation im Molekül, die wiederum die Ausrichtung des elektrischen Dipols beeinflusste. „Die Kombination von Ferroelektrizität und der durch das Ytterbium-Ion bereitgestellten Magnetostriktion sorgt für die außergewöhnliche magnetoelektrische Kopplung auch bei Raumtemperatur“, sagt Long.
Wie sich dieses Gebiet weiter entwickeln wird, lässt sich schwer vorhersagen, da die umgesetzten Ideen relativ neu sind und verschiedene zukünftige Forschungspfade möglich machen. So lassen sich im Prinzip enorm viele verschiedene derartige Arten von Molekülen synthetisieren, die in ihrem Zusammenspiel eine enorme Vielfalt und Flexibilität beinhalten sollten.
Auch wenn es sich bei dieser Studie weitgehend um Grundlagenforschung handelt, lassen sich dennoch einige längerfristige Perspektiven ausmachen, was mögliche technologische Anwendungen betrifft. Wenn sich etwa die elektrischen Eigenschaften von Ferroelektrika auch bei Raumtemperaturen präzise magnetisch beeinflussen lassen, wird es damit möglich, mehrstufige Datenträgersysteme zu bauen. Damit könnte sich die Speicherdichte erhöhen. Auf der anderen Seite lassen sich elektrische Felder mit weniger Energieeinsatz erzeugen als magnetische. Das könnte etwa bei magnetischen Festplatten dazu führen, dass man besonders energieeffiziente Geräte dadurch erhält, indem man den magnetischen Zustand mit Hilfe eines elektrischen Feldes beeinflusst. Dazu müsste aber zunächst die elektrische Kontrolle von Magnetfeldern bei solchen Materialien besser funktionieren.
Dirk Eidemüller
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
J. Long et al.: Room temperature magnetoelectric coupling in a molecular ferroelectric ytterbium(III) complex, Science 367, 671 (2020); DOI: 10.1126/science.aaz2795 - Metal complexes and molecular (nano)materials (Y. Guari), Universität Montpellier
Weitere Beiträge
- R. K. Vasudevan et al.: Ferroelectric or non-ferroelectric: Why so many materials exhibit “ferroelectricity” on the nanoscale, Appl. Phys. Rev. 4, 021302 (2017); DOI: 10.1063/1.4979015
- P. Mandal et al.: Designing switchable polarization and magnetization at room temperature in an oxide, Nature 525, 363 (2015); DOI: 10.1038/nature14881
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