26.10.2016

Magnetwellen durch lichtinduzierte Rotation von Atomen

Terahertz-Anregung von Kristall­schwingungen treibt Spin­dynamik an.

Die Kontrolle funktionaler Eigenschaften durch Licht ist eines der großen Ziele moderner Fest­körper­physik und der Material­wissen­schaften. Eine neue Studie zeigt, wie die ultra­schnelle, licht­indu­zierte Modu­lation atomarer Posi­tionen in einem Material zur Kontrolle seiner Magneti­sierung verwendet werden kann. Ein inter­natio­nales Forschungs­team unter der Leitung von Andrea Caval­leri vom MPI für Struktur und Dynamik der Materie verwendete Tera­hertz-Pulse, um in einem magne­tischen Kristall paar­weise Gitter­schwin­gungen anzu­regen. Diese kurzen Strah­lungs­pulse erzeugten eine Rota­tion der Gitter­ionen um ihre Ursprungs­posi­tionen, welche wie ein ultra­schnelles, effek­tives Magnet­feld auf die Elek­tronen­spins wirkte und somit eine magne­tische Welle auf kohä­rente Weise stimu­lierte. Diese Erkennt­nisse setzen ein wichtiges Zeichen für die Art und Weise der Wechsel­wirkung von Licht mit Materie und begründen einen neu­artigen Ansatz in der Kontrolle von Magne­tismus mit Tera­hertz-Geschwin­dig­keit. Sie könnten daher für Magnet­speicher­techno­logien rele­vant sein.

Abb.: Lichtinduzierte Rotationen der Atome (Spiralen) er­zeugen kohä­rente Bewe­gungen der Elek­tronen­spins (blaue Pfeile; Bild: MPSD).

Mikroskopische Wechselwirkungen zu verstehen und kollektive Anre­gungen zu steuern, um Material­funk­tionen maß­zu­schneidern, ist eine treibende Kraft in der Physik der konden­sierten Materie und den Material­wissen­schaften. Chemische Substi­tution oder die Anwen­dung äußerer Stör­fak­toren gehören zu den konven­tionellen, statischen Ansätzen zur Verän­derung und Beein­flus­sung von Material­eigen­schaften. Ein konzep­tionell anderer Ansatz besteht in der ultra­schnellen, dyna­mischen Modu­lation von Material­para­metern. In diesem Fall hat sich die direkte Anre­gung von Schwin­gungen des Kristall­gitters in Fest­körper­systemen durch ultra­kurze und ultra­inten­sive Tera­hertz-Licht­pulse als extrem effi­ziente Strategie für die Material­kontrolle erwiesen. Der Ursprung dieses nicht­linearen Phononik liegt in der nicht­linearen Natur des Kristall­gitters begründet. Dadurch kann ein Phonon, das durch Laser­licht auf große Aus­len­kungen ange­regt wurde, Energie an andere, nieder­frequen­tere Schwin­gungs­moden über­tragen. Diese nicht­lineare Phonon-Phonon-Kopplung führt zu einer vorüber­gehenden, gerich­teten und selek­tiven Verzer­rung der Kristall­struktur. Der Effekt im extrem wichtig für komplexe Materi­alien, in denen makro­sko­pische elek­tro­nische Eigen­schaften eng mit der atomaren Anord­nung ver­knüpft sind.

Im Bestreben diese Prinzipien zu verallgemeinern und zu zeigen, dass die kohä­rente Anre­gung von Phononen nicht nur die Kristall­struktur beein­flussen, sondern auch andere Eigen­schaften wie die Magne­ti­sierung direkt kontrol­lieren kann, hat das Team die Stimu­lation des magne­tischen Materials Erbium-Ortho­ferrit mit Tera­hertz-Strahlung unter­sucht. Zunächst regten die Wissen­schaftler ein einzelnes Phonon an und beob­ach­teten die typische Signatur nicht­linearer Phononik, also den Energie­transfer zu nieder­frequen­teren Gitter­schwin­gungen. Die Schlüssel­idee, um über diese konven­tionelle Beob­achtung hinaus­zu­gehen, war es, die Wirkung zweier verschie­dener, ortho­gonaler Phononen zu kombi­nieren. Durch die leicht verschie­denen Fre­quen­zen der beiden Moden begannen die Atome des Kristall­gitters um ihre ursprüng­lichen Posi­tionen zu rotieren, was ein zirkular polari­siertes Phonon­feld erzeugte. Diese Bewegung führte zu einer dyna­mischen Modu­lation des von den Elek­tronen wahr­genommenen elek­trischen Feldes, die ihre Orbital­bewegung störte. Als Konse­quenz wurde eine hoch­frequente Magnet­welle – eine kollek­tive Anre­gung der Elek­tronen­spins – hervor­ge­rufen.

„Das ist das erste Mal, dass eine direkte und kohä­rente Kontrolle von Spins durch Gitter­schwin­gungen beob­achtet wurde“, sagt Tobia Nova, Dokto­rand am MPSD. Das Experi­ment demon­striert erfolg­reich, dass ein Energie­aus­tausch zwischen stimu­lierten Phononen und magne­tischen Anre­gungen bei gleich­zei­tiger Verfor­mung der Spin­an­ord­nung eines Materials möglich ist und somit zu einer ultra­schnellen Kontrolle seiner Magne­ti­sierung führt. Die Aus­lenkung der Magnet­welle skaliert quadra­tisch mit der elek­trischen Feld­stärke der Tera­hertz-Strahlung. Eine moderate Erhöhung der Feld­stärke könnte daher zu immenser Phonon-getrie­bener magne­tischer Dynamik und möglicher­weise zu magne­tischen Schalt­vor­gängen führen. Da der Effekt im Tera­hertz-Frequenz­bereich erzeugt wird, könnte sich eine Anwen­dung in neuen Bau­teilen er­geben, die mit solch hohen Geschwin­dig­keiten arbeiten.

Mögliche Anwendungen zirkular polarisierter Phononen könnten sich auch weit über die Kontrolle der Magne­ti­sierung hinaus ergeben. Es konnte bereits gezeigt werden, dass eine zeit­ab­hängige Störung in der Form zirkular polari­sierten Lichts Ober­flächen­eigen­schaften in der neu­artigen Material­klasse der topo­lo­gischen Isola­toren beein­flusst. Zudem wurde vorher­gesagt, dass eine solche Störung entspre­chende topo­logische Zustände in Graphen erzeugen könnte. Auf ähn­liche Weise könnte auch Phononen-getriebene Floquet-Physik durch Gitter­rota­tionen erzeugt werden.

MPDS / RK

Sonderhefte

Physics' Best und Best of
Sonderausgaben

Physics' Best und Best of

Die Sonder­ausgaben präsentieren kompakt und übersichtlich neue Produkt­informationen und ihre Anwendungen und bieten für Nutzer wie Unternehmen ein zusätzliches Forum.

Anbieter des Monats

Quantum Design GmbH

Quantum Design GmbH

Forschung lebt von Präzision. Seit über 40 Jahren steht Quantum Design für innovative Messtechnik auf höchstem Niveau – entwickelt in Kalifornien, betreut weltweit. Unsere Systeme sind der Goldstandard in der Materialcharakterisierung und ermöglichen tiefe Einblicke in die magnetischen, thermischen und optischen Eigenschaften von neuen Materialien.

Meist gelesen

Themen