Masselos, topologisch und chiral
Zwei Weyl-Semimetalle anhand ihrer Bandstruktur identifiziert.
In der Teilchenphysik wird bislang vergeblich nach ihnen gesucht, die Festkörperphysik kennt sie aber seit wenigen Jahren als Quasiteilchen: Weyl-Fermionen sind eine besondere Klasse masseloser Teilchen, die einer speziellen Lösung der relativistischen Dirac-Gleichung gehorchen. Sie sind nach Hermann Weyl benannt, der diese Lösung bereits 1929 in Form bestimmter Spinoren fand. Dabei war die Suche nach Weyl-Fermionen ausgesprochen aufwändig: Erst gut 85 Jahren nach ihrer theoretischen Herleitung konnten Forscher der Princeton University 2015 mit Hilfe der Rastertunnel-Spektroskopie in einem Tantal-Arsenid-Kristall erstmals Weyl-Fermionen nachweisen. Die schwer auffindbaren Quasiteilchen, die sich als ladungstragende Anregungen im Material ergeben, gelten als interessante Kandidaten für Anwendungen in der Elektronik, da sie masselos und sehr beweglich sind und sich deshalb hervorragend als Informationsträger eignen. Außerdem könnten sie als Plattform für chirale magnetische Effekte oder einen ungewöhnlich starken anomalen Hall- oder Quanten-Hall-Effekt dienen.
In einem Weyl-Semimetall, in dem solche Zustände auftreten, liegt eine ungewöhnliche Bandstruktur der elektronischen Quantenzustände vor, die jedoch schwierig zu bestimmen ist. Dazu tritt wie bei anderen topologischen Materialien die Eigenheit, dass sich die elektronischen Eigenschaften und auch die Bandstruktur an der Oberfläche anders verhalten als im Volumen eines Weyl-Semimetalls. Um diese besonderen quantenphysikalischen Charakteristika zu erfassen, benötigt man deshalb Verfahren, die einerseits den Energie-Impuls-Raum der Oberflächenelektronen abtasten und andererseits auch für die Elektronen innerhalb des Festkörpers hinreichend empfindlich sind. Neben der Rastertunnel-Spektroskopie liefert auch die winkelaufgelöste Photoemissions-Spektroskopie hier gute Ergebnisse. Zur Identifikation von Weyl-Semimetallen eignen sich spezielle Punkte in der Bandstruktur des Volumenmaterials. Diese Weyl-Knoten haben eine bestimmte Chiralität, die zu besonderen Quanteneigenschaften führt.
Gleich mehrere Forschergruppen haben jetzt neuartige Weyl-Semimetalle vorgestellt, die sie anhand von Messungen der Bandstruktur identifizieren konnten. Nun spielt die Brechung von Symmetrien eine wichtige Rolle für die Entstehung von Weyl-Fermionen, da diese nur dann in einem Weyl-Semimetall auftreten können, wenn entweder – wie bei Ferromagneten – die Zeitumkehr-Symmetrie oder die Inversionssymmetrie gebrochen ist, die von der Struktur des Kristallgitters abhängt. Das 2015 gefundene Weyl-Semimetall Tantal-Arsenid besitzt keine Inversionssymmetrie. Ein Nachweis von Weyl-Fermionen, die durch Brechung der Zeitumkehr-Symmetrie entstehen, stand bislang aber noch aus.
Als Anzeichen für eine solche Symmetriebrechung kann Ferromagnetismus dienen, weshalb die drei Forscherteams zwei derartige Materialien analysierten. Zwei Teams um Forscher des Weizmann Institute in Rehovot und der Shanghai Tech University untersuchten Co3Sn2S2, das unterhalb von 175 Kelvin ferromagnetisch wird. Das andere Team um Forscher der Universität Princeton nahm sich Co2MnGa vor, das auch bei Raumtemperatur ferromagnetisch ist und dessen Übergangstemperatur bei 690 Kelvin liegt.
Dabei zeigten sich bei Co3Sn2S2 nicht nur die erwarteten Kreuzungspunkte in der Bandstruktur. Zudem ließ sich erkennen, wie die Fermi-Bögen an der Oberfläche, die Weyl-Punkte unterschiedlicher Chiralität verbinden, von der chemischen Verbindung an der Oberfläche der untersuchten Kristalle abhingen. Das ist ein wichtiger Hinweis für weitere Untersuchungen. Denn eine geschickte Wahl der Oberflächeneigenschaften könnte es erlauben, topologisch geschützte Ströme in elektronischen Schaltkreisen gezielt zu beeinflussen.
Auch bei Co2MnGa konnten die Wissenschaftler mittels hochauflösender winkelaufgelöster Photoemissions-Spektroskopie die Weyl-typischen Bandkreuzungen sichtbar machen. Darüber hinaus weist das Material einen sehr starken anomalen Hall-Effekt auf, der es für elektronische Anwendungen interessant macht. Damit sind gleich zwei Materialien als Weyl-Semimetalle charakterisiert, die beide auf einer gebrochenen Zeitumkehr-Symmetrie der entsprechenden Elektronenzustände beruhen.
Diese Erkenntnisse könnten sich auch für andere exotische Quantenphänomene nutzen lassen. Der anomale Quanten-Hall-Effekt erlaubt etwa reibungsfreie Ströme entlang der Kanten entsprechender Materialien. Das ließe sich unter anderem für neuartige elektronische oder spintronische Anwendungen nutzen. Ob sich das auch praktisch umsetzen lassen wird, hängt aber auch von Fortschritten in der Materialsynthese ab. Die gezielte Manipulation von topologisch geschützten Weyl-Zuständen und anderen Quanteneigenschaften müsste dafür bei Temperaturen und Feldstärken funktionieren, die möglichst nahe bei den gewünschten Anwendungen liegen.
Dirk Eidemüller
Weitere Infos
- Originalveröffentlichungen
I. Belopolski et al.: Discovery of topological Weyl fermion lines and drumhead surface states in a room temperature magnet, Science 365, 1278 (2019); DOI: 10.1126/science.aav2327
N. Morali et al.: Fermi-arc diversity on surface terminations of the magnetic Weyl semimetal Co3Sn2S2, Science 365, 1286 (2019); DOI: 10.1126/science.aav2334
D. F. Liu et al.: Magnetic Weyl semimetal phase in a Kagomé crystal, Science 365, 1282 (2019); DOI: 10.1126/science.aav2873 - Laboratory for Topological Quantum Matter and Advanced Spectroscopy (M. Z. Hasan), Princeton University, USA
- Atomic Scale Physics Lab (H. Beidenkopf), Weizmann Institute, Rehovot, Israel
- School of Physical Science and Technology, Shanghai Tech University, China
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RK