19.09.2019 • Quantenphysik

Masselos, topologisch und chiral

Zwei Weyl-Semimetalle anhand ihrer Bandstruktur identifiziert.

In der Teilchenphysik wird bislang vergeblich nach ihnen gesucht, die Festkörper­physik kennt sie aber seit wenigen Jahren als Quasi­teilchen: Weyl-Fermionen sind eine besondere Klasse masse­loser Teilchen, die einer speziellen Lösung der relativis­tischen Dirac-Gleichung gehorchen. Sie sind nach Hermann Weyl benannt, der diese Lösung bereits 1929 in Form bestimmter Spinoren fand. Dabei war die Suche nach Weyl-Fermionen ausgesprochen aufwändig: Erst gut 85 Jahren nach ihrer theoretischen Herleitung konnten Forscher der Princeton University 2015 mit Hilfe der Raster­tunnel-Spektro­skopie in einem Tantal-Arsenid-Kristall erstmals Weyl-Fermionen nachweisen. Die schwer auffind­baren Quasi­teilchen, die sich als ladungs­tragende Anregungen im Material ergeben, gelten als interes­sante Kandidaten für Anwendungen in der Elektronik, da sie masselos und sehr beweglich sind und sich deshalb hervor­ragend als Informations­träger eignen. Außerdem könnten sie als Plattform für chirale magnetische Effekte oder einen ungewöhnlich starken anomalen Hall- oder Quanten-Hall-Effekt dienen.

Abb.: Die winkelaufgelöste Photoemissions-Spektroskopie zeigt...
Abb.: Die winkelaufgelöste Photoemissions-Spektroskopie zeigt charakteristische Kreuzungspunkte in der Bandstruktur, die auf Weyl-Fermionen hinweisen. (Bild: I. Belopolski et al. / AAAS)

In einem Weyl-Semimetall, in dem solche Zustände auftreten, liegt eine ungewöhn­liche Band­struktur der elektro­nischen Quanten­zustände vor, die jedoch schwierig zu bestimmen ist. Dazu tritt wie bei anderen topolo­gischen Materialien die Eigenheit, dass sich die elektro­nischen Eigen­schaften und auch die Band­struktur an der Ober­fläche anders verhalten als im Volumen eines Weyl-Semimetalls. Um diese besonderen quanten­physika­lischen Charakte­ristika zu erfassen, benötigt man deshalb Verfahren, die einer­seits den Energie-Impuls-Raum der Ober­fläche­nelektronen abtasten und anderer­seits auch für die Elektronen innerhalb des Festkörpers hinreichend empfindlich sind. Neben der Raster­tunnel-Spektro­skopie liefert auch die winkel­aufge­löste Photo­emissions-Spektro­skopie hier gute Ergebnisse. Zur Identifi­kation von Weyl-Semimetallen eignen sich spezielle Punkte in der Band­struktur des Volumen­materials. Diese Weyl-Knoten haben eine bestimmte Chiralität, die zu besonderen Quanten­eigen­schaften führt.

Gleich mehrere Forschergruppen haben jetzt neuartige Weyl-Semimetalle vorge­stellt, die sie anhand von Messungen der Band­struktur identifi­zieren konnten. Nun spielt die Brechung von Symmetrien eine wichtige Rolle für die Entstehung von Weyl-Fermionen, da diese nur dann in einem Weyl-Semimetall auftreten können, wenn entweder – wie bei Ferro­magneten – die Zeitumkehr-Symmetrie oder die Inversions­symmetrie gebrochen ist, die von der Struktur des Kristall­gitters abhängt. Das 2015 gefundene Weyl-Semimetall Tantal-Arsenid besitzt keine Inversions­symmetrie. Ein Nachweis von Weyl-Fermionen, die durch Brechung der Zeitumkehr-Symmetrie entstehen, stand bislang aber noch aus.

Als Anzeichen für eine solche Symmetrie­brechung kann Ferro­magnetismus dienen, weshalb die drei Forscher­teams zwei derartige Materialien analy­sierten. Zwei Teams um Forscher des Weizmann Institute in Rehovot und der Shanghai Tech University unter­suchten Co3Sn2S2, das unterhalb von 175 Kelvin ferro­magnetisch wird. Das andere Team um Forscher der Universität Princeton nahm sich Co2MnGa vor, das auch bei Raum­temperatur ferro­magnetisch ist und dessen Übergangs­temperatur bei 690 Kelvin liegt.

Dabei zeigten sich bei Co3Sn2S2 nicht nur die erwarteten Kreuzungs­punkte in der Band­struktur. Zudem ließ sich erkennen, wie die Fermi-Bögen an der Ober­fläche, die Weyl-Punkte unter­schied­licher Chiralität verbinden, von der chemischen Verbindung an der Ober­fläche der unter­suchten Kristalle abhingen. Das ist ein wichtiger Hinweis für weitere Unter­suchungen. Denn eine geschickte Wahl der Ober­flächen­eigen­schaften könnte es erlauben, topo­logisch geschützte Ströme in elektro­nischen Schalt­kreisen gezielt zu beein­flussen.

Auch bei Co2MnGa konnten die Wissen­schaftler mittels hoch­auf­lösender winkel­auf­ge­löster Photo­emissions-Spektro­skopie die Weyl-typischen Band­kreuzungen sichtbar machen. Darüber hinaus weist das Material einen sehr starken anomalen Hall-Effekt auf, der es für elektronische Anwendungen interessant macht. Damit sind gleich zwei Materialien als Weyl-Semimetalle charakte­risiert, die beide auf einer gebrochenen Zeitumkehr-Symmetrie der entsprechenden Elektronen­zustände beruhen.

Diese Erkenntnisse könnten sich auch für andere exotische Quanten­phänomene nutzen lassen. Der anomale Quanten-Hall-Effekt erlaubt etwa reibungs­freie Ströme entlang der Kanten entsprechender Materialien. Das ließe sich unter anderem für neuartige elektronische oder spintronische Anwendungen nutzen. Ob sich das auch praktisch umsetzen lassen wird, hängt aber auch von Fort­schritten in der Material­synthese ab. Die gezielte Manipu­lation von topologisch geschützten Weyl-Zuständen und anderen Quanten­eigen­schaften müsste dafür bei Temperaturen und Feld­stärken funktio­nieren, die möglichst nahe bei den gewünschten Anwendungen liegen.

Dirk Eidemüller

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