30.06.2021

Materiestraße lässt Galaxienhaufen wachsen

Extrem langer Gasfaden bildet eine galaktische Materiestraße.

Vor einem halben Jahr meldeten Astronomen der Universität Bonn die Entdeckung eines extrem langen inter­galaktischen Gasfadens mit dem Röntgen­teleskop eROSITA. In einer neuen Studie haben sie sich nun auf eine interessante Struktur in dem Faden konzentriert, den nördlichen Klumpen. Ihre neuen Beobachtungs­daten belegen, dass es sich dabei um einen Galaxien­haufen mit einem schwarzen Loch im Zentrum handelt. Der Gasfaden ist demnach eine galaktische Materie­straße: Der nördliche Klumpen bewegt sich auf ihr auf zwei weitere riesige Galaxien­haufen zu und wird irgendwann mit ihnen verschmelzen.

Abb.: Der nördliche Klumpen, wie er im Röntgen­licht (blau), im visuellen...
Abb.: Der nördliche Klumpen, wie er im Röntgen­licht (blau), im visuellen Licht (grün) und bei Radio­wellenlängen (rot) erscheint. (Bild: Veronica et al., Astron. & Astrophys.)

Große Bereiche im All sind absolut leer. Dazwischen tummeln sich auf vergleichs­weise engem Raum Tausende von Galaxien. Diese Cluster sind durch Straßen aus dünnem Materiegas miteinander verbunden, wie durch die hauchdünnen Fäden eines Spinnen­netzes. So sagt es zumindest das Standard­modell der Kosmologie voraus. Ob es sich tatsächlich so verhält, war bis vor kurzem kaum zu belegen. Denn die Materie in den Gasfäden ist so stark verdünnt, dass sie sich dem Blick selbst der empfind­lichsten Mess­instrumente entzog: Die Fäden enthalten pro Kubikmeter gerade einmal zehn Teilchen - das ist sehr viel weniger, als in dem besten Vakuum vorhanden sind, das Menschen herstellen können.

Entsprechend viel Aufsehen erregte im letzten Winter eine Studie unter Federführung der Universität Bonn. Die Forschenden hatten einen inter­galaktischen Gasfaden von mindestens fünfzig Millionen Lichtjahren Länge entdeckt, der von zwei riesigen Galaxienhaufen ausgeht. „In diesem Faden gibt es einen weiteren Galaxienhaufen, den nördlichen Klumpen“, erklärt Thomas Reiprich. „In der jetzt erschienenen Arbeit haben wir ihn genauer unter die Lupe genommen.“ Die Wissenschaftler kombi­nierten dazu Aufnahmen verschiedener Quellen miteinander: der Satelliten SRG/eROSITA, XMM-Newton und Chandra sowie der EMU-Durch­musterung mit dem ASKAP-Radio­teleskop und optische DECam Daten.

Auf diese Weise entstanden Bilder mit nie gesehenem Detail­reichtum. „So können wir im Mittelpunkt des nördlichen Klumpen eine große Galaxie ausmachen“, sagt Reiprichs Mit­arbeiterin Angie Veronica. „In ihrem Zentrum wiederum befindet sich ein supermasse­reiches schwarzes Loch.“ Von ihm gehen zwei Materiejets aus, in denen sich die Teilchen mit annähernd Licht­geschwindigkeit vom schwarzen Loch entfernen. Dabei entsteht Synchroton-Strahlung, die sich in den Radio­teleskop-Aufnahmen sichtbar machen lässt. Darüber hinaus enthält der nördliche Klumpen sehr heißes Materiegas. „Aufgrund seiner hohen Temperatur von 20 Millionen Grad emittiert es Röntgen­strahlung, die wir in den eROSITA-Bildern sehen und mit dem XMM-Newton Satelliten nun sehr genau vermessen konnten“, sagt Veronica.

Insgesamt zeigt die Kombi­nation der Datenquellen, dass der nördliche Klumpen sich wahrscheinlich mit hoher Geschwin­digkeit bewegt. Die Materie­jets, die vom schwarzen Loch ausgehen, weisen nach hinten; vor dem Klumpen scheint das Gas zudem eine Art Bugwelle zu bilden. „Zudem sehen wir hinter ihm einen Materie­schweif“, erklärt Reiprich. „Wir inter­pretieren diese Beobachtung momentan so, dass der nördliche Klumpen bei seiner Reise Materie verliert. Allerdings könnte es auch so sein, dass noch kleinere Materie­klumpen in der Straße auf den nördlichen Klumpen zufallen.“

Insgesamt bestätigen die Beobachtungen die aus Theorien abgeleitete These, dass es sich bei dem Gasfaden um eine inter­galaktische Materie­straße handelt. Der nördliche Klumpen bewegt sich auf dieser Straße mit hoher Geschwind­igkeit auf zwei weitere, sehr viel größere Galaxien­haufen namens Abell 3391 und Abell 3395 zu. „Er fällt sozusagen auf diese Haufen und wird sie weiter vergrößern - ganz nach dem Prinzip: Wer hat, dem wird gegeben“, erklärt Reiprich. „Was wir sehen, ist eine Momentaufnahme dieses Falls.“

Die Beobachtungen stimmen erstaunlich gut mit dem Ergebnis der Magneticum-Computer­simulationen überein, die von Forschern des eROSITA-Konsor­tiums entwickelt wurden. Sie lassen sich daher auch als Argument dafür werten, dass die heute gültigen Annahmen über die Entstehung und Entwicklung des Universums korrekt sind. Dazu zählt auch die These, dass ein großer Teil der Materie für unsere Mess­instrumente unsichtbar ist. 85 Prozent unseres Universums sollen aus dieser dunklen Materie bestehen. Im Standard­modell der Kosmologie spielt sie unter anderem eine wichtige Rolle als Kondensationskeim, der nach dem Urknall die Verdichtung der gasförmigen Materie zu Galaxien bewirkte.

An der Studie waren über zwanzig Wissen­schaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland, Italien, den USA und Australien beteiligt. eROSITA wurde mit Mitteln der Max-Planck-Gesell­schaft und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelt. 

U. Bonn / JOL

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