31.05.2024

Mehr Erdbeben durch Klimawandel

Steigende Meeresspiegel erhöhen den mechanischen Druck im Gefüge tektonischer Platten.

Der menschen­gemachte Klimawandel wird weltweit zu mehr und teils sogar stärkeren Erdbeben führen. Das prognos­tizieren Forschende des Deutschen Geoforschungs­zentrums GFZ in Potsdam und der University of Southern California. Als Ursache sehen die Forschenden den mit dem Klimawandel fort­schreitenden Anstieg des Meeres­spiegels weltweit, der in der Fachwelt unstrittig ist und jährlich vom Welt­klimarat IPCC prognostiziert wird, sowie die zunehmende Stärke von extremen Wetter­ereignissen wie Stürmen. Beides erhöht den mechanischen Druck im Gefüge tektonischer Platten und führt zu Änderungen in den seismischen Zyklen – mit steigender Erdbeben­gefahr insbesondere in den Küstenregionen der Welt.

Abb.: Das ohnehin schon hohe Erdbebenrisiko im Großraum Istanbul könnte durch...
Abb.: Das ohnehin schon hohe Erdbebenrisiko im Großraum Istanbul könnte durch den Anstieg des Meeresspiegels sogar noch wachsen.
Quelle: GFZ

Erdbeben entstehen durch das plötzliche, ruckartige Verschieben von Gesteins­massen im Untergrund. Dabei wird Energie in Form seismischer Wellen freigesetzt, die sich vorher durch die großräumige konti­nuierliche Verschiebung und gleich­zeitigem Verhaken der Erdplatten über lange Zeiträume aufgestaut hat. Dieser Lade­prozess schreitet solange fort, bis die Festigkeit des Gesteins überschritten wird und das Gestein an irgendeiner Stelle nachgibt, bricht und rutscht. Danach startet der Ladeprozess von neuem und bildet so einen wieder­kehrenden Kreislauf von laden und entladen auf tektonischen Störungen. Ein seismischer Zyklus kann je nach den geologischen Rand­bedingungen Jahre, Jahrzehnte oder Jahrhunderte lang sein.

Durch den Klimawandel und die damit verbundene Erwärmung der Atmo­sphäre schmilzt das Festlandeis, im Wesentlichen in der Antarktis und auf Grönland. In der Folge steigt weltweit der Meeres­spiegel und dieser Prozess beschleunigt sich ständig. Betrug die Rate zwischen 1901 und 1990 noch 1,4 Millimeter pro Jahr, waren es zwischen 1970 und 2015 schon 2,1 und zwischen 2006 und 2015 bis zu 3,6. Gegenüber dem Zeitraum 1986 bis 2000 wird der Meeres­spiegel dem IPCC-Bericht 2023 zufolge im Jahr 2100 im Mittel zwischen 0,43 und 0,84 Meter steigen. Bei Abschmelzen allen Landeises sagen Expertinnen und Experten langfristig sogar einen Anstieg um etwa siebzig Metern voraus. Ob es zu diesem Extrem-Szenario kommen wird, hängt wesentlich von der Einhaltung der Klimaziele und damit der weiteren Emission von Treibhaus­gasen ab. Fest steht: Auch bei strikter Reduktion werden die oben beschriebenen Effekte noch Jahrhunderte andauern. Hinzu kommt eine wachsende Häufigkeit von Extremwetterer­eignissen, insbesondere von starken Stürmen.

Diese Entwicklungen haben auch Auswirkungen auf das Erdbeben­risiko. Denn ein höherer Meeresspiegel bedeutet eine größere Last auf dem Untergrund, die dort zu Druck­steigerungen führt. Das beeinflusst die Erdbeben­zyklen an allen von Meerwasser bedeckten und küstennahen Orten der Welt und führt dort zu einem höheren Erdbebenrisiko. Ähnliche Druckänderungen werden auch durch zunehmend stärkere Extremwetter­ereignisse wie Stürme hervorgerufen. „Bereits Meeresspiegelschwankungen von nur wenigen Dezimetern reichen aus, um Erdbeben auszulösen. Das können wir aus einer Vielzahl von Beobach­tungen ableiten, zum einen von menschen­gemachten, meist harmlosen kleineren Erdbeben, die bei Wasserinjektionen zur Öl-, Gas-, oder Erdwärmeförderung auftreten, aber auch durch Seismizitäts­schwankungen, die unter Stauseen und durch Ebbe und Flut verursacht werden“, sagt GFZ-Forscher Marco Bohnhoff.

Die stärkere seismische Gefährdung aufgrund des Klimawandels ist besonders in den Küsten­bereichen problematisch. Dort liegen viele kritische Bruchzonen sowie auch Subduktions­zonen, bei denen eine Erdplatte unter die die andere taucht. Und dort leben bereits heute vierzig Prozent der Welt­bevölkerung, zumeist in stark wachsenden Mega-Cities. Bekannte gefährdete Regionen sind zum Beispiel San Francisco und Los Angeles, Istanbul und Tokio-Yokohama, insbesondere aber auch viele wachsende Millionen­städte in Entwicklungs­ländern. Nicht überall ist die Gefährdungs­lage gut bekannt, weil die seismischen Zyklen teils länger sind als die Siedlungs­geschichte.

„Problematisch ist, dass es weltweit eine große Anzahl von Störungen gibt, die kurz vor dem Ende ihres seismischen Zyklus‘ stehen. Bei diesen reichen dann kleine zusätzliche Spannungen, um quasi die natürliche seismische Uhr vorzustellen und das Gestein bereits früher zum Versagen zu bringen. Dies geschieht durch steigende Meeresspiegel oder auch stärkere Stürme. Nach unseren Berechnungen wird das dann insbesondere küsten­nahe Bereiche und damit auch Städte und Infrastruktur treffen“, sagt Bohnhoff. Allerdings ist heute noch nicht vollständig bekannt, wo überall kritische Störungen liegen. „Zudem können dann diese Erdbeben auch Sekundäreffekte wie etwa Hangrutschungen und Boden­instabilitäten durch Verflüssigung weicher Böden bewirken und damit die menschen­gemachten Georisiken zusätzlich verstärken. Diese Thematik klimawandel­bedingt auftretender Erdbeben sollte in der nächsten Generation seismischer Gefährdungskarten Berück­sichtigung finden“, ergänzt Patricia Martínez-Garzón, Arbeitsgruppen­leiterin am GFZ.

Wie sich diese Effekte in den unterschiedlichen Erdbeben­zonen der Welt konkret auswirken werden, ist allerdings vielfach noch unzureichend erforscht und von vielfältigen Faktoren abhängig. Dazu gehören die Geometrie der Verwerfungen, die lokalen tektonischen und Druck-Bedingungen sowie die Eigenschaften des Gesteins wie Permea­bilität, Festigkeit und Riss­ausbreitung. Die Forschenden machen daher auch Vorschläge zu einer besseren quantitativen Erfassung der zu erwartenden seismischen Auswirkungen des Meeresspiegel­anstiegs oder durch Extremwetterereignisse. „Wir planen, gezielt Bereiche starker Abschmelzung etwa auf Grönland oder einzelne Gletscher mikro­seismisch zu überwachen, um dann Analogien zur skandi­navischen Landmasse ziehen zu können, um die Prognosen zu verbessern“, sagt Yehuda Ben-Zion von der University of Southern California in Los Angeles.

In Skandinavien hat der Prozess des Abschmelzens von Landeismassen seit der letzten Eiszeit schon statt­gefunden. Dies hat dort auch zu – teils sehr starken – Erdbeben geführt. Allerdings ohne, dass es dort Millionen­städte oder kritische Infra­struktur gab, im Gegensatz zu den in der Zukunft betroffenen, besiedelten Küsten­bereichen weltweit. 

Nach Ansicht der Forschenden verstärkt das aus dem menschen­gemachten Klimawandel resultierende wachsende seismische Risiko, das zu den bereits bekannten direkteren Gefahren und Risiken der globalen Erwärmung hinzukommt, die Notwendigkeit, den anthropogenen globalen Temperatur­anstieg zu mindern und in eine verbesserte Erdbebenüberwachung und eine widerstands­fähigere Infrastruktur zu investieren. „Die Klimaauswirkungen auf kaskadierende Erdbebengefahren, einschließlich ausgelöster Erdrutsche, Tsunamis und Verflüssigung, sollten bei der Entwicklung von Plänen zur Minderung des Erdbeben­risikos berücksichtigt werden“, sagt Bohnhoff. Dies sei besonders wichtig für Küsten­regionen, einschließlich Megastädte und kritischer Infra­strukturen.

GFZ / JOL

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