23.10.2009

Mehr Mut zum Risiko

Wissenschaftler und Forschungsförderer sind aufgefordert, sich stärker als bisher auf das Ungewisse einzulassen.

Physik Journal – Wissenschaftler und Forschungsförderer sind aufgefordert, sich stärker als bisher auf das Ungewisse einzulassen.

Wenn es darum geht, was Wissenschaft und Forschung so faszinierend macht, dann spielt nicht zuletzt ein Moment mit, das uns manchmal vielleicht zu leicht aus dem Blick gerät: das Moment des Unerwarteten, die Begrenztheit des Planens und Kalkulierens.

Natürlich, Forschung findet in sehr vielen unterschiedlichen Projektformen statt. Da gibt es die Klassifizierungs- und Erschließungsprojekte, die ihre Gegenstände erst einmal erschließen und sichern, oder die Projekte, die Bekanntes vertiefen oder ausdifferenzieren. In Überprüfungs- und Generalisierungsprojekten werden singulär gewonnene Erkenntnisse auf andere Bereiche übertragen, und in Transfer- und Translationsvorhaben in die Praxis umgesetzt. Hier wie dort ist das Ziel der Forschung zumeist klar, sind die Methoden meistens bekannt, ist der Ablauf gut planbar.

Daneben aber gibt es auch die Projekte mit dem gewissen Etwas. Oder besser gesagt: die Projekte mit etwas Ungewissem. Sie wagen sich auf gänzlich neue Forschungsfelder und zielen auf bislang unbekannte Forschungswege ab. Wer hier unterwegs ist, geht meistens tentativ vor, folgt nicht selten auch der Intuition und experimentiert mit einer Vielzahl unkonventioneller Zugänge. Solche Projekte tragen nicht nur die Ungewissheit mit sich, die der Grundlagenforschung und ihrem Verlauf immer zu eigen ist, sondern gehen weit darüber hinaus. In der Regel nehmen sie sogar einen anderen Verlauf als beabsichtigt. Ob sie Ergebnisse produzieren, ist ungewiss – aber wenn sie es tun, dann führen diese nicht selten zu den großen Durchbrüchen in der Forschung.

Eben solche „Risiko-Projekte“ – „Risiko“ im positiven Sinne und nicht etwa im Sinne von Sicherheitsvorkehrungen oder Technikfolgeabschätzungen – müssen in der Forschung einen höheren Stellenwert und größeren Raum erhalten. Und sie müssen stärker und besser als bisher gefördert werden.

Das sagt sich leicht und ist doch schwer. Denn eine mit mehr Mut zum Risiko betriebene Forschung und ihre Förderung stellt hohe Anforderungen an alle Akteure in der Forschung selbst, aber auch in der Forschungspolitik und der Forschungsförderung.

Abb.: Meinung von Matthias Kleiner, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in Bonn. Der 54-Jährige steht seit 2007 als erster Ingenieurwissenschaftler an der Spitze von Europas größter Förderorganisation in der Grundlagenforschung und wurde kürzlich für eine zweite Amtszeit bis Ende 2012 wiedergewählt.

Um mit letzterer und aus der Sicht der größten Förderorganisation in der Grundlagenforschung zu beginnen: Wie bei allen Projekten müssen die Forschungsförderer auch bei „risikoreichen“ Projekten oftmals sehr weitreichende Förderentscheidungen treffen – nur dass hier die meisten der üblichen Informationen etwa über Dauer, Verlauf und mögliche Probleme der geplanten Forschungen nicht vorliegen, ja nicht vorliegen können. Das wirft grundsätzliche Fragen für die Begutachtung und Entscheidung der Förderanträge auf. Ihre Beantwortung ist das eine – der gedankliche Zugang zu „risikobehafteter“ Forschung ist das andere.

Wenn wir mehr Mut in der Forschung verlangen und fördern wollen, müssen wir die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dazu einladen, von den bekannten Wegen abzuweichen. Das schaffen wir nicht, indem wir zu früh zu scharfe Konturen im Erkenntnisweg verlangen. Stattdessen müssen wir Unschärfe nicht nur zulassen, sondern manchmal bewusst offene, „unscharfe“ Umgebungen und Bedingungen schaffen, die das Umherschweifen des Blicks und die Berücksichtigung von zufälligen Funden, Seiten- und Nebenwegen erst ermöglichen. Und wir müssen darauf vorbereitet sein, dass ein Projekt scheitert – in dem Sinne, dass es zwar optimal durchgeführt wurde, aber dennoch keine Ergebnisse erzielt hat. All dies versucht etwa die DFG mit ihren neuen Reinhart Koselleck-Projekten, bei denen gleich drei der ersten acht Bewilligungen übrigens in die Physik gingen – was zeigt, wie hoch das Potenzial risikoreicher Forschung auf diesem Wissenschaftsfeld ist.

So wie die Forschungsförderer sind auch die Forschungspolitiker und die Leitungen der Hochschulen und Forschungseinrichtungen gefordert, die Freiräume zu schaffen, die risikofreudige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler brauchen. Die Wertschätzung, die sie den Forscherinnen und Forschern zukommen lassen wollen, könnte sich nirgendwo deutlicher zeigen als bei der Unterstützung besonders risikoreicher Projekte.

Nicht zuletzt aber sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst gefordert, sich noch stärker als bisher auf das Ungewisse, das nicht Planbare und Kalkulierbare einzulassen und auch auf das Risiko des Sich-Irrens und Scheiterns. „Mehr Mut zum Risiko“ – der Appell geht an alle, die mit Wissenschaft zu tun haben und ihre Faszination immer wieder neu erleben.

Matthias Kleiner

Quelle: Physik Journal, November 2009, S. 3

AH

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