05.02.2021 • Energie

Mehr Strom von der Hauswand

Fassaden bieten großes Potenzial für die Gewinnung von Solarenergie.

Nicht nur Dächer bieten Platz für technische Anlagen zur Gewinnung von Strom aus Sonnenenergie. Auch Fassaden könnten bei Energiewende und Bodenschutz eine viel bedeutendere Rolle spielen als bisher. Das Leibniz-Institut für ökologische Raum­entwicklung hat gemeinsam mit dem Fraunhofer ISE das theoretische Flächen­potenzial für Photovoltaik an Fassaden für ganz Deutschland erhoben. Es ist doppelt so groß wie das der Dächer. 

Abb.: Kleinräumige Solarpotenzial­analysen berück­sichtigen nicht nur die...
Abb.: Kleinräumige Solarpotenzial­analysen berück­sichtigen nicht nur die Gebäude und ihre Flächen, sondern beziehen auch die Umgebung wie den Schatten­wurf durch Bäume in die Model­lierung mit ein. (Bild: Behnisch et al., IÖR)

„Für das Ziel der Bundesregierung, im Gebäudebestand bis 2050 Klima­neutralität zu erreichen, wird es nicht ausreichen, auf allen geeigneten Dächern in Deutschland Solaranlagen zu installieren“, sagt Martin Behnisch vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung. Deshalb hat das IÖR im Projekt Standard-BIPV in enger Kooperation mit wissen­schaftlichen Partnern wie dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, dem Institut für Angewandte Bauforschung Weimar, dem Lehrstuhl für Geoinformatik der TU München sowie mit Praxispartnern der Solarindustrie zusätzlich die Fassaden von Gebäuden in den Blick genommen. Auf der Basis amtlicher Geodaten hat das Team untersucht, welche Flächen­potenziale für bauwerks­integrierte Photo­voltaik (BIPV) die Gebäudefassaden in Deutschland bieten. „Das theoretische Flächenpotenzial lässt sich auf rund 12.000 Quadrat­kilometer Fassadenfläche und knapp 6.000 Quadrat­kilometer Dachfläche beziffern“, sagt Behnisch. Das entspricht rund der Hälfte der Fläche von Mecklenburg-Vorpommern. „Allerdings müssen wir auch betonen, dass es sich im Moment noch um theoretische Flächen­potenziale handelt“, schränkt Behnisch ein.

Die Ergebnisse haben Pionier­charakter. Sie fußen auf Daten, die die Verhältnisse in der Realität zum Teil stark vereinfachen. Für ihre Untersuchung haben die Forschenden ein 3D-Gebäudemodell des Bundesamtes für Kartographie und Geodäsie analysiert. Es enthält Informationen zum gesamten Gebäude­bestand der Bundesrepublik. Jedes Haus ist als Klötzchen mit Flachdach verzeichnet. Detaillierte Dachformen und daraus resultierende Giebelwände, Fenster, Türen, Auskragungen wie Balkone und andere Installa­tionen sind im Gebäudemodell nicht berücksichtigt. Sie sind in den ermittelten Flächen­potenzialen noch nicht eingerechnet ebenso wie Aspekte des Denkmal­schutzes oder der hochwertigen Fassaden­gestaltung. Gebäude­fassaden, die sich berühren und damit für die Installation von Photovoltaik nicht in Frage kommen, hat das Forschungsteam hingegen bereits herausgerechnet. Hinzu kamen Detailanalysen in drei Fokus­gebieten, den Städten München, Freiburg und Dresden, sowie einer bundesweiten Stichprobe von 100.000 Gebäuden.

In enger Kooperation mit einem Team um Thomas H. Kolbe von der TU München haben die Forscher des IÖR für alle Dach- und Fassadenflächen die solare Einstrahlung modelliert und visua­lisiert und so den möglichen solaren Energieertrag kleinräumig lokalisiert. Dafür hat das Team nicht nur auf detaillier­tere Gebäude­modelle mit ihren individuellen Dachformen zurückgegriffen. Auch die Umgebung der Gebäude, etwa Bäume und ihr Schattenwurf oder die Verschattung durch andere Gebäude sowie das Gelände und umgebende Berge wurden in die Berechnungen mit einbezogen. Das Ergebnis sind verschiedene Visua­lisierungen zu Flächen­potenzialen und möglichen Solarenergie­erträgen in Deutschland. So lässt sich zum Beispiel die räumliche Verteilung der Flächen­potenziale in Deutschland aufzeigen. Wo viele Menschen auf relativ engem Raum leben, ist auch das Potenzial für bauwerks­integrierte Photovoltaik-Module besonders hoch. Das ist zum Beispiel in den Ballungsräumen Rhein-Main, Rhein-Neckar und Rhein-Ruhr der Fall, ebenso wie in den städtischen Ballungszentren Berlin, Hamburg, Bremen, München oder dem Sachsendreieck Dresden-Leipzig-Chemnitz.

Die Modellierung der potenziellen Sonnen­energieerträge am Beispiel konkreter Gebäude macht deutlich, dass sich die Installation von Photovoltaik­anlagen an Fassaden vor allem bei großen Gebäuden wie Produktions­hallen, Bildungs­einrichtungen oder öffentlichen Gebäuden lohnt. „Aber auch große Wohnkomplexe wie Hochhäuser bieten durchaus großes Potenzial für die Installation von Photovoltaik“, so Behnisch. Das Projektteam im IÖR sieht die gewonnenen Daten als ersten Schritt zu einer besseren Planung der Energie­gewinnung an Gebäuden. „Die Daten müssen an den konkreten Standorten noch durch genauere Analysen spezifiziert werden. Aber sie geben doch einen Eindruck davon, welche großen Potenziale in bauwerks­integrierter Photovoltaik schlummern. Vor allem mit Blick auf die Ziele zur CO2-Einsparung sind das wichtige Ansatzpunkte“, sagt Behnisch. Auch mit Blick auf die Verkehrswende und die Heraus­forderungen der E-Mobilität sei es sinnvoll, mehr saubere Energie in den Städten zu gewinnen. Darüber hinaus gebe es auch Vorteile für den Umweltschutz. „Jedes Photovoltaik-Modul, das wir an einer Hausfassade installieren, hilft dabei, Natur und kostbaren Boden zu schonen, denn es macht den Bau flächen­intensiver Solarparks überflüssig.“

LIÖR / JOL

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