20.07.2016

Menschliches Auge erkennt einzelnes Photon

Ausgeklügeltes Experiment offenbart die Untergrenze menschlicher Sehfähigkeit.

Trotz zahreicher Studien, die seit über siebig Jahren durchgeführt wurden, konnte die absolute Untergrenze der menschlichen Seh­fähigkeit bisher nicht mit Sicherheit bestimmt werden. Aus älteren Unter­suchungen weiß man, dass dunkel-adaptierte Versuchs­personen Licht­blitze wahrnehmen können, die aus fünf bis sieben Photonen bestehen. Ob allerdings ein einzelnes Photon sichtbar ist, blieb lange Zeit ungeklärt. Nun wiesen Forscher am Wiener Institut für Molekulare Pathologie IMP und an der Rocke­feller University in New York erstmals nach, dass Menschen ein einzelnes Photon wahrnehmen können. Für ihre Experimente verwendeten sie eine Quanten-Licht­quelle und kombinierten sie mit einem ausge­klügelten psycho-physika­lischen Ansatz.

Abb.: Ein verschränktes Photonenpaar wird von einem menschlichen Auge wahrgenommen. (künstl. Illustr.: IMP)

Ein inter­disziplinäres Team unter der Leitung des Quanten­physikers Alipasha Vaziri konnte diese Frage in aufwändigen Versuchs­reihen mit freiwilligen Probanden positiv beantworten. „Wir konnten erstmals zeigen, dass das mensch­liche Auge tatsächlich imstande ist, ein einzelnes Photon zu erkennen“, erklärt Alipasha Vaziri. „Das ist wirklich bemerkens­wert und zeigt, bis zu welch erstaun­licher Effizienz die Evolution die Empfindlich­keit der Sinnes­organe vorantreiben kann, in diesem Fall bis zur Einheit der physi­kalischen Größe selbst.“

Was den Physiker besonders fasziniert: „Hier trifft ein Photon, die kleinste Einheit des Lichts, auf ein biologisches System, bestehend aus Milliarden von Zellen. Das extrem schwache Signal durchläuft mehrere Schritte biologischer Singnalv­erarbeitung bis hin zur bewussten Wahrnehmung und geht trotz aller möglichen Quellen des Rauschens nicht verloren. Zu allem Überfluss ist die Umgebung warm und feucht – normaler­weise ein wahrer Albtraum für Messungen auf der Quanten­ebene. Jeder von Menschen gebaute Detektor müsste stark gekühlt und sorgfältig abge­schirmt werden, um solche Ergebnisse zu liefern.“

Frühere Versuche waren daran gescheitert, dass weder die ausgereifte Techno­logie zur Verfügung stand noch die passenden psycho-physi­kalischen Ansätze. Vaziri: „Es ist nicht einfach, Licht zu erzeugen, das aus genau einem oder einer defi­nierten Anzahl von Photonen besteht. In Licht aus klas­sischen Quellen ist die Photonenen­zahl statistisch verteilt. Durch Dimmen kann man nur die mittlere Photonen­zahl eines Licht­pulses verringern, die exakte Anzahl ist nicht bestimmbar.“

Das Fehlen geeigneter Licht­quellen war demnach eine große Heraus­forderung bei der Entwicklung des Versuchs­ansatzes. Die Forscher lösten das Problem, indem sie eine Licht­quelle konstruierten, die bisher nur im Bereich der Quanten­optik und Quanten­information zum Einsatz kam. Das Prinzip basiert auf der spontanen para­metrischen Fluoreszenz, bei der ein energie­reiches Photon in einem optischen Kristall spontan in zwei verschränkte Photonen mit niedrigerer Energie zerfällt, wobei die Summe der Energien der beiden Photonen der des ursprüng­lichen entspricht. Im Versuch wurde jeweils eines der Photonen zum Auge der Versuchs­person geleitet, während das andere gleichzeitig auf einen Detektor traf.

„Das Set-up dieser Kamera war eine harte Nuss“, erzählt Jonathan Tinsley, der als Master-Student einen Teil der Experimente durchführte. „Außerdem mussten wir für die Versuche spezielle Dunkel­kammern bauen, die Licht und Geräusche perfekt abschirmten.“ Insgesamt wurde etwa neun Monate an dem Versuchsa­ufbau gearbeitet. Für die Auswertung der Versuche wählten die Forscher ein Protokoll, das in diesem Zusammen­hang erstmals zum Einsatz kam. Sie bedienten sich der Methode der erzwun­genen Wahl (two-alternative forced-choice, 2AFC), bei der die Probanden bei jedem Durchgang aus zwei Alter­nativen wählen müssen. Konkret mussten sich die Versuchs­personen zwischen zwei Zeitintervallen entscheiden, von denen nur in einem ein Photon aufblitzte. Mehr als 30.000 solcher Durchgänge wurden schließlich ausgewertet und zeigten mit statis­tischer Signi­fikanz, dass einzelne Photonen vom menschliche Auge wahr­genommen werden können.

Neben dieser Erkenntnis lieferten die Versuche ein weiteres uner­wartetes Ergebnis: die Chance, ein Photon wahrzunehmen, stieg an, wenn kurz zuvor bereits ein Photon ins Auge eingetroffen war. In Folge­experimen­ten wollen die Forscher klären, wie dieses Phänomen zustande kommt. Daneben eröffnen sich zahlreiche weitere Fragen: Wie können biologische Systeme derartige Empfindich­keit und Präzision entwickeln? Wie werden die schwachen Signale aus dem Hintergrund­rauschen heraus­gefiltert? Sind die beobachteten Phänomene auf den Sehsinn beschränkt oder liefern sie allgemeine Erkennt­nisse zur Signal­verarbeitung in Lebewesen? Alipasha Vaziri und sein Team werden diesen Fragen in den kommenden Jahren auf den Grund gehen.

IMP / JOL

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