Messen mit Spinnensinn
Hochempfindlicher Dehnungssensor imitiert das Spaltsinnesorgan der Tiere.
Wenn eine Spinne auf ihre Beute lauert, hilft ihr dabei ein besonderes Sinnesorgan. Über eine Reihe winziger Spalte an ihren Beinen nimmt sie schwächste Vibrationen im Boden oder in ihrem Netz wahr und kann so deren Quelle exakt orten. Forscher der Seoul National University in Südkorea ließen sich davon zur Entwicklung eines neuartigen Dehnungssensors inspirieren. Er ist nicht nur hochsensibel, sondern auch flexibel und äußerst widerstandsfähig – allesamt Eigenschaften, die ihn für eine Vielzahl technologischer Anwendungen empfehlen.
Abb.: Die neuen, hochsensiblen Dehnungssensoren funktionieren nach einem ähnlichen Prinzip wie die Spaltsinnesorgane an den Beinen von Spinnen. (Bild: D. Kang et al. / NPG)
Grundlage des neuen Sensors sind parallele, deformierbare Spalte. Bei der Spinne befinden sie sich im starren Exoskelett am Ende ihrer Beine, gelagert auf einer darunter liegenden, viskoelastischen Schicht. Sie sind direkt mit dem Nervensystem verbunden und können so äußere Vibrationen aufnehmen. Dieses System hat die Forschergruppe um Daeshik Kang technisch umgesetzt, indem sie eine 20 Nanometer dicke Platinschicht auf Polyurethan-Acryl, ein viskoelastisches Polymer, aufgebracht hat. Kontrolliert erzeugte Risse in der Platinschicht öffnen sich, wenn das Material gedehnt wird und, verändern den elektrischen Widerstand.
Ein typischer Sensor hat eine Länge von einigen Millimetern und weist etwa 1000 parallele Risse pro Zentimeter auf - erzeugt durch einfaches Biegen. Sie sind etwa 40 bis 50 Nanometer tief, reichen also bis in das Substrat. Entscheidend für die Empfindlichkeit des Sensors ist jedoch ihr Verlauf. Sie sind nicht gerade, sondern weisen ein Zickzack-Muster auf. Diese Verzahnung der gegenüberliegenden Seiten eines Spalts führt zu Bildung vereinzelter Leitungsbrücken, deren Anzahl abnimmt, je weiter sich der der Spalt öffnet. Dadurch nimmt der elektrische Widerstand beim Dehnen nicht sprunghaft zu, sondern hat einen kontinuierlichen Verlauf. Dieser Vorgang ist voll reversibel bis zu einer Dehnung von zwei Prozent und bleibt über 5000 Belastungszyklen weitgehend stabil.
Neben der kontinuierlichen Abnahme zeigte eine genaue Betrachtung der Leitfähigkeit während des Dehnungsvorgangs noch ein weiteres Phänomen. Vor allem bei geringen Dehnungen sind leichte Fluktuationen des Signals zu beobachten. Mithilfe eines theoretischen Modells konnten diese Fluktuationen einem ständigen Öffnen und Schließen von elektrischen Verbindungen zugeordnet werden. Während sich der Sensor in Längsrichtung dehnt, zieht er sich aufgrund seiner viskoelastischen Eigenschaften quer dazu zusammen. So bilden durch Dehnung getrennte Leitungsbrücken aufgrund seitlicher Verschiebungen wieder neue Verbindungen.
Um die Empfindlichkeit der neuen Sensoren zu demonstrieren, spannten Kang und seine Kollegen ein Exemplar über das F-Loch im Klangkörper einer Violine. Eine Fouriertransformation des gemessenen Signals gab sowohl die Grundfrequenzen als auch die Obertöne der einzelnen Saiten exakt wieder. Es war auf diese Art sogar möglich, ein komplexes Musikstück aufzunehmen und korrekt wieder abzuspielen.
Als mögliche Anwendungen regen die Autoren der Studie unter anderem Spracherkennung an. Am Hals einer Testperson platziert konnte der Sensor verschiedene gesprochene Worte eindeutig unterscheiden. Diese Art der Messung ist weitgehend unabhängig von Störgeräuschen aus der Umgebung – ein erheblicher Vorteil gegenüber konventionellen, auf Mikrofonen basierenden Technologien. Ebenso könnte der Sensor zur Überwachung von Körperfunktionen eingesetzt werden. Eine Dehnungsmessung am Handgelenk ermöglichte nicht nur eine Bestimmung des Pulses, sondern gab auch den Druckverlauf innerhalb der einzelnen Schläge mit hoher Genauigkeit wieder.
Einen Ansatzpunkt zu weiteren Verbesserung der Dehnungssensoren sehen die Forscher vor allem in der Erzeugung der Risse. Eine präzise Ausführung anstelle der zufälligen Strukturierung durch Biegen könnte ihrer Meinung nach die Empfindlichkeit noch deutlich erhöhen.
Thomas Brandstetter
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