03.02.2023

Mikroimplantate bilden intelligentes Netzwerk

Patient kontrolliert eine Handbewegung über ein Eye-Tracking-System.

Die Entwicklung winziger, in den Körper implantierbarer Helfer hat das Ziel, die Lebens­qualität von Menschen mit funktionalen Einschränkungen zu erhöhen. Aktive Implantate wie etwa Hirn- und Herzschritt­macher können über elektrische Impulse Nerven stimulieren. Anders als viele Medikamente wirken sie direkt und lokal. Da sie über elektrische Signale funktionieren, haben sie kaum Nebenwirkungen. Ihre Schwachstellen: Kabelverbindungen zwischen Zentral­implantat und Elektroden können brechen, Batterien müssen regelmäßig ausgetauscht werden. Ziel des vom Bundesforschungs­ministerium geförderten Innovationsclusters „Interaktive Mikro­implantate“ INTAKT war es daher, eine neue Generation von aktiven, miteinander vernetzten Mikro­implantaten zu entwickeln, die lebenslang im Körper verbleiben können.

Abb.: Eine koordinierte Stimulation der Mikro­implantate unterstützt bei der...
Abb.: Eine koordinierte Stimulation der Mikro­implantate unterstützt bei der Ausführung von Handbewegungen. (Bild: FhG)

Mit dem Fraunhofer-Institut für Biomedi­zinische Technik IBMT als Verbundkoordinator entwickelten achtzehn Kooperations­partner aus Wirtschaft, Wissenschaft und dem klinischen Bereich ein Netzwerk aus bis zu zwölf Mikro­implantaten, die drahtlos, in Echtzeit und sicher miteinander kommunizieren. Über die Kommunikation untereinander hinaus können Patient und Arzt jederzeit auch von außen mit dem Implantate-Verbund kommunizieren. „Über Laptop oder Smartphone kann der Betroffene seine eigenen Implantate jederzeit so einstellen, wie es seinen aktuellen Bedürf­nissen entspricht, und gemeinsam mit dem Arzt die Therapie oder Rehabilitation optimieren“, sagt Klaus-Peter Hoffmann, ehemaliger Haupt­abteilungsleiter Biomedizin­technik am Fraunhofer IBMT. Damit sei eine Arzt-Patienten-Zusammenarbeit auf Augenhöhe möglich.

Für das Verbundprojekt hatten sich die Cluster-Partner drei Anwendungs­felder ausgesucht: die Behandlung von Tinnitus durch Stimulation der Cochlea, die Milderung von Motilitäts­störungen, also die anregende, verzögernde oder koordinierende Wirkung auf die Darmbewegung, sowie die zumindest teilweise Wieder­herstellung der Greiffunktion der Hand nach einer Querschnitts­lähmung. Bei der Tinnitus-Applikation etwa stimuliert jeweils ein Implantat das Runde Fenster der Cochlea im Innenohr, moduliert so die Aktivitäten im Hörnerv und verrauscht dadurch das Phantom­geräusch, das rund zehn Millionen Menschen in Deutschland den Alltag verleidet.

Um gastro­intestinale Motilitäts­störungen zu beheben, wie sie etwa nach Bauchraum-Operationen, bei Querschnittsgelähmten oder Diabetikern vorkommen können, erfassen die strategisch im Magen-Darm-Trakt verteilten Implantate die Aktivität jeweils eines Abschnitts und kommunizieren dieses Wissen an eine zentrale Steuereinheit. Diese wertet die Datenlage aus, motiviert dann die entsprechenden Implantate zur Stimulation der betroffenen Teile des Intestinal­trakts und bewirkt so einen möglichst störungsfreien Verdauungs­prozess.

Besonders komplex ist die partielle Wiederherstellung der Greiffunktion. Dafür können die Muskeln des Unterarms von bis zu zwölf Mikro­implantaten stimuliert und so bis zu acht Handbewegungen wieder­hergestellt werden. Der Patient kontrolliert die Handbewegung dabei über ein Eye-Tracking-System: Vorab definierte Augen-, Lid- und Kopfbewegungen geben Befehle an die zentrale Steuereinheit weiter, die dann entsprechend das Implantat-Netzwerk orchestriert.

„Mit der Entwicklung eines Implantat-Netzwerks haben wir mehrere Vorteile geschaffen“, sagt Roman Ruff, Gruppenleiter am Fraunhofer IBMT. Einer davon ist die höhere Biostabilität: „Sensoren und Aktoren wurden direkt in das Gehäuse integriert, sodass wir auf empfindliche Kabel­verbindungen verzichten konnten.“ Die Implantate interagieren stattdessen über Funk und Infrarot miteinander. Das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS hat für die Implantate einen stark minia­turisierten ASIC – application-specific integrated circuit–, eine anwendungs­spezifische integrierte Schaltung entwickelt, die Biosignale etwa aus dem Armmuskel oder Magen und Darm erfassen und weitergeben und zugleich dazu passende Elektro­stimulation initiieren kann.

Ein Flaschenhals für Weiter­entwicklungen der Hightech-Minis ist die Energie­versorgung. Batterien brauchen Platz und müssen regelmäßig ausgetauscht werden. Bei einem Verbund aus Implantaten ist dies besonders aufwendig, da jedes einzelne Gerät je nach Beanspruchung einen unterschiedlichen Energie­verbrauch hat. Die Entwickler setzen auf induktive Ladung. Eine zentrale Steuereinheit liefert dem Implantat-Netzwerk so für 24 Stunden zuverlässig Energie. Diese Basisstation kann der Patient bei den drei aktuellen Anwendungs­feldern entweder als eine Arm- oder Bauch­manschette oder als Ear-Wearable hinter dem Ohr tragen.

„Die Energie­versorgung von außen ermöglicht eine Langzeit­stabilität des Implantat-Verbunds“, sagt Klaus-Peter Hoffmann. „Außerdem erfolgt die Energie­versorgung adaptiv – jedes einzelne Implantat erhält genau die Energiemenge, die es benötigt.“ Für den Notfall ist eine Batterie als Puffer­speicher im Implantat integriert, die ebenfalls regelmäßig induktiv geladen wird. Erste präklinische Tests und Probanden­studien haben gezeigt, dass die bislang entwickelten Appli­kationen funktionieren. Es gilt nun, den weiten Weg zu beschreiten, die Entwicklung in die klinische Anwendung zu überführen und für Patientinnen und Patienten nutzbar zu machen.

FhG / JOL

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