27.10.2014

Mikroobjekte lernen laufen

Zufällige magnetische Anregung bewegt mikroskopisch kleine Objekte Schritt für Schritt entlang des Reibungsgradienten einer Oberfläche.

Um zu gehen, braucht es Reibung. Diese einfache Erkenntnis wurde nun durch ein eindrucksvolles Experiment am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge um eine Facette reicher. Eine Forschergruppe rund um Joshua P. Steimel konnte zeigen, dass nicht nur die Reibung selbst, sondern auch ihr Gradient eine entscheidende Rolle bei der schrittweisen Fortbewegung spielen kann.

Abb.: Das rotierende Magnetfeld regt einen Microwalker zu einem Schritt nach rechts an, also in Richtung höherer Reibung (oben). Zwischen den einzelnen magnetischen Anregungen gibt es kurze Relaxationsphasen, in denen sich die Microwalker wieder parallel zur Oberfläche orientieren (Mitte). Die Reibung unter dem anfangs vorderen Kügelchen ist niedrig, die Schrittweite also dementsprechend klein. (unten, Bild: Joshua P. Steimel et al., MIT)

Dazu haben die Forscher mikroskopisch kleine Läufer, sogenannte Microwalker, entwickelt. Sie bestanden aus je zwei Kügelchen mit drei Mikrometern Durchmesser, die aufgrund ihrer super-paramagnetischen Eigenschaften spontan eine Einheit bildeten. Da sie entlang ihrer Verbindungsachse ein magnetisches Moment aufwiesen, konnten sie durch ein rotierendes Magnetfeld dazu getrieben werden, sich Schritt für Schritt über eine Oberfläche zu bewegen. Dabei bestimmte die Reibung zwischen den Kugeloberflächen und dem Substrat die Schrittweite. Je größer die Reibung, desto weniger rutschte das vordere Kügelchen während des Überschlags nach hinten weg. Dementsprechend höher war also auch die Geschwindigkeit, mit der sich die Läufer fortbewegten. Die Messung dieser Geschwindigkeiten auf verschiedenen Substraten erlaubte also Rückschlüsse auf minimale Unterschiede in den Reibungskoeffizienten.

Dieser Effekt an sich wäre schon bemerkenswert. Die eigentliche Stärke der Microwalker trat jedoch erst hervor, als sie sich auf einer Oberfläche mit ungleichmäßigem Reibungskoeffizienten bewegten, das Substrat also einen Reibungsgradienten aufwies. Dann spürte nämlich das vordere Kügelchen einen höheren Reibungswiderstand als das hintere. Das hatte zur Folge, dass ein Schritt nach vorne größer ausfiel als ein Schritt nach hinten. Regte man die Bewegung nun mit einem Magnetfeld an, dessen Drehrichtung zufällig variiert wurde, ergab sich aus der asymmetrischen Verteilung der Schrittweiten eine gezielte Bewegung – und zwar in Richtung des Bereichs mit höherem Reibungskoeffizienten. Mit anderen Worten: Die Microwalker suchten selbstständig nach Bereichen des Substrats mit hohem Reibungswiderstand.

Das erinnert stark an das Verhalten lebender Zellen, die aufgrund der chemischen Zusammensetzung einer Oberfläche ihren Weg finden. So ist es auch kein Zufall, dass die Forscher in ihrem Experiment biologische Moleküle verwendet haben, um den Reibungskoeffizienten zu variieren. Sie haben die Oberflächen der Kügelchen mit einer bestimmten Sorte von Molekülen funktionalisiert und eine andere Sorte in unterschiedlicher Konzentration auf dem Substrat verteilt. Je mehr von diesen Gegenstücken die Läufer vorfanden, desto schlechter hafteten sie an der Oberfläche.

Um eine inhomogene Verteilung der Substratmoleküle zu realisieren, hat man diese zuerst in Wasser gelöst und dann einen Tropfen der Lösung auf der Oberfläche verdunsten lassen. Aufgrund der unterschiedlichen Verdunstungsraten entlang der Oberfläche des Tropfens und der dadurch induzierten Kapillarströmungen entstand ein sogenanntes Kaffeering-Muster auf dem Substrat. Das heißt, die Moleküle haben sich am äußeren Rand des Tropfens abgelagert und dort einen ringförmigen Bereich niedriger Reibung erzeugt. Zusätzlich bildete sich weiter innen ein weiteres solches Gebiet. So entstand ein Muster mit einem Durchmesser von etwa einem Millimeter, bestehend aus konzentrischen Ringen mit abwechselnd hoher und niedriger Reibung. Alles in allem ein recht komplexes System, um die Eigenschaften der Microwalker zu testen.

Um so eindeutiger war das Ergebnis. Egal wo die Läufer platziert wurden, nach ein paar Hundert Zyklen zufälliger magnetischer Anregung fanden sich alle in den Bereichen höchster Reibung wieder. Eine genaue Analyse der Wege zeigte einerseits, dass Bereiche minimaler Reibung instabile Punkte darstellten, die Läufer von dort aus also beide Richtungen einschlagen konnten. Andererseits blieben jene, die in Gebieten höchster Reibung starteten, dort hängen und bewegten sich, zumindest im zeitlichen Mittel, gar nicht. Alle übrigen folgten strikt dem vorgegeben Gradienten, bis sie ihr Ziel erreicht hatten.

Potentielle Anwendung für ihre Microwalker sehen die Forscher vor allem in der Untersuchung biologischer Proben. Die Oberflächen der Kügelchen lassen sich nämlich mit einer Vielzahl verschiedener Moleküle funktionalisieren. Theoretisch können sie also auch erhöhte Konzentrationen von ebenso vielen molekularen Gegenstücken aufspüren. Und das ganz von selbst, ohne jegliche Vorabkenntnisse der Probenbeschaffenheit.

Thomas Brandstetter

DE

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