06.01.2022

Mikroplastik als Kennzeichen des Anthropozäns

Ablagerungen von Mikroplastik in Überschwemmungsgebieten untersucht.

Wie lassen sich geologische Schichten abgrenzen, die sich im Zeitalter des Anthropozäns gebildet haben? Fachleute aus Geographie und Physik schlagen jetzt vor, Mikroplastik als Kennzeichen anthropozäner Schichten heranzuziehen. Das Team suchte in Bodenproben aus Flussauen nach mittelgroßen Kunststoff­teilchen. Die Partikel finden sich in Schichten bis zu zwei Metern Tiefe – das liegt unterhalb der jüngsten Ablagerungen, die sich auf natürliche Weise seit den 1960er Jahren gebildet haben.

 

Abb.: Kunststoffmüll gelangt aus den Gewässern – im Bild die Lahn in...
Abb.: Kunststoffmüll gelangt aus den Gewässern – im Bild die Lahn in Mittelhessen – in die Flussauen. (Bild: C. Weberc)

Im Jahr 2019 erreichte die weltweite Jahresproduktion an Kunststoffen einen Umfang von 368 Millionen Tonnen, rechnet der Weltverband der Plastik­hersteller vor. „Gewässer transportieren mehr als neunzig Prozent des Plastikmülls“, merkt der Marburger Geograph Collin Weber an, einer der Leitautoren der aktuellen Studie. „Dabei kommt es auch zur Ablagerung in Überschwemmungs­gebieten.“

Flussauen bieten geeignete Bedingungen für landwirtschaftliche Nutzung und werden daher oftmals intensiv kultiviert. Wieviel Mikroplastik lagert sich in Überschwemmungs­gebieten ab? Wie verteilt es sich? Welche Umweltfaktoren tragen zur Ablagerung und zur Verlagerung des Plastiks in Böden bei? Um diese Fragen zu beantworten, nahm Weber Bohrungen an verschiedenen Stellen entlang des Flusses Lahn in Mittelhessen vor. Er gewann aus einer Tiefe von bis zu zwei Metern insgesamt 120 Bodenproben.

In einer ersten Veröffentlichung wiesen Weber und sein Promotions­betreuer Christian Opp bereits nach, dass grober Plastikabfall in viel tiefere Schichten des Bodens gelangt, als man bis dahin angenommen hatte. Sie fanden im Schnitt zwei Plastik­partikel pro Kilogramm Erde. Die Kunststoff­teilchen kamen bis in eine Tiefe von einem Meter vor.

Um feinere Kunststoffteilchen in den Bodenproben aufzuspüren, taten sich Weber und Opp mit weiteren Fachleuten aus Geographie und Physik zusammen. Das Team nahm sich die Bodenproben erneut vor, suchte diesmal jedoch nach kleineren Partikeln in einer Größe von einem halben bis unter zwei Millimeter. „Zusätzlich nahmen wir Altersdatierungen der Auenböden vor, um die Ablagerung von Mikroplastik in den vergangenen Jahrzehnten besser nachvollziehen zu können“, erläutert Weber.

Die Befunde bestätigen, dass sich Mikroplastik zeitweise in Flussauen anhäuft. 79 von 111 Bodenproben enthielten mittelgroße Kunststoff­teilchen, das sind 71 Prozent. Das Team identifizierte 158 Partikel, das entspricht 2,75 Fundstücke pro Kilogramm Erde. Freilich: In landwirtschaftlich genutztem Boden findet sich viel mehr Mikroplastik.

Für die Flussauen stellte das Team fest: In den oberen fünfzig Zentimetern des Bodens sammeln sich eher Partikel an als weiter unten, doch findet sich auch in zwei Metern Tiefe noch Kunststoff. „Das Material gelangt bei Hochwasser in den Boden, wobei menschliche Einträge nicht auszuschließen sind“, legt Weber dar.

„Mikroplastik wirkt sich auf die Bodeneigenschaften, die darin lebenden Organismen und auf das Pflanzenwachstum aus“, hebt der Geograph Peter Chifflard hervor, ein weiterer Leitautor und Betreuer der Arbeiten von Collin Weber. Das betrifft auch die Nahrungs­mittel­produktion: „Erste Studien deuten darauf hin, dass Plastik­partikel auch in die Nahrungskette und in den menschlichen Körper gelangen können.“ So wies ein Marburger Team aus Medizin und Chemie vor Kurzem nach, dass Mikroplastik zu Gefäß­entzündungen führen kann, wenn es in die Blutbahn von Wirbel­tieren gelangt.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist die weltweite Plastikproduktion rasant angestiegen, von 1,7 Millionen Tonnen im Jahr 1950 auf nun mehr als das Zweihundert­fache. Somit hat sich seit siebzig Jahren die Wahrscheinlichkeit vielfach erhöht, dass sich Mikroplastik in der Umwelt anreichert. Die Forschungs­gruppe schlägt daher vor, Kunststoff­partikel als Kennzeichen für die Schichten des Anthropozäns heranzuziehen, also des vor Kurzem ausgerufenen Erdzeitalters, das durch den Menschen geprägt ist. „Hierfür muss jedoch im Detail geklärt werden, welche Umweltfaktoren die Verteilung der Kunststoffpartikel im Boden beeinflussen“, gibt Weber zu Bedenken.

Collin Weber verfertigt seine Doktorarbeit in den Arbeitsgruppen von Christian Opp und Peter Chifflard, der Boden­geographie und Hydro­geographie in Marburg lehrt. Neben den Marburger Geographen beteiligten sich der Marburger Physiker Martin Koch und seine Mitarbeiterin Julia Prume sowie der Geograph Thorbjørn Joest Andersen aus Kopenhagen an der Studie. Das Hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie sowie die Nachwuchs­akademie MARA der Universität Marburg förderten die Forschungs­arbeit finanziell.

U. Marburg / DE

 

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