28.06.2018

Mit Bäumen zu den Sternen

Random-Forest-Ansatz hilft bei der Analyse von Exoplaneten-Atmosphären.

An der Universität Bern haben Forscher aus der Astro­physik und der Medizin­technik gemeinsam eine neue Methode entwickelt, mit der sie Planeten außerhalb unseres Sonnen­systems untersuchen. Die ungewöhnliche Zusammen­arbeit setzt auf maschinelles Lernen, ein Teil­gebiet der künstlichen Intelligenz.

Abb.: Raphael Sznitman und Kevin Heng (Bild: U. Bern)

Der Astrophysiker Kevin Heng, Direktor des Center for Space and Habitability (CSH) war sofort fasziniert, als er von der Arbeit von Raphael Sznitman, Professor am ARTORG Center for Biomedical Engineering Research erfuhr. Sznitman und seine Gruppe nutzen für ihre Medizin­technik-Forschung maschinelles Lernen. Es ermöglicht Computern, aus Daten zu lernen, ohne dafür explizit programmiert werden zu müssen. Die Medizin­technik-Forscher verwenden maschinelles Lernen unter anderem, um chirurgische Werkzeuge während Augen­operationen zu kontrollieren, und um auf Bildern Bio­marker zu erkennen, die Krankheiten identifizieren können.

„Raphael Sznitmans Art, Bilder zu betrachten, gleicht der Vorgehens­weise in der Astronomie“, stellt Kevin Heng fest: „Egal ob in der Astronomie oder in der Medizin­technik, man versucht immer die Mängel der Bild­gebungs­verfahren zu verstehen und sie zu verbessern.“ Und die Analyse­methoden, die in Raphael Sznitmans Gruppe entwickelt werden, sind auf verschiedene Datenarten anwendbar. So beschlossen die beiden Wissen­schaftler eine sehr ungewöhnliche inter­disziplinäre Zusammen­arbeit: Erstmals wollten sie maschinelles Lernen einsetzen, um damit die Atmosphäre von Planeten außer­halb unseres Sonnen­systems zu analysieren.

Das Spektrum eines Exoplaneten enthält Informationen über die in seiner Atmosphäre vorhandenen Moleküle, die physikalischen Bedingungen und die Existenz von Wolken. Dadurch lässt sich beispielsweise Wasser in der Atmosphäre eines Planeten aufspüren und die Bewohnbar­keit abschätzen. Dazu vergleichen die Forscher die Licht­spektren der Exoplaneten mit Modell-Spektren und versuchen, eine möglichst ähnliche Kombination zu finden.

Dieser Prozess war bisher sehr zeitaufwändig und bot Raum für menschliche Fehl­einschätzungen. Deshalb wollte ihn das Team beschleunigen und automatisieren. Mit Hilfe von Post­doktorand Pablo Marquez-Neila (ARTORG) und Doktorandin Chloe Fisher (CSH) berechneten sie eine große Menge von Modellen und verwendeten diese dann als Trainings­set für das maschinelle Lernen. Mit Hilfe dieser Daten lernt der Computer, aus einem Spektrum die Zusammen­setzung der Exoplaneten-Atmosphäre zu bestimmen.

Die Methode, mit der der Computer das optimale Modell findet, heißt „Random Forest“. Sie wird traditionellerweise zur Klassifizierung von Objekten in Bildern verwendet und funktioniert im Prinzip wie die Gesichts­erkennung, die wir von unseren Smart­phones kennen. „Der Computer lernt anhand der Daten zu erkennen, ob ein bestimmtes Merkmal auf einem Bild vorhanden ist oder nicht. Weil sich das Verfahren aus sehr vielen solcher Entscheidungs­bäumen zusammensetzt, heißt es Random Forest“, erklärt Raphael Sznitman. „Wir mussten uns zuvor mehrmals zusammen­setzen, bis wir das Problem vollständig verstanden hatten“, erinnert sich Sznitman: „Dann war uns klar, dass Random Forest auch auf Licht­spektren angewandt werden kann und somit die Lösung ist.“

Um die Methode zu testen, wählten die Astro­physiker als Beispiel den Exoplaneten WASP-12b, einen Jupiter-großen Planeten mit einer Temperatur von mehr als 1000 Grad Celsius. Im beobachteten Spektrum musste der Computer nach Mustern suchen. „Das menschliche Auge ist sehr gut darin, aufgrund von Mustern Gesichter intuitiv zu erkennen“, erklärt Kevin Heng. „Aber wenn es um sehr abstrakte Muster geht, stößt der menschliche Verstand schnell an Grenzen.“ Der Computer reüssierte im Fall des heißen Jupiters WASP-12b und zeigte, dass die Random-Forest-Methode viel schneller funktioniert als der reguläre Ansatz ohne maschinelles Lernen.

Diese neuartige Anwendung des maschinellen Lernens eröffnet spannende Möglichkeiten für die Zukunft. „Wir haben nun bessere Informationen, wenn es beispiel­weise darum geht, den Wasser­gehalt einer Exo­planeten-Atmosphäre abzuschätzen“, sagt Heng: „Das erhöht unsere Chancen im inter­nationalen Wettbewerb um die wertvolle Teleskop­zeit. Und vielleicht können wir sogar das Design künftiger Instrumente beeinflussen.“

Das Team beabsichtigt, seine Software öffentlich zugänglich zu machen, so dass Forscher künftig überall auf der Welt Spektren von Exo­planeten schneller analysieren können. „Das demokratisiert die Analyse. Alle, die einen Computer mit der Python-Software haben, können dieselben Analysen wie wir durchführen – das dauert nicht länger als eine Kaffeepause“, merkt Kevin Heng an.

Die erfolgreiche Zusammenarbeit wird zudem fortgesetzt und soll auch zur Lösung medizinischer Probleme beitragen. In der Astronomie gibt es eine lange Tradition im Umgang mit Bild­verarbeitung und Modell­rechnungen. „Medizinische Bilder von Patientinnen und Patienten sind nicht immer ideal. Die große Erfahrung der Astronominnen und Astronomen mit Modell­rechnungen ist auch für die Bild­verarbeitung in der Medizin sehr interessant und könnte die Diagnose und Behandlung der Patienten verbessern“, sagt Raphael Sznitman.

U. Bern / DE

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