25.11.2013

Mit gespaltener Persönlichkeit

In einem supraleitenden Material verhält sich ein Teil der Elektronen wie in einem konventionellen Metall, ein anderer wie in einem unkonventionellen.

Gezielt Supraleiter für zahlreiche Anwendungen zu entwickeln hat große technische Relevanz. Trotz ihres Namens wird die Hochtemperatursupraleitung bislang nur bei ausgesprochen tiefen Temperaturen beobachtet. Bei höheren Temperaturen – oberhalb der Übergangstemperatur – ändern sich die Eigenschaften des Materials und die supraleitende Eigenschaft verschwindet. Dabei ist es aber wichtig, das Verhalten des Materials im nicht supraleitenden Zustand zu untersuchen, wenn man den Mechanismus hinter der Hochtemperatursupraleitung verstehen will.

Abb.: Das Phasendiagramm zeigt wie die Eigenschaften des Materials La2-xSrxCuO4 von der Temperatur und der Dotierung abhängen. Für eine Kombination von Werten für Temperatur und Dotierung, die einem Punkt in dem gelben Bereich entspricht, verhält sich das Material als Supraleiter. Für noch höhere Dotierungen geht das Material in den Zustand einer Fermi-Flüssigkeit über. (Bild: PSI)

Dieser Überlegung folgend haben Forscher des Paul-Scherrer-Instituts zusammen mit Kollegen aus Schweden, Frankreich und England die Wechselwirkung der Elektronen in dem Material La1.77Sr0.23CuO4 oberhalb der Übergangstemperatur untersucht. Frühere Experimente hatten bereits gezeigt, dass die elektronischen Eigenschaften dieses Materials sich von denen konventioneller Metalle wie Eisen oder Gold unterscheiden. Das Ziel der PSI-Forschenden war, das Verhalten der Elektronen im Detail zu beobachten. Dazu haben sie das Material mit Synchrotronlicht aus der Synchrotron Lichtquelle Schweiz des Paul Scherrer Instituts untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass die Eigenschaften der Elektronen stark davon abhängen, in welche Richtung ihr Impuls zeigt – also im Prinzip von deren Bewegungsrichtung. Für eine Symmetrierichtung verhalten sich die Elektronen, als ob sie sich in einem konventionellen Metall bewegten, während für andere Richtungen ihr Verhalten einem unkonventionellen Metall entspricht. Die Entdeckung dieser unerwarteten Anisotropie leistet einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der Stromleitung in Hochtemperatursupraleitern. Zusätzlich werden zukünftige Experimente und Theorien zur Hochtemperatursupraleitung diesen Effekt berücksichtigen müssen. Bislang wurde die Wechselwirkung der Elektronen meist als isotrop angenommen.

Aus der Perspektive der Elektronen betrachtet entspricht der spezifische Widerstand der mittleren freien Weglänge der Elektronen, also dem Weg, den ein durchschnittliches Elektron zurücklegt, bevor es mit etwas kollidiert – je kürzer die mittlere freie Weglänge, umso höher der spezifische Widerstand. Allgemein nimmt der spezifische Widerstand auch mit der Temperatur zu, weil sich die Teilchen, mit denen die Elektronen kollidieren können, bei höheren Temperaturen schneller bewegen, was die Wahrscheinlichkeit für Kollisionen erhöht. In der Theorie der Fermi-Flüssigkeit ist der spezifische Widerstand bei niedrigen Temperaturen proportional zum Quadrat der Temperatur, d. h., wenn man die Temperatur verdoppelt, vervierfacht sich der spezifische Widerstand. Insbesondere hat der spezifische Widerstand bei der Temperatur null auch selbst den Wert null, was bedeutet, dass sich die Elektronen nun ungehindert bewegen können. Jeder andere Zusammenhang zwischen dem spezifischen Widerstand und der Temperatur ist Zeichen eines unkonventionellen Verhaltens.

Dass es sich bei dem hier untersuchten Material um ein unkonventionelles Metall handelt, wurde durch Messungen des spezifischen Widerstandes bestimmt. „Messungen des spezifischen Widerstandes liefern aber nur ein ungenaues Bild der Elektronenwechselwirkungen in dem Material“, erklärt Johan Chang, Leiter des Forschungsteams am PSI und  Wissenschaftler an der EPFL. „Wir wollten das Verhalten der Elektronen im Detail bestimmen.“ Dazu haben die Forscher das Material an der SIS-Strahllinie an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz des PSI untersucht. Im Experiment beleuchteten sie ihre Probe mit ultraviolettem Synchrotronlicht. Indem sie die Energie und Bewegungsrichtung der Elektronen mit hoher Genauigkeit maßen, konnten die Forschenden genau bestimmen, welche Eigenschaften die Elektronen hatten als sie sich noch im Material befanden: ihre Bindungsenergie und ihren Impuls. Bei der Analyse ihrer Daten waren die Forscher vor allem an dem Effekt interessiert, dass – wenn man die Messung an zahlreichen Elektronen durchführt, die sich im Material alle im gleichen Zustand befinden – nicht immer die gleiche Energie gemessen wird. Stattdessen beobachtet man eine Energieverteilung. Diese Verteilung ergibt sich dadurch, dass die Quantenzustände nicht unbegrenzte Zeit leben. Das entspricht der oben beschriebenen Beobachtung, dass die Elektronen mit anderen Teilchen kollidieren und dabei ihren Bewegungszustand und damit auch den Quantenzustand ändern.

Abb.: Johan Chang mit der untersuchten Supraleiter-Probe (Bild: A. Herzog, EPFL)

Die Art und Weise, wie die Lebensdauer von Bindungsenergie und Impuls abhängt zeigt, ob die Elektronen sich entsprechend der Fermi-Flüssigkeit verhalten oder nicht. Wie erwähnt, zeigte es sich im beschriebenen Experiment, dass sich die Elektronen je nach Bewegungsrichtung unterschiedlich verhalten. Für manche Richtungen bewegen sie sich, als befänden sie sich in einem konventionellen Metall, für andere zeigen sie ein unkonventionelles Verhalten. Die Elektronen haben also gewissermaßen eine „gespaltene Persönlichkeit“.

Diese Entdeckung zeigt, dass dieser Supraleiter gleichzeitig ein konventionelles und ein unkonventionelles Metall ist – je nachdem, welche Richtung man betrachtet. „Unsere Untersuchungen zeigen, dass es wichtig ist, supraleitende Materialien auch im Normalzustand zu untersuchen, wenn man die Hochtemperatursupraleitung verstehen will“, betont Martin Månsson, Materialwissenschaftler am PSI und an der EPFL. „Sie zeigen auch, wie wichtig es ist Standardverfahren wie die Messung des spezifischen Widerstandes mit modernsten impulsaufgelösten Methoden wie ARPES (angle-resolved photoelectron spectroscopy) zu kombinieren, um eine genaue Beschreibung der Elektroneneigenschaften in diesen komplexen Verbindungen zu erhalten.“

PSI / OD

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