Mit Quanten testen, tricksen, simulieren
Jahresrückblick Atom-, Quanten- und Festkörperphysik 2015.
Die „spukhafte“ Fernwirkung zwischen quantenmechanisch verschränkten Objekten, an die Einstein nicht glauben mochte, ist offenbar eine Tatsache. Das haben im zurückliegenden Jahr gleich drei Experimente gezeigt. Bei diesen Bell-Tests, die auf Überlegungen des nordirischen Physikers John Bell zurückgehen, wurden die Eigenschaften von Paaren von Objekten gemessen, die sich jeweils in einem verschränkten Quantenzustand befanden. Demnach waren die Messergebnisse eines jeden Paares stärker miteinander abgestimmt, als sich – wie von Einstein erhofft – im Rahmen der klassischen Physik erklären ließ.
Abb.: Bell-Test mit drei Labors (A, B und C). In A und B befinden sich die beiden Mikrodiamanten, deren Fehlstellen miteinander quantenmechanisch verschränkt wurden. Dazu wurden Photonen von A und B per Glasfaser zu C geschickt und dort einer gemeinsamen Messung unterzogen. Anschließend fanden an den verschränkten Spins der Fehlstellen Messungen statt. (Bild: B. Hensen et al.)
Während Ronald Hanson und seine Kollegen in Delft paarweise verschränkte Stickstoff-Fehlstellen in Diamanten nutzten, die mehr als einen Kilometer voneinander entfernt waren, verwendeten die Teams von Anton Zeilinger in Wien und von Lynden Shalm in Boulder polarisationsverschränkte Photonen. Bei allen drei Experimenten war dafür gesorgt, dass die Messungen an den verschränkten Objekten eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit hatten und einander nicht beeinflussen konnten. Damit wurden erstmals sowohl das Lokalitäts- als auch das Nachweis-Schlupfloch für Einsteins Argumentation geschlossen.
Grenzenlose Verschränkung
Quantenmechanisch verschränkte Teilchen oder Quanten sind auch für die Quanteninformationsverarbeitung und die Quantenkryptographie unentbehrlich. Im vergangenen Jahr wurden einige bemerkenswerte Verschränkungsexperimente durchgeführt. So haben Vladan Vuleti und seine Mitarbeiter am MIT etwa dreitausend ultrakalte Rubidiumatome mit einem einzelnen Photon wechselwirken lassen und dadurch in einen kollektiven Verschränkungszustand gebracht, der zudem noch stark nichtklassisch war: Die ihn beschreibende Wigner-Funktion nahm eindeutig negative Werte an.
Der Gruppe von David Awschalom in Chicago hat Fehlstellenspins in Kristallen aus Siliziumkarbid sogar bei Zimmertemperatur verschränkt. Die produzierten Bell-Zustände hatten immerhin eine Lebensdauer von 0,3 Mikrosekunden. Ionen gleicher Art hat man schon oft miteinander verschränkt. Doch kürzlich konnten sowohl David Wineland und seine Mitarbeiter in Boulder als auch das Team von David Lucas und Andrew Steane in Oxford zwei unterschiedliche Ionen verschränken und einem Bell-Test unterziehen. Auch hier hatte Einstein das Nachsehen. Mit den beiden verschiedenen Ionen kann man zwei Quantenbits speichern, von denen das eine zum Beispiel langlebig ist und das andere gut auf ein Photon übertragen werden kann. Das eröffnet neue Möglichkeiten für die Verarbeitung von Quanteninformationen und für die Verbesserung von Atomuhren.
Ebenfalls in Boulder haben Jun Ye und seine Kollegen eine unerreicht genaue und stabile Atomuhr entwickelt. Es handelt sich um eine optische Gitteruhr, die mit einem sehr langlebigen optischen Übergang in Strontiumatomen die Frequenz eines Diodenlasers stabilisiert. Dazu wurden einige Tausend Atome in einem Lichtgitter festgehalten und dem Laserlicht ausgesetzt. Diese Uhr wäre seit dem Urknall vor 15 Milliarden Jahren höchstens eine Sekunde falsch gegangen.
Klassische Experimente mit neuem Dreh
Mehrere klassische Experimente wurden im vergangenen Jahr auf neuartige Weise durchgeführt. So haben Hartmut Häffner und seine Kollegen in Berkeley das berühmte Michelson-Morley-Experiment, das mit Lichtwellen die Lorentz-Invarianz überprüft, mit Elektronenwellen wiederholt. Demnach verletzen Elektronen die Lorentz-Invarianz höchstens um 10-18, während für Licht die Grenze bisher nur bei 10-17 liegt. John Wheeler berühmtes Gedankenexperiment der verzögerten Quantenwahl wurde erstmals mit Atomen durchgeführt. Andrew Truscott und seine Kollegen in Canberra haben einzelne Heliumatome durch einen variablen Versuchsaufbau fliegen lassen und dabei so spät wie möglich entschieden, ob der Wellen- oder Teilchencharakter der Atome beobachtet werden sollte. Die Atome verhielten sich tatsächlich so seltsam, wie es die Quantentheorie vorhersagt.
Das berühmte Hong-Ou-Mandel-Experiment, bei dem sich zwei ununterscheidbare Photonen „absprechen“ und stets gemeinsam den gleichen Ausgang eines Strahlteilers nehmen, ist sowohl mit Heliumatomen als auch mit Phononen wiederholt worden. Das Team von Alain Aspect in Paris hat damit eine wertvolle Quelle stark korrelierter Paare von Heliumatomen gewonnen, während Kenji Toyoda und seine Kollegen in Osaka zeigen konnten, dass Phononen tatsächlich Bosonen sind.
Auch die Gültigkeitsgrenzen der Quantenphysik wurden weiter ausgelotet. Zusammen mit Forschern aus Jena und Tel Aviv hat das Team von Markus Arndt in Wien die Beugung von organischen Molekülen an einem monoatomar dicken Gitter aus Graphen untersucht. Trotz des Rückstoßes, den das Gitter durch Ablenken der Moleküle erfährt, zeigen sich deutliche Beugungsmuster. An solchen Gittern ließe sich auch die Beugung von wesentlich größeren Teilchen beobachten.
Eine Schrödinger-Katze aus Licht haben Benjamin Huard und seine Kollegen in Paris mit Hilfe des Quanten-Zeno-Effekts hergestellt. Indem sie ein Mikrowellenfeld an ein supraleitendes Qubit koppelten, konnten sie die Zahl der Photonen im Feld auf einen bestimmten Wert begrenzen. Dies führte dazu, dass sich das Feld aus einem quasiklassischen in einen sehr bizarren Zustand entwickelte, der dem Zustand der lebendig-toten Schrödinger-Katze entsprach.
Abb.: Mit modernsten Fabrikationsmethoden werden atomar dünne Nanomasken hergestellt, die robust genug für die molekulare Quantenoptik sind. (Bild: U. Wien)
Auf dem Gebiet der Supraleitung hat das letzte Jahr einen überraschenden Rekord gebracht. Mikhael Eremets und seine Kollegen in Mainz beobachteten, dass Schwefelwasserstoff schon bei minus 70 Grad Celsius supraleitend wird, allerdings nur unter einem Druck von 1,5 Megabar. Damit ist man einer Supraleitung bei Zimmertemperatur einen großen Schritt näher gekommen. Einen neuartigen Feldeffekttransistor aus einem organischen Isolator, der durch Bestrahlung mit UV-Licht optisch dotiert und supraleitend wird, hat das Team von Hiroshi Yamamoto in Okazaki, Japan, entwickelt. Dieser supraleitende Transistor könnte für eine effiziente Informationsverarbeitung und -übertragung verwendet werden.
Exotische Entdeckungen
Mehrere exotische teilchenartige Anregungen, die man schon lange gesucht hatte, wurden im vergangenen Jahr in kondensierter Materie entdeckt. So haben Martin Dressel und seine Mitarbeiter in Stuttgart erstmals in einer dünnen supraleitenden Schicht Higgs-Moden nachgewiesen, die große Ähnlichkeit mit dem Higgs-Teilchen aus der Teilchenphysik haben. Während das Higgs-Teilchen den anderen zunächst masselosen Partikeln eine Masse gibt, sorgen die Higgs-Moden dafür, dass in einem Supraleiter die masselosen Photonen massiv werden. Dadurch öffnet sich im Anregungsspektrum des Supraleiters eine Energielücke, durch die die Supraleitung erst möglich wird.
Das 1929 von Hermann Weyl postulierte Weyl-Fermion wurde in einem Halbmetallkristall entdeckt. Das masselose Fermion kommt in einer rechts- und einer linkshändigen Version vor, bei denen Spin und Impuls gleich bzw. gegeneinander gerichtet sind. Es verriet sich durch besondere elektronische Anregungen in der Kristalloberfläche und chirale Monopole im Kristallinnern. Einen magnetischen Monopol sucht man im Vakuum bisher vergebens. Doch Forscher um David Hall in Amherst, Massachusetts, haben solch einen punktförmigen Monopol in einem Bose-Einstein-Kondensat aus Rubidiumatomen hergestellt und identifiziert. Damit können sie erstmals die Wechselwirkung punktförmiger Monopole mit ausgedehnten Dirac-Monopolen untersuchen.
Erhellende Simulationen
Mit ultrakalten Atomen, die in Lichtgittern festgehalten werden, hat man unter kontrollierten Bedingungen zahlreiche quantenmechanische Vielteilcheneffekte untersucht, wie sie auch in kondensierter Materie vorkommen. Hier hat es im letzten Jahr große Fortschritte gegeben. Je nachdem wie tief die Mulden des optischen Potentials sind, in denen die Atome sitzen, können sich diese reibungslos bewegen wie Atome in einer Supraflüssigkeit oder festsitzen wie Elektronen in einem Isolator. Forscher um Ulrich Schneider und Immanuel Bloch in München haben detailliert beobachtet, wie bei diesem Quantenphasenübergang vom Isolator zur Supraflüssigkeit Quantenkorrelationen zwischen den Atomen auftreten und sich ausbreiten.
Abb.: Während die Atome im Anfangszustand (oben) auf einzelnen Gitterplätzen lokalisiert sind, bilden sich während des Phasenübergangs Korrelationen zwischen den Gitterplätzen aus. Im flachen Gitter des Endzustands (unten) würden die Korrelationen nach einer unendlich langsamen Rampe das gesamte Gitter verbinden. Aufgrund der endlichen Geschwindigkeit der experimentellen Rampe erreichen sie jedoch nur eine endliche Reichweite. (Bild: U München)
Auch beim Quanten-Hall-Effekt bringt die Simulation mit ultrakalten Atomen neue Einblicke. Teams von Leonardo Fallani in Florenz und von Ian Spielman in Gaithersburg haben die unbeobachtbaren Bewegungen von Elektronen am Rande eines zweidimensionalen Elektronengases, das sich in einem Magnetfeld befindet, mit Atomen in einem zweidimensionalen Gitter sichtbar gemacht. Demnach hüpften die Atome am Rand des Gitters entlang, ähnlich wie man es für die Elektronen erwartet.
Da man die zeit- und ortunabhängigen Kräfte zwischen den Atomen im Lichtgitter durch magnetische Feshbach-Resonanzen nahezu beliebig verändern kann, sind den Möglichkeiten der Simulation fast keine Grenzen gesetzt. Mit Hilfe von optischen Feshbach-Resonanzen, die nicht magnetisch sondern mit Licht angeregt werden, lassen sich nun auch zeit- und ortsabhängige atomare Kräfte nach Wunsch einstellen. Cheng Chin und seine Kollegen in Chicago haben diese Technik entwickelt, die es nun auch ermöglicht, inhomogene und zeitabhängige Quantenvielteilchensysteme zu simulieren.
Rainer Scharf
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