06.04.2017

Mit Radar Risse aufspüren

Neuer Materialscanner prüft Rotorblätter von Windrädern effizienter.

Für eine klimaver­trägliche Strom­versorgung ohne fossile Brennstoffe ist die Windkraft mittler­weile unver­zichtbar. Etwa 50 Gigawatt und damit 12 Prozent des gesamten Stroms werden in Deutschland über mehr als 28.000 Windkraft­anlagen erzeugt. Weltweit wird sich die durch Windräder erzeugte Leistung laut Global Wind Energy Council bis 2030 auf 2.110 Gigawatt vervier­fachen und dann 20 Prozent der welt­weiten Elektrizitäts­versorgung ausmachen. Umso wichtiger ist es für diesen Wachstums­markt, dass die Windkraft­anlagen immer leistungs­fähiger, aber auch zuver­lässiger und langlebiger werden. So können zum Beispiel Schwach­stellen in der Produktion der Windrad­flügel laut Branchen­experten während der Gesamt­betriebs­dauer der Anlage ungeplante Mehr­kosten von mehreren hundert­tausend Euro in Betrieb und Wartung verursachen. Damit Windräder kosten­effizienter und verläss­licher betrieben werden können, hat das Fraun­hofer-Institut für Angewandte Festkörper­physik IAF einen Material­scanner für die Qualitäts­kontrolle von Rotor­blättern entwickelt. Mit der auf Radar basierenden Techno­logie können Defekte in der Material­zusammensetzung der Windrad­flügel noch detail­lierter als bisher aufgespürt werden.

Abb.: Das Radarmodul basiert auf Indium-Gallium-Arsenid-Halbleitertechnik und kann durch seine monolithisch integrierte Bauweise extrem leicht und kompakt gefertigt werden. (Bild: Fh.-IAF)

Die meist drei­flügeligen Rotoren sind die zentralen Komponenten jeder Windkraft­anlage: Sie wandeln den Wind über Rotations­energie in elektrischen Strom um. Ähnlich wie die Trag­flächen eines Flugzeugs sind sie enormen Belas­tungen ausgesetzt und müssen deshalb sehr widerstands­fähig konstruiert werden. Moderne Windrad­blätter bestehen haupt­sächlich aus glas- und kohlefaser­verstärkten Kunst­stoffen, damit sie auch bei starken Böen die Wind­energie elastisch abfedern, ohne zu brechen. Für einen Flügel werden bis zu 100 Glasfaser­gewebe-Bahnen aufeinander­geschichtet, in Form gebracht und meist mit Epoxid­harz verklebt.

In diesem Produktions­schritt ist die Qualitäts­kontrolle essenziell: „Die Schwierig­keit besteht darin, die Glasfaser­bahnen vor der Verklebung glatt aufzu­schichten, ohne dass sich beispiels­weise Ondu­lationen – also Wellen – und Falten bilden, oder es beim Epoxid-Auftragen zu Harz­nestern oder unausge­härteten Laminat­stellen kommt‹“, erklärt Axel Hülsmann, Koordinator des Radar­projekts und Gruppen­leiter Sensor­systeme beim Fraunhofer IAF. Derartige Defekte sowie Delami­nierungen oder Brüche lassen sich groß­flächig über Infrarot-Thermo­graphie lokalisieren. „Mit unserem Material­scanner können die Defekte jedoch deutlich präziser identi­fiziert werden, da mit der Radar­technologie zusätzlich eine Tiefen­auflösung möglich ist – und das an Stellen, an denen Ultraschall­methoden versagen“, so Hülsmann.

Kern des Material­scanners ist ein Hoch­frequenz­radar, das im W-Band zwischen 85 und 100 GHz bei wenigen Watt Sende­leistung arbeitet. Mit einer speziellen Software können Sende- und Empfangs­signal verarbeitet und die Mess­ergebnisse visualisiert werden. „Dadurch können wir Querschnitts­ansichten der Flügel generieren, mit denen Defekte im Millimeter­bereich identi­fiziert werden können. Damit ist unser Material­scanner erheblich genauer als herkömmliche Methoden“, bemerkt Hülsmann. Das Radar­modul basiert auf Indium-Gallium-Arsenid-Halbleitertechnik und kann durch seine monolithisch integrierte Bauweise, bei der man verschiedene Kompo­nenten und Funktionen auf nur einem Chip integriert, extrem leicht und kompakt gefertigt werden. Es hat etwa die Größe einer Zigaretten­schachtel und wiegt nur 160 Gramm. Es zeichnet sich durch eine geringe Leistungs­aufnahme von etwa fünf Watt aus und verfügt über einen eingebauten Mikro­controller, der die Messsignale über eine Internet-Schnitt­stelle ausgibt.

In Zukunft soll der Frequenzbereich des Moduls auf bis zu 260 GHz ins H-Band ausgedehnt werden. „Damit könnten wir die Bandbreite des Radar­moduls von 15 GHz auf über 60 GHz vervier­fachen. Ziel ist, die bereits sehr gute Auflösung der Rotorflügel-Querschnitte nochmals zu erhöhen“, sagt Hülsmann. Der Material­scanner des Fraunhofer IAF könnte künftig nicht nur im Produktions­prozess der Rotorflügel, sondern auch in der Wartung zur Klassi­fizierung von Defekten eingesetzt werden, die beispiels­weise durch Vogel­schlag entstehen können. „Die regel­mäßige Prüfung der Rotor­blätter ist derzeit überwiegend Hand­arbeit: Ein Experte klopft die Flügel mit einem Hammer ab und erkennt am Klang, ob an gewissen Stellen Defekte vorliegen. Eine automa­tisierte Lösung, ergänzt durch unsere Radar­technologie könnte die Still­standzeit der Windkraf­tanlage erheblich begrenzen und so Kosten einsparen helfen“, erläutert Hülsmann. Dies gilt ins­besondere für Offshore-Wind­räder, die für manuelle Wartungen bei teilweise widriger See zeit­raubend mit dem Schiff ange­steuert werden müssen.

Alter­native Prüf­techno­logien wie beispiels­weise Ultraschall­lösungen sind in der Wartung äußerst schwer einsetzbar. „Da beim Ultra­schall jeder Luft­einschluss zwischen Sensor und Prüf­objekt das Signal stark dämpft, muss Wasser oder Gel als Kopplungs­mittel eingesetzt werden. Das ist in der Defekt­kontrolle der Rotorblatt­produktion mit einigen Neben­wirkungen verbunden, aber grund­sätzlich möglich. Wasser oder Gel bei Windrad­flügeln in einer Höhe von über 100 Metern einzu­setzen, ist aber sehr kom­pliziert. Radar ist hier die optimale Lösung, weil wir berührungs­frei Remote Sensing betreiben können“, sagt Hülsmann.

Auch in anderen Branchen kann der Radar­scanner des Fraunhofer IAF dazu beitragen, innovative Werkstoff­prüfungen zu ermöglichen – zum Beispiel in der Flugzeug­industrie: Bei neueren Flugzeugen wie dem Boeing 787 Dreamliner oder dem Airbus A350 bestehen insbesondere die Flügel zu einem großen Teil ebenfalls aus leichten Verbund­materialien. „In der Flugzeug­industrie wie auch in der Kunststoff­industrie kann eine präzise und schnelle Defekt­prüfung sowohl im Produktions­prozess als auch in der Wartung Kosten sparen und Schäden durch Material­ermüdung vorbeugen“, sagt Hülsmann.

Fh.-IAF / JOL

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