02.07.2012

Mit Röntgenblick zum Nobelpreis

Die Forscherkarriere von William Henry Bragg, der heute vor 150 Jahren geboren wurde, begann zwar spät, wurde dafür aber umso erfolgreicher.

Im Jahr der entscheidenden Arbeiten seiner Laufbahn feierte William Henry Bragg seinen 50. Geburtstag. Bis zu seinem 40. Lebensjahr war er als Wissenschaftler kaum in Erscheinung getreten. Er hatte in Cambridge Mathematik studiert und war aufgrund guter Leistungen mit nur 23 Jahren auf eine Professur für Mathematik und Physik an die Universität im australischen Adelaide berufen worden. Dort blühte der eher schüchterne und verschlossene junge Mann auf. Der begeisterte Sportler genoss das Leben in der Natur und pflegte ein reges Gesellschaftsleben. Drei Jahre nach seiner Ankunft heiratete er die Tochter seines Mentors und Freundes Charles Todd.

Seine Zeit an der Universität verbrachte Bragg vor allem mit der Lehre. Außerdem eignete er sich die fehlenden physikalischen Kenntnisse an und bemühte sich um den Aufbau eines Labors für Experimentalphysik. Die Wende in seiner Laufbahn kam 1904, als er für die Tagung der Australian Association for the Advancement of Science einen Vortrag vorbereitete und dabei anfing, sich für die Struktur der Materie zu interessieren. Dieses Gebiet war seit der Entdeckung der Röntgenstrahlen (1895) und der Radioaktivität (1896) stark in Bewegung.

Braggs intensive experimentelle Arbeit zwischen 1904 und 1908 verschaffte ihm in der Fachwelt schnell einen exzellenten Ruf. Er erforschte die Reichweite von Alpha-Teilchen und deren ionisierende Wirkung in Gasen. Ebenso beschoss er Atome mit Beta- oder Gammastrahlen und untersuchte die Eigenschaften der sekundär abgestrahlten Elektronen. Über seine Versuche korrespondierte er rege mit dem gebürtigen Neuseeländer Ernest Rutherford. Dieser setzte sich auch dafür ein, dass Bragg 1907 in die Royal Society aufgenommen wurde. Ein Jahr später wurde der 46-Jährige an die Universität Leeds berufen. Dort experimentierte er weiter mit Röntgen- und Gammastrahlen und kam zu der Überzeugung, dass es sich um Teilchen handelte. Diese Sichtweise war bei seinen englischen Kollegen, allen voran Charles Barkla, heftig umstritten.

Als Bragg im Juni 1912 erfuhr, dass es Max von Laue gemeinsam mit Walter Friedrich und Paul Knipping in München gelungen war, Röntgenstrahlen an Kristallen zu beugen, erkannte er an, dass dies durch die Wellennatur der Strahlung zu erklären war. Seine bisherigen Ergebnisse stellte er aber deswegen nicht in Frage: Hellsichtig meinte er: „[D]ie Eigenschaften der Röntgenstrahlen weisen klar auf eine quasi-korpuskuläre Theorie hin, und einige Eigenschaften des Lichts können in dergleichen Weise interpretiert werden. Mir scheint, das Problem besteht nicht darin, zwischen zwei Theorien für Röntgenstrahlen zu entscheiden, sondern eine Theorie zu finden, die beide Möglichkeiten einschließt.“

William Henry Bragg (1862 - 1942) und sein Sohn Lawrence (1890 - 1971) wurden 1915 für ihre "Verdienste um die Analyse von Kristallstrukturen mit Röntgenstrahlen" mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. (Bilder: Wikipedia, nobelprize.org)

 

Braggs Sohn William Lawrence, der zu dieser Zeit in Cambridge Physik studierte, erfuhr die Neuigkeiten, als er in den Semesterferien nach Hause kam. Zurück in Cambridge versuchte der 22-Jährige durch weitere Experimente die Form der Interferenz-Flecken zu verstehen. Er beobachtete auch, dass die Muster sich durch Neigung des Kristalls verschoben. Das brachte ihn auf den Gedanken, dass die Kristallebenen als reflektierende Flächen wirkten. Aus dem Röntgenspektrum interferierten demnach nur diejenigen Strahlen, deren Wellenlänge die von W. L. Bragg aufgestellte Reflexionsbedingung erfüllen (Bragg-Formel). Max von Laue war davon ausgegangen, dass die Atome des Kristalls eine monochromatische Sekundärstrahlung aussenden, die dann interferiert (Huygenssches Prinzip).

Die erste gemeinsame Publikation von Vater und Sohn, in der sie die Struktur von Steinsalz mit Röntgenstrahlen aufklärten und die Gitterkonstante angaben, erschien 1913. Im gleichen Jahr lernten sich W. Henry Bragg und Max von Laue auf der 2. Solvay-Konferenz zur Struktur der Materie in Brüssel kennen. Sohn Lawrence erhielt eine Postkarte, die von vielen prominenten Physikern unterzeichnet war. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs erschienen fünf weitere fundamentale Veröffentlichungen der Braggs, eine davon zur Technik des Röntgenspektrometers. Die Zusammenarbeit endete, als das Kriegsministerium Vater und Sohn für unterschiedliche kriegsrelevante Forschungsarbeiten rekrutierte.

1915 wurden die beiden Braggs mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. William Lawrence war mit seinen 25 Jahren der jüngste Nobelpreisträger. Für seine Nobelpreisrede, die er auch im Namen seines Vaters hielt, konnte er erst 1922 nach Stockholm reisen. Inzwischen war es gelungen, die charakteristischen Linienspektren verschiedener Metalle auszumessen, und W. Henry Bragg hatte bestätigen können, dass die Energie der Röntgen-Photonen das Produkt aus ihrer Frequenz und dem Planckschen Wirkungsquantum ist. Max von Laue, der den Preis 1914 erhalten hatte, meinte rückblickend: „Mich interessieren auf allen Gebieten der Physik vor allem die großen allgemeinen Prinzipien […] die Braggs brachten die Liebe zum Einzelstoff mit.“

W. Henry Bragg baute in den 1920er-Jahren als Direktor der Royal Institution in London eine einflussreiche Schule für die Röntgenkristallographie organischer Moleküle auf. Sein Sohn konzentrierte sich zunächst auf anorganische Materie. 1937 wurde er Rutherfords Nachfolger in Cambridge, wo er sich an der Aufklärung der Proteinstrukturen von Hämoglobin und Myoglobin beteiligte. Als Lawrence Bragg 1966 in den Ruhestand ging, hatte die vom ihm und seinem Vater initiierte Röntgenkristallographie eine enorme Entwicklung durchlaufen: von der Aufklärung einfacher Kristallstrukturen bis zu komplizierten Molekülen aus tausenden von Atomen.

Anne Hardy

 

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