Molekül bricht Kirchhoffsche Regeln
Die Gesamtleitfähigkeit eines molekularen Stromkreises mit parallelen Pfaden kann größer sein als die Summe der einzelnen Leitfähigkeiten.
Den Kirchhoffschen Regeln zufolge addieren sich in einem elektrischen Stromkreis die Leitfähigkeiten paralleler Komponenten zur Gesamtleitfähigkeit. Das muss jedoch nicht mehr gelten, wenn die Größe des Stromkreises mit der Kohärenzlänge der Elektronenwellen vergleichbar ist, weil dann quantenmechanische Interferenzen auftreten können. Forscher von der Columbia University haben jetzt gezeigt, dass ein aus zwei Strängen bestehendes Molekül den Strom deutlich besser leitet als zwei einsträngige Moleküle.
Abb.: Das zweisträngige Molekül (2) leitet den elektrischen Strom etwa dreimal so gut wie das einsträngige Molekül (1). (Bild: H. Vazquez et al., Nature Nanotech.)
Latha Venkataraman und ihre Kollegen haben die elektrische Leitfähigkeit einzelner organischer Moleküle gemessen, die entweder aus einem oder zwei CH3-Benzol-CH3-Strängen bestanden. Dazu haben sie die Goldspitze eines Rastertunnelmikroskops in eine Lösung getaucht, die eine Goldunterlage bedeckte und entweder ein- oder zweisträngige Moleküle enthielt. Über Schwefelatome konnten sich die Moleküle gleichzeitig mit der Unterlage und der Spitze verbinden und auf diese Weise einen elektrischen Kontakt zwischen ihnen herstellen.
Während die Forscher die Leitfähigkeit des elektrischen Kontakts maßen, vergrößerten sie langsam den Abstand der Goldspitze von der Unterlage. Daraufhin nahm die Leitfähigkeit stetig zu und betrug bei einem Abstand von 0,1 Nanometer weniger als ein hundertstel des Leitfähigkeitsquantums G0=2e2/h. Hier wurde der Kontakt nur noch von einem Molekül gebildet. Bei einem Abstand von 0,5 bis 0,55 Nanometer war das Molekül straff gespannt. Bei weiterer Vergrößerung brach der Kontakt zwischen Spitze und Unterlage schließlich ab.
Da die Ergebnisse von Kontakt zu Kontakt stark streuten, wiederholten die Forscher die Messung der Leitfähigkeit in Abhängigkeit vom Abstand und nahmen insgesamt 6000 Messreihen auf. Für die Ergebnisse berechneten sie Histogramme, aus denen sie die wahrscheinlichsten Werte für die Leitfähigkeit G(1) bzw. G(2) der ein- oder zweisträngigen Moleküle ermittelten. Demnach war G(1) = 3,3 × 10-4 G0 und G(2) = 9,0 × 10-4 G0, d. h. die Leitfähigkeit des zweisträngigen Moleküls war etwa dreimal so groß wie die des einsträngigen Moleküls.
In Zusammenarbeit mit Mark Hybertsen vom Brookhaven National Laboratory untersuchten die Columbia-Forscher mit Hilfe der Dichtefunktionaltheorie, aufgrund welcher Interferenzen das zweistängige Molekül (2) den elektrischen Strom mehr als doppelt so gut leitete als das einsträngige Molekül (1). Die berechneten Transmissionsspektren für (1) und (2) zeigten, dass (2) bei einer Energie von etwa zwei Elektronenvolt oberhalb der Fermi-Energie doppelt so viele Peaks hatte wie (1). Sie rührten von den bindenden und den antibindenden Kombinationen des niedrigsten unbesetzten Molekülorbitals (LUMO) her.
Der Transmissionspeak des „bindenden“ LUMO von (2) war etwa doppelt so breit wie der Peak des LUMO von (1). Die Forscher sehen darin ein deutliches Zeichen für konstruktive Interferenz. Demnach überlagern sich die Molekülorbitale der beiden Einzelstränge konstruktiv zu einem bindenden Orbital, das zur Leitfähigkeit durch konstruktive quantenmechanische Interferenz etwa viermal so stark (also: (φ+φ)2=4φ2) beiträgt als das Molekülorbital eines Einzelstrangs. Das antibindende Orbital von (2), bei dem destruktive Interferenz auftritt, trägt demnach nicht zur Leitfähigkeit bei.
Tatsächlich ist die Sache etwas komplizierter, da die Moleküle mit der Unterlage und der Spitze verbunden sind. Die dabei auftretenden elektronischen Zustände, die den Ladungstransport ermöglichen, haben eine komplexe Struktur. Das führt dazu, dass die effektive Leitfähigkeit des Kontaktes je nach Lage des Moleküls und je nach angelegter Spannung stark schwankt. Aufgrund dieser Unsicherheiten sind die von den Forschern berechneten Leitfähigkeiten G(1) und G(2) etwa zehnmal größer als die gemessenen. Das Verhältnis von G(2) zu G(1) sollte allerdings nicht so fehleranfällig sein. Und tatsächlich lieferten die Berechnungen G(2)/G(1)=3,0, während der Messwert 2,8 war. Ähnlich Resultate ergaben sich auch für andere ein- und zweisträngige Moleküle.
Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass durch konstruktive quantenmechanische Interferenz in Molekülen mit zwei parallelen Strängen die charakteristische Leitfähigkeit mehr als doppelt so groß ist als in Molekülen mit einem solchen Strang.
Rainer Scharf
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