09.02.2017

Molekül oder Metall?

Ein Kommentar zur Kontroverse um metallischen Wasserstoff.

Erstaunliche Eigenschaften werden ihm nachgesagt: Metallischer Wasserstoff entsteht zwar nur bei ultrahohem Druck, soll dann aber supraleitend werden. Es könnte sich bei dieser exotischen Form von Wasserstoff sogar um eine metallische Flüssigkeit wie Quecksilber und nicht um einen Festkörper handeln. Flüssiger metallischer Wasserstoff könnte dann auch supraflüssig sein und somit der einzige Stoff, der sowohl supra­leitend als auch supraflüssig ist. Dementsprechend groß ist die Konkurrenz unter Forscher­gruppen, dieses besondere Material erstmals herzustellen.

Abb.: Bei hohem Druck soll Wasserstoff vom molekularen in den atomaren Zustand übergehen. (Bild: R. Dias, I. Silvera)

Zwei Forscher der Universität Harvard, Isaac Silvera und Ranga Dias, haben kürzlich eine vielbeachtete Studie in „Science” publiziert, die allerdings umgehend in „Nature” heftig kritisiert wurde. So gibt es eine ganze Reihe von Punkten an der neuen Studie, die andere Hochdruck-Experten für fragwürdig halten. Einige Forscher halten es durchaus für möglich, dass Silvera und Dias metallischen Wasserstoff erzeugt haben, kommen ihrerseits aber nicht in „Nature” zu Wort.

Silvera und Dias hatten bei ihrem Experiment bei einem geschätzten Druck von 495 Gigapascal eine plötzliche Änderung des Wasserstoffs hin zu einer hohen Reflektivität von 0,91 vorgefunden. Dies entspricht laut Berechnungen dem, was man bei einem Übergang zu metallischem Wasserstoff erwarten würde. Außerdem wiesen die beiden Forscher eine Elektronen­plasma­dichte nach, die ebenfalls für eine metallische Phase sprach. Bei ihrem Experiment ließ sich aber keine Messung der Leitfähigkeit durchführen, die ein klares Indiz für oder gegen das Vorliegen einer metallischen Phase gewesen wäre.

Eugene Gregoryanz von der University der Edinburgh kritisiert nun, ein einziges Experiment wäre zu wenig, um einen solch weitreichenden Anspruch zu formulieren. Andere Hochdruck-Experten wie Mikhail Eremets und Alexander Drozdov vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz halten sogar keinen einzigen der publizierten Befunde für eindeutig erwiesen. Sie vermuten, Silver und Dias hätten bei ihrem Experiment nicht den notwendigen Druck erzielt. So lassen sich derart hohe Drücke nicht mit üblichen Verfahren direkt messen: Das klarste Indiz seien stattdessen Messungen der Zustands­gleichung von Metallen anhand von Synchrotron-Röntgenstrahlung – die im Labor aber nicht möglich sind. Stattdessen behelfen sich Hochdruck­forscher mit der Diamantkante im Raman-Spektrum, was aber insofern schwierig ist, als die Signale von Diamant bei hohem Druck sehr schwach werden und von Lumineszenz-Spitzen überdeckt werden können. Beim vorliegenden Experiment sei nicht klar zu erkennen gewesen, ob wirklich ein Druck von 495 Gigapascal vorlag. Zudem fehlten kontinuierliche Messungen des ansteigenden Drucks.

Es wäre es deshalb ebensogut möglich gewesen, dass Silvera und Dias nur rund 360 bis 400 Gigapascal erreicht hätten. Dann hätten sie eine Vorläufer­phase von metallischem Wasserstoff nachgewiesen, die ebenfalls stärker reflektiert, die aber bereits bekannt war. Silvera und Dias hätten die Reflektivität auch nur anhand von vier Punkten im Spektrum ermittelt. „Da ihnen keine Methode zur Bestimmung der Leit­fähigkeit zur Verfügung stand, haben die Autoren die Reflektivität gemessen und das Drude-Modell zugrunde gelegt, das das Reflexions­spektrum eines Freie-Elektronen-Gases beschreibt”, sagt Eremets. Dieses Verfahren benötige zur Bestätigung aber eigentlich Messungen über das gesamte Spektrum.

„Die einzige direkte Methode, um den metallischen Zustand nachzuweisen, ist die Messung der elektrischen Leitfähigkeit, bis hinunter zu tiefsten Temperaturen”, so Eremets. Die Messungen der Elektronen­plasma­dichte und der optischen Dichte seien zu fehlerbehaftet, um eindeutige Aussagen über die Konzentration an freien Elektronen zuzulassen. Man wird also auf weitere Studien gespannt sein dürfen, die genau diese Messung zum Inhalt haben.

Interessant für die Forschung ist metallischer Wasserstoff vor allem deshalb, weil er nicht nur besonders hohe Sprung­temperaturen besitzen sollte – was vor allem für Grundlagen­experimente zur Supraleitung wichtig wäre. Er könnte auch, ähnlich wie Diamant, metastabil sein und damit für Versuche bei niedrigeren Drücken zur Verfügung stehen. Aber auch für die Astrophysik ist das Verständnis dieses exotischen Materials von Bedeutung: Schließlich ist im Innern von Gasplaneten wie Jupiter der Druck so groß, dass beachtliche Mengen an metallischem Wasserstoff vorliegen sollte. Nur ein genaues Verständnis des Phasen­diagramms von Wasserstoff und seiner Eigenschaften erlaubt eine gute Modellierung dieser Planeten.

Es sieht allerdings so aus, als müssten sich die Supraleitungs- und Astro­physiker noch eine Weile gedulden, bis die Sache geklärt ist. Bei derartigen Hochdruck-Experimenten gibt es eine ganze Reihe von Details zu beachten, da auch Diamanten bei solchen Drücken beim kleinsten Fehler oder aufgrund minimaler Schwachstellen brechen können. Wie Silvera und Dias ausführen, seien ihre Methodik aber gut dokumentiert und deshalb von anderen Forschergruppen reproduzierbar. Sollte man also die metallische Phase doch noch nicht erreicht haben, hat sich das Repertoire der Hochdruck­forschung immerhin erweitert.

Dennoch hinterlässt die Kontroverse um die Publikation einen gewissen Beigeschmack: Denn nicht zum ersten Mal behaupten Forscher, endlich den ersehnten metallischen Wasserstoff gefunden zu haben. Und nicht zum ersten Mal nutzt ein Journal dies als spektakulären Aufhänger, anstatt die Studie etwas nüchterner anzugehen. Es wirft deshalb kein gutes Licht auf die Publikations­praxis und auf den Peer-Review-Prozess, wenn zum wiederholten Mal Ergebnisse zur großen Story gemacht werden, die zumindest einer besseren Prüfung bedurft hätten – gerade bei Ergebnissen von solch tief­reichender Bedeutung. Auch in der Teilchenphysik haben über die Jahre mehrere Gruppen den Anspruch erhoben, als erste ein Pentaquark nachgewiesen zu haben – und mehrfach musste dies revidiert werden, bis schließlich doch der Durchbruch kam. Man darf sich wünschen, dass in Zukunft Studien mit besonderer Tragweite – und besonderer Fallhöhe – besser in allen notwendigen Einzelheiten überprüft werden.

Kontroversen gehören zum wissenschaftlichen Betrieb. Aber schließlich hängt der Ruf der Wissenschaft in der Öffentlichkeit auch davon ab, wie solche Kontroversen geführt werden.

Dirk Eidemüller

DE

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