Moleküle mit Photonen simuliert
Photonischer Chip macht komplexe molekulare Quantendynamiken zugänglich.
Vor drei Jahren hatten Forscher um Anthony Laing von der University of Bristol einen programmierbaren optischen Schaltkreis entwickelt. Mit ihm haben sie jetzt das komplexe Quantenverhalten von mehratomigen Molekülen simuliert. Selbst Supercomputer stoßen schnell an ihre Leistungsgrenzen, wenn sie die Dynamik von Quantensystemen berechnen sollen, in denen eine Handvoll gekoppelter Freiheitsgrade angeregt ist. Das gilt zum Beispiel für das komplizierte Schwingungsverhalten mehratomiger Moleküle. Dabei verteilt sich die anfänglich lokalisierte Anregungsenergie zunächst über das ganze Molekül, um sich manchmal durch Interferenz an einer anderen Stelle wieder zu konzentrieren und dort gegebenenfalls eine chemische Bindung zu brechen.
Abb.: Der photonische Chip, mit dem Moleküle simuliert wurden. Links liegen die Zu- und die Ableitung für die Photonen, recht liegt eine U-förmige Verbindung der beiden Teile der Wellenleiter. Zu beiden Seiten der Wellenleiter befindet sich die Steuerelektronik für die Phasenschieber. (Bild: N. Matsuda, NTT)
Mit einem zukünftigen universellen Quantencomputer ließen sich solche interessanten molekularen Quantendynamiken rechnerisch in den Griff bekommen. Doch auch schon jetzt kann man mit künstlichen Quantensystemen aus Ionen in Fallen, aus Quantenpunkten oder aus supraleitenden Schaltelementen das quantenmechanische Verhalten einfacher Objekte simulieren.
Da die Schwingungsquanten der Moleküle Bosonen sind, kann man ihr Verhalten mit den ebenfalls bosonischen Lichtquanten nachbilden. Dieser Weg ist sehr vielversprechend, da es effiziente Quellen und Detektoren für einzelne Photonen gibt und man mit optischen Schaltkreisen die photonischen Freiheitsgrade in vielfältiger Weise manipulieren und miteinander koppeln kann.
Jetzt haben Anthony Laing und seine Mitarbeiter das Quantenverhalten verschiedener Moleküle mit einem photonischen Chip simuliert, der aus sechs Wellenleitern bestand. Die Wellenleiter enthielten dreißig elektronisch gesteuerte thermo-
Abb.: Simulation der Streckschwingungen von Schwefeltrioxid. Dargestellt ist die gemessene Wahrscheinlichkeit (Punkte), dass sich das Molekül in einer der beiden Schwingungsmoden (schwarz bzw. blau) befindet. Die durchgezogenen Linien stammen von Computerberechnungen. (Bild: C. Sparrow et al., NPG)
Mit den sechs Wellenleitern ließen sich sechs molekulare Schwingungsmoden simulieren, die durch die Interferometer und die Phasenschieber, mit denen sich die Phasen der Photonen verändern ließen, in gewünschter Weise gekoppelt wurden. Dabei konnte zu Beginn der Simulation jeder Wellenleiter null, eins oder zwei Photonen enthalten, was null, einem oder zwei Schwingungsquanten in der jeweiligen Schwingungsmode des Moleküls entsprach. Die Photonendetektoren zeigten dann an, mit welcher Wahrscheinlichkeit die entsprechende Mode ein oder zwei Schwingungsquanten enthielt.
Zunächst simulierten die Forscher das Schwingungsverhalten der vieratomigem Moleküle H2CS, P4, HNCO, SO3 und N4. Beim Thioformaldehyd (H2CS) wurden zwei Streck- und zwei Biegeschwingungen berücksichtigt. Zu Simulationsbeginn wurden die Streckschwingungen mit je einem oder zwei Schwingungsquanten angeregt. Im ersten Fall oszillierten die einfachen Anregungen zwischen den Biege- und den Streckschwingungen auf einer Zeitskala von zirka fünfzehn Femtosekunden. Im zweiten Fall oszillierten die doppelten Anregungen ebenfalls, doch sie klangen innerhalb von rund fünfzig Femtosekunden ab. Die beiden Quanten blieben also nicht lange beieinander.
Beim Schwefeltrioxid (SO3) wurde anfangs eine Streckmode angeregt. Nach rund fünfzig Femtosekunden enthielt sie praktisch kein Schwingungsquant mehr, während eine andere Streckmode nun angeregt war. Nach achtzig Femtosekunden war die Anregung zur ersten Mode zurückgekehrt. Mit ihrem Chip haben die Forscher zudem untersucht, wie die Anregungsenergie in einem komplexeren Molekül (N-Methylacetamid) transportiert wird, dessen Schwingungsfrequenzen durch äußere Störungen zufällig schwanken, wodurch die Dynamik inkohärent wird. Am Beispiel von H2O simulierten sie das Verhalten eines Moleküls, bei dessen Schwingungen Energiedissipation und anharmonische Potentiale eine Rolle spielen.
Damit in ihrem optisch linearen Schaltkreis die für ein anharmonisches Potential nötigen nichtlinearen Wechselwirkungen zwischen zwei Photonen auftraten, griffen die Forscher zu einem Trick. Sie führten ein zusätzliches Hilfsphoton ein, durch dessen Messung eine bedingte Phasenverschiebung auf das Photonenpaar ausgeübt wurde. Mit diesen messungsinduzierten Nichtlinearitäten konnten sie auch die Wirkung von anharmonischen Potentialen simulieren.
Die Ergebnisse aller Simulationen stimmten sehr gut mit den Resultaten von Computerberechnungen überein, die für diese vergleichsweise einfachen Moleküle noch möglich sind. Doch schon mit geringen Verbesserungen ihres Verfahrens könnten Anthony Laing und seine Kollegen Simulationen durchführen, mit denen sie herkömmliche Computer hinter sich lassen.
Rainer Scharf
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