30.05.2018

Moleküle mit Photonen simuliert

Photonischer Chip macht komplexe molekulare Quantendynamiken zugänglich.

Vor drei Jahren hatten Forscher um Anthony Laing von der University of Bristol einen programmier­baren optischen Schaltkreis entwickelt. Mit ihm haben sie jetzt das komplexe Quanten­verhalten von mehr­atomigen Molekülen simuliert. Selbst Super­computer stoßen schnell an ihre Leistungs­grenzen, wenn sie die Dynamik von Quanten­systemen berechnen sollen, in denen eine Hand­voll gekoppelter Freiheits­grade angeregt ist. Das gilt zum Beispiel für das komplizierte Schwingungs­verhalten mehr­atomiger Moleküle. Dabei verteilt sich die anfänglich lokalisierte Anregungs­energie zunächst über das ganze Molekül, um sich manchmal durch Inter­ferenz an einer anderen Stelle wieder zu konzentrieren und dort gegebenen­falls eine chemische Bindung zu brechen.

Abb.: Der photonische Chip, mit dem Moleküle simuliert wurden. Links liegen die Zu- und die Ableitung für die Photonen, recht liegt eine U-förmige Verbindung der beiden Teile der Wellenleiter. Zu beiden Seiten der Wellenleiter befindet sich die Steuer­elektronik für die Phasen­schieber. (Bild: N. Matsuda, NTT)

Mit einem zukünftigen universellen Quanten­computer ließen sich solche interessanten molekularen Quanten­dynamiken rechnerisch in den Griff bekommen. Doch auch schon jetzt kann man mit künstlichen Quanten­systemen aus Ionen in Fallen, aus Quanten­punkten oder aus supra­leitenden Schalt­elementen das quanten­mechanische Verhalten einfacher Objekte simulieren.

Da die Schwingungsquanten der Moleküle Bosonen sind, kann man ihr Verhalten mit den ebenfalls bosonischen Licht­quanten nachbilden. Dieser Weg ist sehr viel­versprechend, da es effiziente Quellen und Detektoren für einzelne Photonen gibt und man mit optischen Schalt­kreisen die photonischen Freiheits­grade in vielfältiger Weise manipulieren und miteinander koppeln kann.

Jetzt haben Anthony Laing und seine Mitarbeiter das Quanten­verhalten verschiedener Moleküle mit einem photonischen Chip simuliert, der aus sechs Wellenleitern bestand. Die Wellen­leiter enthielten dreißig elektronisch gesteuerte thermo-optische Phasen­schieber und waren durch eine Kaskade von fünfzehn Mach-Zehnder-Interfero­metern paarweise mit­einander verbunden. In die Wellen­leiter konnten gleich­zeitig bis zu sechs Photonen eingespeist werden, auf die am Ausgang des Chips zwölf Einzel­photonen­detektoren warteten.

Abb.: Simulation der Streckschwingungen von Schwefeltrioxid. Dargestellt ist die gemessene Wahrscheinlichkeit (Punkte), dass sich das Molekül in einer der beiden Schwingungs­moden (schwarz bzw. blau) befindet. Die durch­gezogenen Linien stammen von Computer­berechnungen. (Bild: C. Sparrow et al., NPG)

Mit den sechs Wellenleitern ließen sich sechs molekulare Schwingungs­moden simulieren, die durch die Inter­ferometer und die Phasen­schieber, mit denen sich die Phasen der Photonen verändern ließen, in gewünschter Weise gekoppelt wurden. Dabei konnte zu Beginn der Simulation jeder Wellenleiter null, eins oder zwei Photonen enthalten, was null, einem oder zwei Schwingungs­quanten in der jeweiligen Schwingungs­mode des Moleküls entsprach. Die Photonen­detektoren zeigten dann an, mit welcher Wahr­scheinlichkeit die entsprechende Mode ein oder zwei Schwingungs­quanten enthielt.

Zunächst simulierten die Forscher das Schwingungs­verhalten der vier­atomigem Moleküle H2CS, P4, HNCO, SO3 und N4. Beim Thioformal­dehyd (H2CS) wurden zwei Streck- und zwei Biege­schwingungen berück­sichtigt. Zu Simulations­beginn wurden die Streck­schwingungen mit je einem oder zwei Schwingungs­quanten angeregt. Im ersten Fall oszillierten die einfachen Anregungen zwischen den Biege- und den Streck­schwingungen auf einer Zeit­skala von zirka fünfzehn Femto­sekunden. Im zweiten Fall oszillierten die doppelten Anregungen ebenfalls, doch sie klangen innerhalb von rund fünfzig Femto­sekunden ab. Die beiden Quanten blieben also nicht lange beieinander.

Beim Schwefeltrioxid (SO3) wurde anfangs eine Streck­mode angeregt. Nach rund fünfzig Femto­sekunden enthielt sie praktisch kein Schwingungs­quant mehr, während eine andere Streck­mode nun angeregt war. Nach achtzig Femto­sekunden war die Anregung zur ersten Mode zurück­gekehrt. Mit ihrem Chip haben die Forscher zudem untersucht, wie die Anregungs­energie in einem komplexeren Molekül (N-Methyl­acetamid) transportiert wird, dessen Schwingungs­frequenzen durch äußere Störungen zufällig schwanken, wodurch die Dynamik inkohärent wird. Am Beispiel von H2O simulierten sie das Verhalten eines Moleküls, bei dessen Schwingungen Energie­dissipation und anharmonische Potentiale eine Rolle spielen.

Damit in ihrem optisch linearen Schaltkreis die für ein anharmonisches Potential nötigen nicht­linearen Wechsel­wirkungen zwischen zwei Photonen auftraten, griffen die Forscher zu einem Trick. Sie führten ein zusätzliches Hilfs­photon ein, durch dessen Messung eine bedingte Phasen­verschiebung auf das Photonen­paar ausgeübt wurde. Mit diesen messungs­induzierten Nicht­linearitäten konnten sie auch die Wirkung von anharmonischen Potentialen simulieren.

Die Ergebnisse aller Simulationen stimmten sehr gut mit den Resultaten von Computer­berechnungen überein, die für diese vergleichs­weise einfachen Moleküle noch möglich sind. Doch schon mit geringen Verbesserungen ihres Verfahrens könnten Anthony Laing und seine Kollegen Simulationen durchführen, mit denen sie herkömmliche Computer hinter sich lassen.

Rainer Scharf

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