07.08.2017

Moleküle mit Zeitschalter

Vorbild Natur: Supramolekulare Materialien entsorgen sich selbst.

Materialien, die sich selbst zusammenfügen und am Ende ihrer Lebenszeit einfach wieder verschwinden – in der Natur gibt es sie in Hülle und Fülle. Forschern der TU München ist es jetzt gelungen, supra­molekulare Materi­alien zu entwickeln, die zu einen vorher bestimmten Zeitpunkt wieder zerfallen – eine Eigen­schaft, die zahl­reiche Anwendungs­möglich­keiten eröffnet.

Abb.: Fmoc-Tripeptide bilden vorüber­gehend Hydro­gele. (Bild: B. Rieß, TU München)

„Viele vom Menschen gemachte Stoffe sind chemisch sehr stabil. Um sie wieder in ihre Bestand­teile zu zerlegen, muss man viel Energie aufwenden“, erklärt Job Boek­hoven von der TU München. Der Wissen­schaftler verfolgt einen anderen Weg – und orientiert sich dabei an biolo­gischen Prozessen. In biolo­gischen Zellen werden die Moleküle ständig recycelt und zum Bau neuer verwendet. Einige dieser Moleküle bilden größere Struk­turen, supra­molekulare Einheiten, die als Struktur-Bausteine der Zellen dienen. „Diese Dynamik“, so Boekhoven, „hat uns dazu inspi­riert Materi­alien zu entwickeln, die sich selbst entsorgen, wenn sie nicht mehr benötigt werden.“

Einer der entscheidenden Unterschiede zwischen vom Menschen herge­stellten Stoffen und den meisten biolo­gischen Materi­alien ist ihr Energie­management: Mensch­gemachte Stoffe befinden sich im Gleich­gewicht mit ihrer Umgebung – da kein Austausch von Molekülen oder Energie statt­findet, bleiben sie wie sie sind. Die Natur arbeitet nach einem anderen Prinzip: Lebendige biolo­gische Materi­alien sind nicht im Gleich­gewicht mit ihrer Umgebung. Für Aufbau Erhalt und Repa­ratur werden ständig Bausteine und Energie benötigt.

„Diese wird beispielsweise durch Adenosintriphosphat, kurz ATP, zur Verfügung gestellt“, erläutert Boekhoven. „Solange genügend Energie zur Verfügung steht, werden defekte Bestand­teile und ganze Zellen abgebaut und durch neue ersetzt, anderen­falls stirbt der Organismus und zerfällt in seine Grund­bau­steine.“ Die neuen Materi­alien, die Boekhoven mit einem inter­diszipli­nären Team erforscht, orientieren sich an diesem natür­lichen Vorbild: Die moleku­laren Bausteine sind zunächst frei beweglich. Gibt man jedoch Energie in Form hoch­energe­tischer Moleküle zu, verbinden sie sich zu supra­molekulare Strukturen.

Ist die Energie aufgebraucht, zerfallen von selbst. Die Lebensdauer kann dabei durch die zuge­gebene Menge von Energie vorher­bestimmt werden. Im Labor lassen sich die Bedin­gungen so wählen, dass die Materi­alien von selbst nach einem bestimmten Zeitraum – Minuten oder Stunden – zerfallen. Und am Ende ihres Lebens­zyklus können die Bausteine weiter­genutzt werden – einfach indem man wieder hoch­energe­tische Moleküle zugibt.

Die Wissenschaftler entwarfen verschiedene Anhydride, die sich zu Kolloiden, supra­moleku­laren Hydro­gelen oder Tinten zusammen­setzen. Ange­trieben durch Carbo­diimid, das als Brenn­stoff dabei verbraucht wird, wandelt in diesen Materi­alien ein chemisches Reaktions­netz­werk Dicarbo­xylate in meta­stabile Anhydride um. Wegen ihres meta­stabilen Charakters hydro­ly­sieren diese mit Halb­werts­zeiten im Bereich von Sekunden bis zu einigen Minuten zu ihren ursprüng­lichen Dicarbo­xylaten.

Weil sich die Moleküle zu sehr unterschiedlichen Strukturen verbinden, ergeben sich zahl­reiche Anwendungs­möglich­keiten: Kugelige Kolloide beispiels­weise lassen sich mit wasser­unlös­lichen Molekülen beladen – man könnte sie nutzen, um Medika­mente gegen Krebs direkt zur Tumor­zelle zu trans­por­tieren. Am Ende ihrer Mission würden sich die Kolloide selbst­ständig auflösen und die Medikamente lokal freisetzen. Andere Bausteine bilden lange, faserigen Strukturen, die Flüssigkeiten in Gele verwandeln. Diese eignen sich möglicher­weise, um frisch trans­plan­tiertes Gewebe für eine definierte Zeit zu stabili­sieren, bis der Körper ihre Funktion über­nehmen kann. Und aus Molekülen, die stern­förmigen Anord­nungen bilden, ließen sich Tinten mit exakt defi­nierter Halt­bar­keit herstellen.

Ob es gelingt, nach dem Vorbild der Natur eines Tages auch supra­mole­kulare Maschinen oder Handys zu bauen, die verschwinden, wenn sie nicht mehr benötigt werden? Ausge­schlossen sei das zwar nicht, meint Boekhoven, „aber bis dahin ist es noch ein langer Weg. Noch arbeiten wir an den Grund­lagen.“

TUM / RK

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