20.03.2017

Molekulare Motoren mit Kupplung

In Polymernetzwerk integrierte molekulare Maschinen erzeugen reversiblen makroskopischen Effekt.

Als Richard Feynman vor knapp sechzig Jahren seine Visionen zu molekularen Maschinen präsentierte, war an eine konkrete Realisierung noch nicht zu denken: Weder zur Synthetisierung noch zur Analyse standen geeignete Werkzeuge zur Verfügung. 2016 schließlich wurden die Pioniere, die viele seiner Ideen Wirklichkeit werden ließen, mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Sie haben Moleküle erzeugt, die Energie in Form von Strahlung oder Wärme aus äußeren Quellen in gezielte Bewegung umwandeln. Einer französischen Forscher­gruppe um Nicolas Giuseppone ist nun ein weiterer wichtiger Schritt gelungen. Indem sie molekulare Motoren in das Polymer­netzwerk eines Gels integrierten, konnten sie nicht nur die Wirkungen einer Vielzahl einzelner Motoren zu einem sichtbaren makroskopischen Effekt kombinieren – durch Einbau molekularer „Kupplungen“ ist dieser Effekt auch reversibel.

Abb.: Ein Wechselspiel aus gegeneinander drehenden, molekularen Motoren und Kupplungen bestimmt das Volumen des Materials. (Bild: Foy et al., NPG )

Dem neuen System liegt ein von Nobelpreisträger Bernard L. Feringa entwickelter Motor zugrunde, der Strahlungs­energie in eine gerichtete Dreh­bewegung umwandelt. Er basiert auf einem chiralen, schrauben­förmigen Alken, in dessen Zentrum eine Kohlenstoff­doppel­bindung als Drehachse fungiert. Durch UV-Strahlung kommt es zunächst zu einer Cis-Trans-Isomerisierung, die das Molekül um 180 Grad verdreht. Aufgrund thermischer Anregungen verändert sich darauf hin die Helizität des Moleküls und sperrt so die Doppel­bindung gegen eine Verdrehung in die Gegen­richtung. Dieser Mechanismus wirkt wie eine Ratsche und führt unter kontinuierlicher Bestrahlung zu einer gerichteten Drehbewegung.

Befinden sich die Moleküle allerdings in Lösung, so verhindert ihre zufällige Ausrichtung das Verrichten von Arbeit auf der Makroebene. Bereits vor zwei Jahren haben Giuseppone und seine Kollegen für Aufsehen gesorgt, als es ihnen gelang, mithilfe solcher Motoren das Volumen eines Gels zu verringern – ein Effekt, der mit freiem Auge beobachtbar war und an die Kontraktion eines Muskels erinnerte. UV-Strahlung setzte die in das Netzwerk integrierten Motoren in Gang und wickelte die Polymerketten zu engen Knäueln auf. War die maximale Kontraktion erreicht, brachen die Motoren und das Gel blähte sich sprunghaft wieder zu seinem ursprünglichen Volumen auf. Eine neuerliche Kontraktion war nicht mehr möglich.

In ihrer aktuellen Studie haben die französischen Forscher nun einen Weg gefunden, den Prozess umkehrbar zu machen, ohne das Material dabei zu zerstören. Da die Drehrichtung der Motoren nicht ohne eine chemische Modifizierung umgeschaltet werden kann, fügten sie dem System eine neue Komponente hinzu: molekulare Kupplungen. Sie lassen sich, ähnlich wie die Kupplung eines Autos, öffnen und schließen. Unter UV-Strahlung, die auch die Motoren antreibt, sind sie geschlossen und übertragen das Drehmoment auf den nächsten Polymer­strang. Unter Bestrahlung mit sichtbarem Licht dagegen, bei stehenden Motoren, öffnen sie sich und erlauben so den verdrillten Strängen, sich wieder zu entflechten.

Laut Giuseppone ist eine solche Verbindung zwischen verschiedenen mechanisch aktiven Einheiten neu in der Welt der molekularen Maschinen. „Sie stellt eine allgemeine Lösung für die Umkehrbarkeit der von molekularen Motoren verrichteten Arbeit dar, die aufgrund der physikalischen Gesetze auf einen bestimmten Drehsinn beschränkt sind“, so der Forscher. Das so geschaffene, neuartige Material arbeitet jenseits des chemischen Gleichgewichts. Indem es permanent Energie aus der Umgebung aufnimmt und in gerichtete Bewegung umwandelt, ähnelt es biologischen Systemen.

Der Mechanismus der Kupplung beruht auf dem Öffnen und Schließen eines zentralen Kohlenstoff­rings. Ist der Ring geschlossen, bildet er eine starre Verbindung, die das Drehmoment des Motors weiterleitet. Wird der Ring jedoch durch sichtbares Licht aufgebrochen, ermöglicht das freie Rotationen um zwei der verbleibenden Kohlenstoff­verbindungen. Das erlaubt dem System, die in den verdrillten Polymer­strängen gespeicherte mechanische Energie wieder abzugeben.

Kerspinresonanzmessungen an in Lösung befindlichen Kupplungs­molekülen ergaben, dass selbst im foto­stationären Zustand unter UV-Bestrahlung lediglich 40 Prozent der Kupplungen geschlossen sind. Die Kontraktion ist somit immer um ein Wechsel­spiel zwischen Verdrillen und Entflechten. Das wird besonders deutlich in Experimenten, bei denen beide Strahlungs­quellen gleichzeitig eingeschaltet waren. Dabei wurde unter konstanter UV-Strahlung die Intensität des sichtbaren Lichts variiert, was die genaue Einstellung des gewünschten Volumens ermöglichte. Die Kontraktion ist also ein Resultat der entgegen­gesetzten Rotationen von Motoren und Kupplungen. Wie die Forscher meinen, könnten solche aktiven Materialien in Zukunft eine neue Generation von mechanischen Aktuatoren in unterschiedlichsten Ausführungen und Größen­ordnungen ermöglichen.

Thomas Brandstetter

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