16.12.2015

Molekulare Saiten zum Schwingen gebracht

Zeitaufgelöste Laserspektroskopie misst und steuert Elektronen in komplexen Molekülen.

Jeder Klavierstimmer kennt das Problem: Pro Ton gibt es bis zu drei Saiten, die auf genau die gleiche Tonhöhe gestimmt sein müssen, um einen reinen Klang zu erhalten. Verstimmungen machen sich durch für unser Gehör unan­genehm klingende Über­lagerungen leicht verschiedener Schwingungs­frequenzen bemerkbar. Ähnlich verhalten sich die negativ geladenen Elektronen­wolken in Atomen und Molekülen, die gegenüber den positiven Atom­kernen hin und her schwingen können. Die Anregung erfolgt durch Licht als elektro­magnetische Welle besonders stark dann, wenn die Licht­frequenz einer dem atomaren System eigenen Schwingungs­frequenz entspricht, also Resonanz vorliegt.

Abb.: Oben links: Wahrscheinlichkeit der Absorption als Funktion der Frequenz für eine isolierte Resonanz in einem Atom; oben rechts: Schwingung der Elektronenwolke als Antwort auf die Anregung. Unten links: Verhalten mehrerer überlappender Resonanzen in einem Molekül. Die Manipulation der Phase der Dipolantwort (rechts) mit einem Kontrollpuls (dunkelrot) führt im Atom von der natürlichen Lorentzform der Absorptionslinie (schwarze Kurve links oben) zu einem asymmetrischen Fanoprofil (rote Kurve links oben), während sie in einem Molekül ein kompliziertes Absorptionsprofil hervorrufen kann (rote Kurve unten links), da angeregte Molekülzustände unterschiedlich stark an das Laserfeld koppeln und somit unterschiedliche Phasenverschiebungen akkumulieren können. (Bild: MPIK)

Im obigen Bild entspricht dies bei einem Atom einem bestimmten Ton auf dem Klavier mit nur einer Saite. Bei einem Molekül können aber die einzelnen Atome gegen­einander schwingen und das ganze Molekül rotieren. Statt einer hat man nun mehrere Saiten mit leicht verschiedener Eigen­frequenz. Diese lassen sich zwar nicht aufein­ander abstimmen, da sie durch die Eigen­schaften des Moleküls fest­gelegt sind, wohl aber lässt sich die gegen­seitige Über­lagerung, also gleichsam die Klang­farbe des verstimmten Tons, beein­flussen. Schwingungen und Wellen sind nämlich neben ihrer Frequenz und Amplitude durch ihre Phase bestimmt. Diese wird in der Regel nicht direkt beobachtet, aber bei der Über­lagerung mehrerer Schwingungen, also Interferenz, sind Phasen­differenzen von entschei­dender Bedeutung.

In früheren Arbeiten hat die Gruppe um Thomas Pfeifer am MPI für Kernphysik in Heidelberg erfolgreich die Mani­pulation des zeitlichen Verlaufs einer Elektronen­schwingung in einem Atom demonstriert. In Abhängigkeit von der Frequenz des Lasers ergibt sich für die Wahrschein­lichkeit der Schwingungs­anregung, also die Stärke der Licht­absorption, ein charakteris­tischer Verlauf um die Resonanz. Dieser kann – je nach Phasen­verschiebung der Elektronen­schwingung – ein asymmetrisches Fano-Profil zeigen, das auch negative Ausschläge haben kann. Im Fall von Atomen können die einzelnen Resonanzen meist als voneinander unabhängig betrachtet werden. In Molekülen hingegen liegen sie dicht beieinander, so dass sie über­lappen und prinzipiell nicht trennbar sind.

Die theoretische Beschreibung lässt sich aber verall­gemeinern, nur dass jetzt die Gesamt­heit aller über­lappenden Resonanzen betrachtet werden muss. Deren individuelle Antworten auf die Laser­anregung müssen unter Beachtung ihrer zeitlichen Verläufe und Einbe­ziehung der Phasen­verschiebungen über­lagert werden, um die Gesamt­antwort zu berechnen. Diese kann durchaus eine komplizierte Form mit zusätzlichen Strukturen, also Maxima und Minima, aufweisen. Zur Manipulation der Phasen verwenden die Wissen­schaftler wie im atomaren Fall einen zweiten Kontroll-Laserpuls, der zeitlich versetzt zum anregenden Laserpuls eingestrahlt wird. Die Kontrolle erfolgt über die Intensität dieses Pulses und die zeitliche Verschiebung. Dabei kann zusätzlich ausgenutzt werden, dass nicht alle dicht beieinander liegenden Resonanzen gleich stark durch das Laser­feld als Phasen­schieber beeinflusst werden, was eine Adressierung bestimmter elektronischer Zustände erlauben könnte.

Zur experimentellen Untersuchung hat die Forscher­gruppe um Kristina Meyer mit Unterstützung der Gruppe von Marcus Motzkus von der Uni Heidelberg einen ähnlichen Aufbau wie in den vorigen Arbeiten verwendet. Sie teilen hierzu einen ultra­kurz gepulsten Laserstrahl von sieben Femto­sekunden Puls­dauer in zwei Teil­strahlen mit variablem Intensitäts­verhältnis und variabler gegen­seitiger Verzögerung auf, fokussieren diese auf die Probe und messen die Licht­absorption. Als Probe diente das Farb­stoff­molekül IR144, gelöst in Methanol. Erstmals haben sie hier bei einem in flüssiger Lösung befindlichen Molekül die Phase von angeregten Zuständen in einem starken Laser­feld als Funktion von dessen Intensität durch­gestimmt. „Das ist von entscheidender Bedeutung, da chemische Reaktionen, deren gezielte Beein­flussung man sich erhofft, in der Regel in Lösungen, also in einem flüssigen Medium, ablaufen“, erläutert Meyer.

Die gemessenen Absorptionsspektren als Funktion der Intensität des Kontroll­pulses zeigen deutlich den Einfluss des Kontroll­pulses: Das Absorptions­maximum verschiebt sich zu höheren Frequenzen und es tritt ein zusätzliches Minimum auf. Zum Vergleich hat Meyer mit Unter­stützung der Theorie­gruppe von Andreas Dreuw, ebenfalls Uni Heidelberg, eine theoretische Modellierung vorgenommen. Hierzu hat sie vereinfacht 22 Resonanzen in gleichem gegen­seitigem Abstand und gleicher Breite betrachtet, von denen vier signifikant an das Laserfeld koppeln. Trotz dieser Verein­fachung werden die Messungen durch die Rechnung gut wieder­gegeben.

Mit dem neuen Experiment am Beispiel eines Farb­stoff­moleküls konnten die Heidelberger Forscher zeigen, dass zeitauf­gelöste Phasen­kontrolle auf komplexe Systeme verall­gemeinert werden kann und nun auf eine Vielzahl von Systemen anwendbar ist: von einzelnen Atomen im gasförmigen Zustand bis hin zu größeren Molekülen in ihrer natürlichen Umgebung wie etwa wässrigen Lösungen. Das eröffnet neue Wege in die Laser­chemie, der Steuerung chemischer Reaktionen mit starken Laser­feldern.

MPIK / RK

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