01.06.2017

Molekularer Motor mit Getriebe

Drehbewegung eines molekularen Motors versetzt weiteren molekularen Bauteil in geordnete, synchrone Bewegung.

Ben Feringa wurde als einer der Pioniere in der Entwicklung molekularer Maschinen erst 2016 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Ein paar Jahre davor haben er und sein Team ihre wohl wichtigste Arbeit vorgestellt: einen molekularen Motor, der äußere Energie in Form von Wärme und Licht in eine gezielte Drehbewegung umwandelt. Nun hat seine Forschergruppe an der Universität Groningen in den Niederlanden ihren Motor benutzt, um eine deutlich komplexere Bewegung zu realisieren.

Abb.: Struktur der molekularen Maschine. Schwarz: Basis des Motors. Blau: oberer Teil des Motors, der mit der Basis über eine Drehachse in Form einer Kohlenstoff-Doppelbindung verbunden ist. Rot: Naphtalingruppe, die über eine drehbare Kohlenstoff-Kohlenstoff-Verbindung mit dem oberen Teil des Motors verbunden ist (A). Schematische Darstellung eines Rotationszyklus von oben (entlang der Drehachse des Motors) betrachtet (B; Bild: P. Stacko et al.)

Auch wenn den Forschern zufolge keinerlei praktische Anwendung für das neue System im Raum steht, zeigt sich Feringa zufrieden: „Wir haben gezeigt, dass es möglich ist, Bewegung zu übertragen!“ Zwar ist es in der Vergangenheit bereits mehrfach gelungen, verschiedene Moleküle mit dem Motor zu verbinden und in Drehung zu versetzen, die Verbindungen waren dabei allerdings starr. In ihrer aktuellen Studie haben die Wissenschaftler nun ein System realisiert, das die Dreh­bewegung tatsächlich umwandelt, weshalb auch von einem „molekularen Getriebe“ die Rede ist.

Konkret geht es um die Bewegung einer Naphtalin­gruppe, die so um die Basis des Motors gezogen wird, dass sie ihr immer die gleiche Seite zuwendet – ähnlich wie die Bewegung des Mondes um die Erde. Das wäre im Grunde auch mit einer starren Verbindung möglich. Da das Naphtalin – eine Achterstruktur aus zwei verbundenen Benzol­ringen – aber über eine frei drehbare Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindung am rotierenden, oberen Teil des Motors angebracht ist, kann es seine Ausrichtung an jedem Punkt seiner Bahn an die Basis des Motors anpassen (siehe Abb.).

„Es war einiges an trickreicher, dreidimensionaler Chemie nötig, um dieses System zu bauen“, sagt Feringa. „Ich glaube, wir haben vier oder fünf Jahre daran gearbeitet.“ Als Ansporn diente den Wissenschaftlern die Natur. Die Übertragung von Bewegung ist von fundamentaler Wichtigkeit für das Funktionieren biologischer Nano­maschinen im Inneren von Zellen und weist durchaus Ähnlichkeiten mit den Bewegungen makroskopischer Maschinen auf. Da sie permanent Energie aus äußeren Quellen in gerichtete Bewegung umwandeln, befinden sich diese Systeme auch ständig außerhalb des chemischen Gleichgewichts. Die Prozesse laufen also vorzugsweise in eine bestimmte Richtung ab.

So selbstverständlich dieses Prinzip in der Biologie auch sein mag, im Labor stellt seine Realisierung noch eine große Herausforderung dar. Der eigentliche Motor, der dem neuen System zugrunde liegt, wurde bereits 1999 vorgestellt. Es handelt sich um ein organisches Molekül, in dessen Zentrum eine Kohlenstoff Doppel­bindung als Drehachse dient. Angeregt durch ultra­violettes Licht kann diese Achse um 180 Grad verdreht werden, was einer cis-trans-Isomerisierung entspricht. Nach einer solchen Drehung verändert sich aufgrund thermischer Anregung die Struktur des Moleküls und sperrt die Doppel­bindung gegen eine Verdrehung in die Gegen­richtung. Wie eine Ratsche verdreht sich das Molekül also nur in einem bestimmten Drehsinn und wiederholt diesen Zyklus immer wieder – obwohl es durch kontinuierliche Bestrahlung angeregt wird.

Seit seiner Entwicklung ist der Motor schon für eine Vielzahl verschiedener „Anwendungen“ eingesetzt worden, von denen allerdings nur für die wenigsten ein unmittelbarer praktischer Nutzen absehbar ist. Feringas Team selbst etwa hat mit einem „Propeller“ versehene Motoren an einem Gold­partikel angebracht – freilich ohne ihn damit tatsächlich in Bewegung zu versetzen. Großes Aufsehen erregte auch ein molekulares „Auto“, in dem gleich vier der Motoren – einer für jedes Rad – zum Einsatz kamen. Anstelle von Licht wurde es durch den Tunnel­strom aus der Spitze eines Raster­tunnel­mikroskops angetrieben und legte so einige Nanometer auf der Oberfläche eines Kupfer-Einkristalls zurück.

Ähnlich wie bei der Kontraktion eines Muskels ist es aber auch möglich, die Wirkung einer Vielzahl molekularer Motoren zu einem makroskopischen Effekt zu kombinieren. So ist es etwa einer Forschergruppe der Universität Straßburg gelungen, Feringas Motoren in das Polymer­netzwerk eines Gels zu integrieren. Setzte man die Drehbewegungen durch optische Anregung in Gang, so wickelten die einzelnen Motoren die Polymer­stränge zu engen Knäueln auf. Das führte zu einer Kontraktion des Materials, die bequem mit freiem Auge sichtbar war. Indem sie das System später noch um molekulare Kupplungen erweiterten, gelang es den Forschern sogar, den Vorgang wieder umzukehren: Bestrahlung aus einer anderen Lichtquelle öffnete die Kupplungen, wodurch sich die Knäuel wieder auflösten. Ein solches System könnte in Zukunft durchaus Anwendung als mechanischer Aktuator finden.

Auch wenn das neueste Konstrukt aus Groningen im Gegensatz dazu keine unmittelbare Anwendung verspricht, stellt es dennoch einen wichtigen Schritt in der Weiter­entwicklung molekularer Maschinen dar. „In der Biologie sieht man viele Systeme, in denen Moleküle so miteinander verbunden sind, dass sie Bewegung synchronisieren oder verstärken können“, sagt Feringa. „Soweit ich weiß, wurde das aber noch nie in einem künstlichen System wie dem unseren gemacht.“

Thomas Brandstetter

DE

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