Molekularer Schwarm baut Oberflächen Atom für Atom um
Nanotechnologisches Verfahren zur Veränderung von Strukturen auf Metalloberflächen.
In vielen technologisch relevanten Bereichen, wie zum Beispiel der Sensorik und der Batterieforschung, spielt die Oberfläche von Metallen eine entscheidende Rolle: Die atomare Struktur der Oberfläche bestimmt, ob und wie Moleküle miteinander reagieren. Zugleich beeinflusst die Oberflächenstruktur eines Metalls seine elektronischen Eigenschaften. Das ist wichtig für die Effizienz von elektronischen Bauteilen in Batterien. Weltweit arbeiten Wissenschaftler intensiv an der Entwicklung neuartiger Verfahren, um die Struktur von Metalloberflächen gezielt auf atomarer Ebene zu modifizieren.
Ein Team von Physikern und Chemikern um Saeed Amirjalayer von der Uni Münster hat jetzt ein molekulares Werkzeug entwickelt, das es auf atomarer Ebene ermöglicht, gezielt die Struktur einer Metalloberfläche zu verändern. Mit Hilfe von Computersimulationen konnte vorhergesagt werden, dass diese Umstrukturierung der Oberfläche durch einzelne Moleküle – N-heterozyklische Carbene – ähnlich wie bei einem Reißverschluss erfolgt. Dabei arbeiten mindestens zwei Carben-Moleküle miteinander, um die Struktur der Oberfläche Atom für Atom umzusortieren. Die Wissenschaftler wiesen diese Funktionsweise, bei der die Carben-Moleküle zwei Atomreihen auf einer Goldoberfläche zu einer Reihe zusammenführen, auch experimentell nach.
In früheren Arbeiten hatte das Team bereits gezeigt, dass die Carben-Moleküle stabil sind und sich gut auf Gold-Oberflächen bewegen. Jedoch konnte bisher keine gezielte Veränderung von Metalloberflächen durch die Moleküle nachgewiesen werden. In ihrer aktuellen Studie wiesen die Forscher erstmals nach, dass durch die Zusammenarbeit der Carben-Moleküle die Struktur der Oberflächen präzise modifiziert wird. „Für die weitreichende Änderung der Oberflächenstruktur, verhalten sich die Carben-Moleküle wie ein molekularer Schwarm: Sie arbeiten als Gruppe zusammen. Basierend auf dem reißverschlussartigen Prinzip werden die Oberflächenatome gezielt umsortiert und nach Abschluss der Umbauarbeiten können die Moleküle von der Oberfläche entfernt werden“, erläutert Amirjalayer.
Das neue Verfahren ermöglicht, neue Materialien mit gezielten Eigenschaften zu entwickeln – ohne makroskopische Werkzeuge. „In der industriellen Anwendung werden häufig makroskopische Werkzeuge, wie beispielsweise Pressen oder Walzen, verwendet. In der Biologie übernehmen dagegen diese Aufgaben meist bestimmte Moleküle oder Molekülklassen. Unsere Arbeit zeigt eine vielversprechende künstliche beziehungsweise synthetisch hergestellte Molekülklasse, die einen ähnlichen Ansatz verwendet, um die Oberfläche zu modifizieren“, sagt Amirjalayer. Das Forscherteam hofft, dass das Verfahren zukünftig genutzt wird, um neuartige Elektroden zu entwickeln oder chemische Reaktionen an Oberflächen zu optimieren.
WWU / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
S. Amirjalayer et al.: Kooperative Zusammenarbeit von N-heterocyclischen Carbenen auf einer Goldoberfläche, Ang. Ch. 102, 2 (2020); DOI: 10.1002/ange.202010634 - Stimuli-Responsive Nanomaterials Group (S. Amirjalayer), Physikalisches Institut, Westfälische Wilhelms-Universität Münster