Natriumarme Nahrung führt zu alten Sternen
Neue VLT-Beobachtungen bringen Theorien zur Sternentwicklung in Bedrängnis.
Viele Jahre lang gingen Astronomen davon aus, dass die Art und Weise wie sich Sterne entwickeln und wie sie ihr Leben beenden, bestens verstanden ist. Detaillierte Computermodelle ergeben, dass Sterne mit einer ähnlichen Masse wie die Sonne in einer gewissen Zeitspanne zum Ende ihres Lebens hin – genannt Asymptotischer Riesenast (engl. asymptotic giant branch, abgekürzt AGB) – einen letzten Ausbruch nuklearer Fusionsreaktionen durchlaufen und einen Großteil ihrer Masse in Form von Gas und Staub abstoßen würden.
Abb.: Diese Aufnahme des Wide Field Imager am MPG/ESO 2,2-Meter Teleskop am La Silla-Observatorium in Chile zeigt den Kugelsternhaufen NGC 6752 im südlichen Sternbild Pavo (der Pfau). (Bild: ESO)
Aus dieser abgestoßenen Materie entstehen später die nächsten Generationen von Sternen. Dieser Zyklus des Massenverlustes und der Neuentstehung ist entscheidend für die Erklärung der Entwicklung der chemischen Zusammensetzung des Universums. Der Prozess soll ebenfalls das Material liefern, das für die Entstehung von Planeten – und letztendlich für organisches Leben nötig ist.
Bei der Durchsuchung alter Fachartikel stolperte der Australier Simon Campbell vom Zentrum für Astrophysik der Monash University in Melbourne, allerdings auf einige Ungereimtheiten. So kam er auf die Vermutung, dass einige Sterne diesen Regeln nicht folgen und die AGB-Phase vollständig überspringen könnten. Also ging er der Sache nach: „Für einen Wissenschaftler, der sich mit der Modellierung der Sternentwicklung befasst, klangen solche Vermutungen verrückt! Nach unseren Modellen durchlaufen alle Sterne die AGB-Phase. Ich habe alle alten Studien genau überprüft und herausgefunden, dass diese Annahme nicht angemessen untersucht wurde. Ich habe mich daher dazu entschlossen, selbst Untersuchungen anzustellen, obwohl ich wenig Erfahrung hatte was Beobachtungen angeht.”
Mit Hilfe des Very Large Telescope (VLT) der ESO untersuchten Campbell und sein Team sehr sorgfältig das Licht der Sterne des Kugelsternhaufens NGC 6752 im südlichen Sternbild Pavo (der Pfau). Diese gewaltige, kugelförmige Ansammlung uralter Sterne enthält sowohl eine erste Generation von Sternen, als auch eine zweite Generation, die zu einem späteren Zeitpunkt entstand. Diese beiden Generationen können anhand der Menge an Natrium, die sie enthalten, unterschieden werden. Der Natriumgehalt lässt sich anhand der qualitativ hochwertigen Daten des VLT messen. „FLAMES, der hochauflösende Multi-Objekt-Spektrograf des VLT, war das einzige Instrument, das uns ermöglicht hat, wirklich qualitativ hochwertige Daten für 130 Sterne auf einmal aufzunehmen. So konnten wir den größten Teil des Kugelsternhaufens in einem Zug beobachten”, fügt Campbell hinzu.
Die Ergebnisse waren überraschend – alle AGB-Sterne in der Studie waren Sterne der ersten Generation mit einem niedrigen Natriumanteil, während kein einziger Stern der zweiten Generation mit einem hohen Natriumgehalt zu einem AGB-Stern geworden war. 70 Prozent der Sterne durchliefen also die letzte Phase nuklearer Fusionsreaktionen und den resultierenden Massenverlust nicht. „Es hat den Anschein, als ob Sterne natriumarme Nahrung benötigen, um die AGB-Phase im hohen Alter überhaupt erst erreichen zu können. Diese Beobachtung ist gleich aus mehreren Gründen wichtig: Diese Sterne sind die hellsten Sterne in Kugelsternhaufen. Es wird also 70 Prozent weniger dieser hellsten Sterne geben, als die Theorie vorhersagt. Das bedeutet wiederum, dass unsere Computermodelle der Sternentwicklung unvollständig sind und korrigiert werden müssen”, folgert Campbell.
Die Gruppe geht davon aus, dass ähnliche Ergebnisse für andere Sternhaufen gefunden werden. Weitere Beobachtungen sind geplant.
ESO / PH