Sehr große und dennoch schwach leuchtende Galaxien haben Heidelberger Wissenschaftler an einem Ort im Universum entdeckt, an dem die Experten sie nie erwartet hätten – im Zentrum eines gigantischen Galaxienhaufens. Es handelt sich um sogenannte ultra-diffuse Galaxien mit einer außerordentlich geringen Sterndichte, deren Entdeckung „erstaunlich und rätselhaft zugleich ist“, so Thorsten Lisker. Die Forschungsarbeiten hat Carolin Wittmann im Team von Lisker am Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH) durchgeführt.
Abb.: Der zentrale Bereich des Perseus-Galaxienhaufens. Nur schwach erkennbar sind die ultra-diffusen Galaxien, wie die Vergrößerung zeigt. Das gesamte Bild hat am Himmel etwa den Durchmesser des Vollmonds. (Bild: C. Wittmann, ZAH / ARI)
Unser Sonnensystem befindet sich mitten in einer großen Galaxie, der Milchstraße, die sich aus vielen Milliarden Sternen zusammensetzt. Mit bloßem Auge sind davon rund 3.000 Sterne zu sehen. Würde sich die Erde jedoch stattdessen in einer ultra-diffusen Galaxie befinden, so wären lediglich einige Dutzend Sterne und nur der „Hauch“ einer Galaxie am Nachthimmel erkennbar. In dieser speziellen Klasse von Galaxien, deren Bezeichnung von ihrem extrem diffusen Aussehen stammt, sind offensichtlich viel weniger Sterne als in anderen Galaxien entstanden oder sie wurden ihnen vor langer Zeit durch die galaktischen Gezeitenkräfte „entrissen“.
Erst seit drei Jahren suchen Astronomen das Universum systematisch nach solchen ultra-diffusen Galaxien ab. Mithilfe großer Teleskope und neuer Technologien wurden sie dabei vor allem in großen Galaxienhaufen fündig. Die Heidelberger Forscher konnten nun zu ihrer Überraschung rund neunzig solcher Galaxien im Zentralbereich des Perseus-Galaxienhaufens identifizieren. Der Perseus-Haufen ist eine dichte Ansammlung hunderter großer und kleiner Galaxien in einer Entfernung von rund 240 Millionen Lichtjahren. Erstaunlicherweise scheinen die meisten der ultra-diffusen Galaxien intakt zu sein; trotz eines starken Gezeitenfeldes zeigen nur wenige von ihnen mögliche Zeichen einer laufenden Zerstörung.
„Wir haben uns gefragt, wie die empfindlichen ultra-diffusen Galaxien überhaupt in einer so unruhigen Umgebung wie einem Galaxienhaufen überleben konnten“, erläutert Carolin Wittmann, die Erstautorin der Studie und Doktorandin an dem zum ZAH gehörenden Astronomischen Rechen-Institut (ARI) ist. „Möglicherweise sind die Sterne in den ultra-diffusen Galaxien durch einen besonders hohen Gehalt an Dunkler Materie gravitativ gebunden.“ Dafür spricht nach Angaben der Wissenschaftlerin auch, dass kaum Anzeichen für Wechselwirkungen mit größeren Galaxien gefunden wurden.
Grundlage der Heidelberger Forschungen sind langbelichtete Aufnahmen des Perseus-Galaxienhaufens, die im Jahr 2012 mit dem 4,2-Meter-Spiegel des William-Herschel--Teleskops auf der Kanareninsel La Palma gewonnen wurden. „Ursprünglich wollten wir damit bekannte kleine Galaxien daraufhin untersuchen, welche Auswirkungen hier die Gezeitenkräfte haben und welche strukturellen Störungen sie nach sich ziehen. Die außergewöhnliche Qualität der Daten erlaubte es uns aber, zahlreiche ultra-diffuse Galaxien ausfindig zu machen“, betont Lisker, der das Projekt am ARI initiiert und betreut hat.
Seine Forschungsgruppe und die internationalen Partner hoffen nun auf ähnlich hochwertige Daten für die äußeren Bereiche des Perseus-Haufens. Hier sind die Kräfte, die auf Galaxien einwirken, deutlich schwächer. Damit sollte mehr vom ursprünglichem Aussehen der Galaxien erhalten sein, wie Thorsten Lisker betont.
U. Heidelberg / DE