04.08.2021

Negativ geladene Ionen im All

Eindeutiger Nachweis für die Existenz von Dipol-gebundenen Zuständen gelungen.

Inter­stellare Wolken sind die Geburtsstätten von Sternen, sie könnten aber auch eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Leben spielen. Denn zwischen den Sternen einer Galaxie gibt es Regionen aus Staub und Gas, in denen sich chemische Verbindungen bilden. Die Forschungs­gruppe um ERC-Preis­träger Roland Wester am Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik der Universität Innsbruck hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Entwicklung elemen­tarer Moleküle im All besser zu verstehen. „Mit unserer Ionenfalle können wir, vereinfacht gesagt, das All ins Labor holen“, erklär Wester. „In der Apparatur lässt sich die Bildung von chemischen Verbindungen im Detail studieren.“ Nun haben die Wissen­schaftler eine Erklärung dafür gefunden, wie sich negativ geladene Moleküle im All bilden.

Abb.: Die Physiker Roland Wester (li.) und Malcolm Simpson demonstrieren, wie...
Abb.: Die Physiker Roland Wester (li.) und Malcolm Simpson demonstrieren, wie Dipol-gebundene Zustände die Entstehung negativer Ionen in inter­stellaren Wolken ermög­lichen. (Bild: ESO, VISION survey / AG Wester)

Bis zur Entdeckung der ersten negativ geladenen Kohlenstoff­verbindungen im Weltraum im Jahr 2006 ging die Wissenschaft davon aus, dass interstellare Wolken nur positiv geladene Ionen enthalten. Seither war offen, wie es zur Bildung negativ geladener Ionen kommt. Der italienische Theo­retiker Franco A. Gianturco, der seit acht Jahren als Wissenschaftler an der Universität Innsbruck tätig ist, hatte vor einigen Jahren theo­retische Überlegungen angestellt, die eine mögliche Erklärung dafür liefern. Sehr schwache Dipol-gebundene Zustände sollen die Anbindung von freien Elektronen an stab­förmige Moleküle ermöglichen. Solche Moleküle haben ein permanentes Dipol­moment, das in relativ weiter Entfernung vom neutralen Kern eine starke Wechsel­wirkung erzeugt und unter deren Einfluss sich die Bewegung eines Elektrons massiv verändert. 

In ihrem Experiment haben die Physiker Moleküle aus drei Kohlenstoff­atomen und einem Stickstoff­atom erzeugt, diese ionisiert und in einer Ionenfalle bei extrem tiefen Temperaturen mit Laserlicht beschossen. Dabei änderten sie die Frequenz des Lichtes konti­nuierlich solange, bis die zugeführte Energie groß genug war, um ein Elektron aus dem Molekül zu lösen. Eine eingehende Analyse der Messdaten durch den Nachwuchs­wissenschaftler Malcolm Simpson vom Doktorats­kolleg Atome, Licht und Moleküle an der Universität Innsbruck brachte schließlich Licht in dieses schwer zu beo­bachtende Phänomen.

Ein Vergleich der Messdaten mit einem Computer­modell erbrachte schließlich den eindeutigen Nachweis für die Existenz von Dipol-gebundenen Zuständen. „Unsere These ist, dass diese Dipol-gebundener Zustände eine Art Türöffner für die Bindung freier Elektronen an Moleküle darstellen und so zur Entstehung negativer Ionen im Weltraum beitragen“, sagt Wester. „Ohne diesen Zwischen­schritt wäre es sehr unwahr­scheinlich, dass Elektronen tatsächlich an die Moleküle binden.“ 

U. Innsbruck / JOL

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