Neue Blicke in das heiße und das gravitative Universum
ESA entscheidet Wissenschaftsthemen für nächste Großmissionen: Röntgen- und Gravitationswellenastronomie.
Das wissenschaftliche Programmkommittee SPC der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) entschied sich für das „Heiße und Energetische Universum“ als Thema ihrer nächsten Großmission L2, die 2028 starten soll. Das Thema hatte eine internationalen Kollaboration vorgeschlagen, die Kirpal Nandra leitet, Direktor am MPI für extraterrestrische Physik. Nach der überzeugenden Argumentation für dieses spannende Thema legt das Team nun ein innovatives Missionskonzept vor, um damit einige der dringendsten Fragen der modernen Astrophysik zu beantworten. Mit Athena, dem „Advanced Telescope for High-Energy Astrophysics” hätten die Astrophysiker die nötige räumliche und spektrale Auflösung sowie genügend Nachweisempfindlichkeit und Himmelsabdeckung zur Verfügung, um viel besser verstehen zu können, warum das beobachtete Universum so aussieht wie wir es beobachten.
Abb.: Vom Lagrange-Punkt L2 aus soll Athena mit einer Sammelfläche von zwei Quadratmetern Röntgenphotonen mit fünf Bogensekunden Auflösung detektieren. (Bild: MPE / Scorch London)
Gewöhnliche Materie liegt im Universum größtenteils als heißes Gas vor. Dieses ist zum Beispiel für die Galaxienhaufen verantwortlich, die größten zusammenhängenden Strukturen, die wir heute kennen. Bei Temperaturen von mehr als zehn Millionen Grad emittiert das Gas besonders hell im Röntgenbereich. Deshalb ist ein Röntgenobservatorium im Weltraum mit hoher Empfindlichkeit, guter spektraler Auflösung und einem großen Sichtfeld der Schlüssel dazu, die Entstehung und Entwicklung dieser Strukturen zu verstehen. Athena wurde zu genau diesem Zweck konzipiert. Mit einem derartigen Teleskop könnten Astronomen spektroskopische Beobachtungen von weit entfernten Galaxien erhalten und die physikalischen Parameter der größten gebundenen Objekte vermessen. Diese Informationen würden unser Verständnis davon, wie sich die Strukturen aus heißem Gas in der Kinderstube des Universums bildeten, einen großen Schritt voran bringen. Messungen der Geschwindigkeiten, der Thermodynamik und der chemischen Zusammensetzung des heißen Gases sowie die Veränderung dieser Parameter auf kosmischen Zeitskalen würde den Wissenschaftlern auch ganz neue Einblicke in komplexe astrophysikalische Prozesse erlauben, wie Turbulenzen oder nicht-gravitative Heizung. Derartige Vorgänge sind von entscheidender Bedeutung, wenn die Wissenschaftler verstehen wollen, wie sich Strukturen aus gewöhnlicher Materie bilden und entwickeln.
Mit einem Röntgenteleskop wie Athena könnten die Astronomen sogar noch weiter in die Geschichte des Universums zurück blicken, um dort die energiereichsten Vorgänge zu untersuchen und die ersten supermassereichen schwarzen Löcher zu entdecken. Diese stammen aus einer Zeit, als sich die ersten Galaxien bildeten, weniger als eine Milliarde Jahre nach dem Urknall. Aufgrund der extrem hohen Temperaturen und der riesigen Energiemengen, die Materie abgibt, wenn sie in ein schwarzes Loch fällt, ist Röntgenstrahlung die verlässlichste und vollständigste Methode, um diese akkretierenden Monster zu untersuchen. Bemerkenswerterweise scheinen Prozesse aus der unmittelbaren Nähe des Schwarzen Lochs in der Lage zu sein, ganze Galaxien und Galaxienhaufen auf Milliarden-mal größeren Längenskalen zu beeinflussen. Diese kosmische Rückkopplung ist daher ein wesentlicher – aber bisher unzureichend verstandener – Bestandteil von Modellen zur Galaxienentwicklung.
Abb.: eLISA-Mission soll aus drei Satelliten im Abstand von Millionen von Kilometern bestehen, die mittels Laserlicht winzige, von Gravitationswellen verursachte Abstandsänderungen untereinander messen (Bild: AEI / MM / exozet / NASA / C. Henze, AEI)
Das Wachstum von supermassereichen schwarzen Löchern über kosmische Zeitskalen hinweg nachzuverfolgen, insbesondere in der frühesten Epoche der Galaxienbildung (bei z = 6-10), ist mit heutigen Instrumenten und Teleskopen unmöglich. Doch auch die zweite jetzt beschlossene Großmission hat unter anderem die Massemonster im Visier: Als Mission für die Untersuchung des Gravitational Universe wurde eLISA vorgeschlagen, die „evolved Laser Interferometer Space Antenna“. eLISA unterscheidet sich von jedem anderen Weltraumobservatorium, denn die Mission soll erstmals Gravitationswellen messen und damit energiereiche Vorgänge im gesamten Universum hören können. Die weltraumgestützte Beobachtung von Gravitationswellen soll grundlegende astrophysikalische Fragen zur Entwicklung des Universums unmittelbar nach dem Urknall, sowie zur Physik und Entwicklung in späteren Stadien beantworten können. eLISA soll als insgesamt dritte große L-Klasse-Mission nach JUICE und Athena ins All starten.
MPE / AEI / OD