Neue Materialklasse für die organische Elektronik
Ladungstransport in polymeren Kohlenstoffnitriden aufgeklärt.
Polymeres Kohlenstoffnitrid ist ein organisches Material mit interessanten optoelektronischen Eigenschaften. So kann es als Photokatalysator die Spaltung von Wasser mit Sonnenlicht befördern. Nun haben Forscher des Helmholtz-Zentrums Berlin, der Uni Rostock, der FU Berlin und anderer Partner erstmals untersucht, wie Licht in dieser Materialklasse Ladungsträger erzeugt und die Beweglichkeit und Lebensdauern von Ladungsträgern ermittelt. Dabei kamen sie zu überraschend hohen Werten, die neue Anwendungen, zum Beispiel in Verbindung mit Graphen, in Aussicht stellen.
Abb.: Ladungsträger nehmen stets den Weg senkrecht zu den Ebenen. Licht erzeugt ein Elektron-Loch-Paar. Umgekehrt kommt es beim Aufeinandertreffen von Elektron und Loch unter Bildung eines Singlet-Exzitons zur Abgabe von Licht. Im Hintergrund ist ein Graphennetz angedeutet. (Bild: C. Merschjann, HZB)
Polymere Kohlenstoffnitride werden als gelbes Pulver aus Myriaden von Nanokristallen synthetisiert. Die kristalline Struktur ähnelt der von Graphit, denn die Kohlenstoffnitrid-Gruppen sind nur in der Ebene chemisch verbunden, während zwischen den Ebenen nur schwache Van-der-Waals-Kräfte für den Zusammenhalt sorgen. Dass Licht in dieser Materialklasse ein Elektron-Loch-Paar erzeugen kann, war bereits bekannt. So gab es schon zahlreiche Versuche, polymere Kohlenstoffnitride als preiswerte Photokatalysatoren für die solare Wasserspaltung einzusetzen, allerdings ist die Effizienz bislang vergleichsweise gering.
Das Team um Christoph Merschjann vom HZB und der FU Berlin, sowie Stefan Lochbrunner von der Uni Rostock hat nun erstmals einen genauen Blick in die Prozesse bei der lichtinduzierten Ladungstrennung geworfen. „Das interessanteste Ergebnis ist, dass Ladungen dabei praktisch nur entlang einer Dimension transportiert werden, und zwar senkrecht zu den graphitähnlichen Schichten“, erklärt Merschjann. Dabei erzeugt Licht ein Elektron-Loch-Paar, das sich anschließend in entgegengesetzte Richtungen auseinanderbewegt. Mithilfe von Femtosekunden-Spektroskopie sowie weiteren spektroskopischen zeitaufgelösten Methoden konnten sie erstmals quantitativ Beweglichkeit und Lebensdauern der Ladungsträger bestimmen. Dabei zeigte sich, dass die Beweglichkeit ähnliche Werte wie in konventionellen organischen Halbleiter-Materialien erreicht. Darüber hinaus bleiben die Ladungsträger lange erhalten, bevor sie wieder rekombinieren.
Polymere Kohlenstoffnitride sind nicht nur ungiftig und kostengünstig, sondern auch extrem belastbar, da sie chemisch sehr stabil sind und Temperaturen bis etwa fünfhundert Grad Celsius standhalten. Bauelemente aus solchen Verbindungen könnten also in Umgebungen eingesetzt werden, die für die heutige organische Elektronik nicht geeignet sind. Besonders interessant findet Merschjann jedoch die Perspektive, diese Verbindungen geordnet zum Beispiel auf Graphen aufwachsen zu lassen. Denn Graphen besitzt eine extrem hohe Leitfähigkeit in der Ebene, während die Kohlenstoffnitride im Wesentlichen nur senkrecht dazu leitfähig sind. „Die Kohlenstoffnitride müssen den Vergleich mit konventionellen organischen Halbleiter-Materialien nicht scheuen – im Gegenteil: Mit ihrer Eigenschaft als quasi-eindimensionale Halbleiter könnten sich ganz neuartige voll-organische optoelektronische Bauelemente realisieren lassen“, hofft Merschjann, der sich im aktuellen DFG-geförderten Forschungsprojekt an der FU Berlin mit dem direkten Nachweis der Ladungsträger beschäftigt.
HZB / RK