Neue Suche nach dunkler Materie gestartet
Mit dem weltweit empfindlichsten modellunabhängigen Experiment ALPS II könnte der Nachweis gelingen.
Mit dem „Licht-durch-die-Wand-Experiment“ ALPS II startete diese Woche bei Desy das weltweit empfindlichste modellunabhängige Experiment für die Suche nach besonders leichten Teilchen, aus denen die dunkle Materie aufgebaut sein könnte. Nach wissenschaftlichen Berechnungen sollte diese ominöse Form von Materie fünfmal so häufig im Universum vorkommen wie normale, sichtbare Materie. Bisher hat jedoch noch niemand Teilchen dieses Stoffs messen können – mit dem ALPS-Experiment könnte dieser Nachweis jetzt gelingen.
Das rund 250 Meter lange Experiment ALPS – Any Light Particle Search – ist dabei auf der Suche nach einer besonders leichten Sorte von neuartigen Elementarteilchen. Mit der Hilfe von vierundzwanzig recycelten supraleitenden Magneten aus dem Hera-Beschleuniger, intensivem Laserlicht, Präzisionsinterferometrie und hochempfindlichen Detektoren will das internationale Forschungsteam nach diesen Axionen oder axionartigen Teilchen fahnden. Diese Teilchen sollen nur extrem schwach mit bekannter Materie reagieren, so dass sie an Beschleunigerexperimenten nicht gefunden werden können.
Daher verwendet ALPS ein völlig anderes Messprinzip: In einem starken Magnetfeld könnten sich Photonen in diese geheimnisumwitterten Teilchen und wieder zurück in Licht umwandeln. „Die Idee für ein Experiment wie ALPS existiert schon seit über dreißig Jahren. Durch die Nutzung von Komponenten und der Infrastruktur des ehemaligen Hera-Beschleunigers in Verbindung mit modernsten Technologien sind wir jetzt erstmals in der Lage, ALPS II in einer internationalen Kollaboration zu realisieren“, sagt Beate Heinemann, Direktorin für Teilchenphysik bei Desy. Helmut Dosch, Vorsitzender des Direktoriums, ergänzt: „Desy hat sich zur Aufgabe gemacht, die Materie in ihrer ganzen Vielfalt zu entschlüsseln. ALPS II passt damit perfekt in unsere Forschungsstrategie und stößt dabei vielleicht die Tür zur dunklen Materie auf.“
In einem rund 120 Meter langen Vakuumrohr, das von zwölf in gerader Reihe aufgestellten Hera-Magneten umschlossen wird, spiegelt das ALPS-Team hochintensives Laserlicht in einem optischen Resonator hin und her. Sollte sich in dem starken Magnetfeld ein Photon in ein Axion verwandeln, könnte dieses eine lichtdichte Wand durchqueren, die am Ende dieser Magnetreihe steht. Hinter dieser Wand steht eine fast gleich aufgebaute Magnetstrecke. In ihr könnte sich dieses Axion wieder in Licht zurückverwandeln, das durch den Detektor am Ende aufgefangen wird. Ein zweiter optischer Resonator, der hier aufgebaut ist, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass aus einem Axion wieder ein Lichtteilchen wird, um den Faktor 10 000. Sieht man jetzt also Licht hinter der Wand, so muss es zwischendurch ein Axion gewesen sein. „Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Photon in ein Axion und wieder zurückverwandelt, ist allerdings trotz all unserer Techniktricks sehr klein – vergleichbar damit, dass man gleichzeitig mit 33 Würfeln einen Pasch wirft“, sagt Axel Lindner, Projektleiter und Sprecher der ALPS-Kollaboration.
Damit die Messung funktioniert, haben die Forschenden alle Komponenten des Experiments zur Höchstleistung getrieben. Der Lichtdetektor ist so empfindlich, dass er ein einzelnes Lichtteilchen pro Tag nachweisen kann. Auch die Präzision des Spiegelsystems für das Licht ist rekordverdächtig: der Spiegelabstand darf relativ zur Wellenlänge des Laserlichts höchstens um den Bruchteil eines Atomdurchmessers variieren. Und die jeweils neun Meter langen supraleitenden Magnete erzeugen in dem Vakuumrohr ein Magnetfeld von 5,3 Tesla. Die Magnete stammen aus dem 6,3 Kilometer langen Protonenring des Hera-Beschleunigers und erfuhren für das ALPS-Projekt ein Upcycling.
Das Innere der ursprünglich gebogenen Magnete wurde extra für das Experiment gerade gebogen, damit mehr Laserlicht in ihnen gespeichert werden kann, die Sicherheitseinrichtungen für den supraleitenden Betrieb bei minus 269 Grad Celsius wurden komplett überarbeitet. Vorgeschlagen wurde das Experiment ALPS von Desy-Theoretiker Andreas Ringwald. Er untermauerte mit seinen Berechnungen zur Erweiterung des Standardmodells auch die theoretische Motivation für das Experiment. Ringwald sagt: „Für ALPS haben Forschende aus der Experimentalphysik und der Theorie sehr eng zusammengearbeitet. Das Ergebnis ist ein Experiment mit einem einzigartigen Entdeckungspotenzial für Axionen, mit dem wir später vielleicht sogar nach hochfrequenten Gravitationswellen suchen können.“
Die Suche nach den Axionen beginnt zunächst in einem reduzierten Betriebsmodus, in dem die Suche nach Untergrundlicht, welches die Anwesenheit von Axionen vortäuschen könnte, vereinfacht wird. In der zweiten Jahreshälfte 2023 soll das Experiment die volle Sensitivität erreichen. Für 2024 ist dann eine Verbesserung des Spiegelsystems vorgesehen, außerdem kann später ein alternatives Lichtdetektorsystem installiert werden. Mit ersten Veröffentlichungen der Ergebnisse aus ALPS-Messungen rechnen die Forschenden für das Jahr 2024. „Selbst wenn wir mit ALPS keine leichten Teilchen finden sollten, werden wir mit dem Experiment die Ausschlussgrenzen für superleichte Teilchen um den Faktor 1000 verschieben“, ist Lindner überzeugt.
Insgesamt etwa dreißig Forschende haben sich in der internationalen ALPS-Kollaboration zusammengefunden; sie kommen von sieben Forschungseinrichtungen: Neben Desy sind das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) und das Institut für Gravitationsphysik der Leibniz Universität in Hannover, die Cardiff University, die University of Florida, die Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, die Universität Hamburg und die University of Southern Denmark beteiligt.
Auch für die Zeit nach der Axionensuche haben die Forschenden schon Pläne. Sie wollen mit ALPS beispielsweise herausfinden, ob ein Magnetfeld die Ausbreitung des Lichts in Vakuum beeinflusst, wie vor Jahrzehnten von Euler und Heisenberg vorhergesagt. Und auch zum Nachweis von hochfrequenten Gravitationswellen wollen die Forschenden den experimentellen Aufbau weiterverwenden.
DESY / JOL